von Markus Kolbeck
Der voll farbig bebilderte Hardcover-Band wurde 2022 von den Wizards of the Coast auf Deutsch herausgebracht. Die Farbbebilderung muss als hervorragend bezeichnet werden: Aussagefähige Charakterdarstellungen, passend zum jeweiligen Thema im Text, wechseln sich mit stimmungsvollen ganzseitigen Abbildungen ab. Die Projektleitung hatte F. Wesley Schneider inne und die künstlerische Leitung Kate Erwin. Autoren gibt es rund 20 an der Zahl, darunter Jeremy Crawford, Ben Petrisor und Jessica Ross.
Anmerkung: Ich ziehe es vor, in dieser Rezension der Lesbarkeit halber nur da zu gendern, wo Spieler*innen und Spielleiter*innen direkt angesprochen sind. Bei Nichtspielercharakteren verzichte ich also auf das Gendern, aber wenn ich beispielsweise von „Dunklen Fürsten“ schreibe, schließt das immer auch „Dunkle Fürstinnen“ mit ein, die gibt es nämlich auch!
Inhalt
Auf der Titelseite wird das Buch als „Kampagnenband“ betitelt. Es handelt sich dabei aber nicht um einen Rollenspielband, der eine Kampagne enthält, also mehrere zusammenhängende Abenteuer, sondern einen Band, der Richtlinien und Optionen zur Gestaltung eigener Kampagnen liefert. Es gibt aber ein Beispielabenteuer. Neben den fünf Kapiteln gibt es noch eine Einführung und einen Anhang. Aufgelockert wird das Ganze vereinzelt durch Briefe des Gelehrten und Forschers van Richten an andere Mitstreiter (und von diesen an van Richten) in Sachen Bekämpfung der schlimmsten Gefahren von Ravenloft.
In der „Einführung“ wird darauf eingegangen wie der*die Leser*in den Band verwenden kann, und er*sie bekommt Tipps zum Thema Horror im Spiel. Außerdem werden sieben Geheimnisse von Ravenloft gelüftet und man erfährt mehr über die Logik der Albträume, die Dunklen Mächte, den Nebel (der die Region einhüllt) und die Domänen (in die Ravenloft unterteilt ist) samt ihrer Dunklen Fürsten.
Im „Kapitel 1: Charaktererstellung“ gibt es verschiedene Wege, eine*n Abenteurer*in nach Ravenloft hineinzuziehen: Heimsuchung, Abstammung, Dunkle Gaben, Unterklassenoptionen, Hintergründe und Horrorrequisiten. An Abstammungen kennt der Kampagnenband den Dhampir, einen Humonoiden mit einer Neigung zu Untoten; das Hexblut, angefüllt mit mystischer Magie, Feenmagie oder Hexerei (wie jener der Vetteln) und den Wiedergeborenen, dem Tod näher als dem Leben oder ein zusammengesetzter, animierter Leichnam oder das Ergebnis von magischen Experimenten. Dunkle Gaben sind Beobachter, von Geistern heimgesucht; Berührung des Todes, Berührung bewirkt nekrotischen Schaden; Lebendiger Schatten, der eigene Schatten führt ein mehr oder weniger nützliches Eigenleben; Nebelwanderer, erlaubt das Navigieren durch Ravenlofts Nebel, Symbiotisches Wesen, ein zweites Wesen wohnt körperlich in der betreffenden Person und Versammeltes Gewisper, Geister überbringen Botschaften.
An Unterklassenoptionen gibt es die Schule der Geister für den Barden und den untoten Mentoren für einen Hexenmeister. Es werden dann auch neue Hintergründe mit besonderen Merkmalen (Erbe, Geistermedium, Nebelwanderer, Reisender und Trauma-Überlebender) geboten. Außerdem dürfen neue Persönlichkeitsmerkmale, Ideale, Bindungen und Makel nicht fehlen. Detektiv und Heimgesuchter stehen ebenfalls zur Auswahl. Im das Kapitel abschließenden Abschnitt „Horrorrequisiten“ werden 100 Gegenstände wie Talismane, Andenken, mysteriöse Geräte, verfluchte Relikte usw. mit spiritistischer, okkulter oder persönlicher Bedeutung aufgelistet.
Im „Kapitel 2: Erstellen von Domänen des Schreckens“ wird als erstes auf das Erstellen eines Dunklen Fürsten, meist das Oberhaupt einer Domäne, sowie einer Domäne selbst eingegangen. Danach werden ausführlich Horrorgenres präsentiert wie Dark Fantasy, Gothic-Horror und Körperhorror. Kurz Erwähnung finden auch Desaster-Horror, Okkulter-Detektiv-Geschichten, Psycho-Horror und Slasher-Horror.
Im „Kapitel 3: Domänen von Ravenloft“ wird das ganz wesentliche Element für Ravenloft beschrieben, nämlich die Domänen beziehungsweise Fürstentümer. Als erstes wird genauer auf die Natur von Ravenloft eingegangen, vor allem den Nebel, Nebeltalismane, Magie und Metaphysik, das Leben in den Domänen und weitere Details. Dann folgen die eigentlichen Domänen, die man direkt ins Spiel übernehmen kann und die aber auch Beispielcharakter haben. Die Darstellung der Fürstentümer folgt immer nach dem gleichen Schema, das sich in Übersicht, besondere Merkmale, Siedlungen und Schauplätze, Dunkler Fürst, Abenteuer und Domänenfokus unterteilt. Diese Begriffe werden im Band erklärt und mit Inhalten gefüllt. Oftmals sind die Domänenbeschreibungen mit einer Landkarte ausgestattet.
Ein besonderes Augenmerk wird noch auf Konfrontationen mit Dunklen Fürsten gelegt sowie auf Charaktere, die aus Ravenloft stammen. Unter den 17 ausführlich dargestellten Domänen ist Barovia vielleicht ein Begriff. Es ist die Heimat von Graf Strahd von Zarowitsch, einem mächtigen Vampir. Man findet unter den Domänen die unterschiedlichsten Genres, wie eine politische Diktatur mittels Geheimdienst, ein magisch verwüstetes Fürstentum, eine Albtraumwelt oder eine Domäne, die sich als wandernder Jahrmarkt darstellt. Es werden noch 22 weitere Fürstentümer vorgestellt, aber nur in knapper Form. Wichtig sind auch die sogenannten Nebelwanderer, die durch die Nebel von Ravenloft navigieren können, namentlich die Mitglieder der wohlwollenden Organisation der „Hüter der Feder“ und die eher neutralen Vistani, ein fahrendes Volk. Es gibt noch andere Gruppen, die aber nur kurz Erwähnung finden. An prominenten Nebelwanderern sind der als Großer Detektiv bekannte Alanik Strahl, der Gelehrte Rudolph van Richten und die Weathermay-Foxgrove-Schwestern, die sich als Monsterjäger hervortun, zu nennen.
In „Kapitel 4: Horrorabenteuer“ wird noch einmal auf das Leiten eines Horrorszenarios eingegangen. Anfangs ist mit den Spieler*innen abzuklären, was für ein Spiel und welche Themen und Inhalte sie sich wünschen. Außerdem sind auch Grenzen festzulegen. Der*die Spielleiter*in bekommt auch Tipps zur Schaffung einer Horroratmosphäre, beispielsweise durch die Einbeziehung von Musik, Beleuchtung und Requisiten. Auf Tarokka-Karten und das Hexenbrett wird gesondert eingegangen. Auch wird ein Werkzeugkasten des Horrors angeboten, der aus der Handhabung von Flüchen, Furcht, Stress und Spukfallen besteht.
Im 20-seitigen Beispiel- und Einstiegsabenteuer „Das Haus Lament“, dass sich an Charaktere der 1. Stufe richtet (die im Szenario auf mindestens die 3. Stufe aufsteigen können) wird ein Spukhaus in einer eigenen Domäne präsentiert, das aber nur teilweise ausgetretene Pfade betritt. Es gilt, das Haus zu erforschen und mittels Séancen, die aufschlussreich sein können, der Vorgeschichte des Hauses auf die Spur zu kommen. Die Charaktere können hilfreiche Verbündete in diesem Abenteuer finden. Es gilt, das Rätsel um Haus Lament zu lösen, bevor es in einer möglicherweise fatalen Konfrontation erwacht.
„Kapitel 5: Monster von Ravenloft“ dient zum einen dazu, dem*der Spielleiter*in zu ermöglichen, denkwürdige Monster zu erschaffen. Für diese müsse man ihre monströsen Ursprünge, ihren Ruf, eine Beschreibung, ihre Taktik, ihre Merkmale und ihre Eigenschaften als mögliche Schergen eines Bösewichts berücksichtigen. Es ist wurde auch daran gedacht, dass man vielleicht eine einmalige Kreatur erschaffen will.
Darauf folgt das eigentliche Bestiarium, in dem über 30 neue Monster (wie die Carrionette, ein böses Konstrukt) beziehungsweise Varianten von bekannten Kreaturen (wie der Nosferatu, eine Art Vampir) neuen Schwung in die Spielrunde bringen sollen. Die Herausforderungsgrade reichen von den 1/8 des Gremischkas (einem katzenartigen Wesen mit Hang zur Magie) bis zu den beachtlichen 21 des Höheren Sternengezücht-Emissärs.
Im „Anhang“ ist ein Hexenbrett, wie man es zur Durchführung von Séancen benötigt, abgedruckt. Die dazugehörige Planchette dient dazu, Wörter, Buchstaben oder Zahlen auf dem Hexenbrett anzuwählen. Sie ist im Kapitel 4 auf Seite 191 zu finden. Beschreibungen, wie man beides zusammen nutzt, sind enthalten.
Kritik
Es fällt auf, dass die Spielwelt von Ravenloft neue, oftmals nicht unerhebliche Herausforderungen bietet, die eine möglicherweise eingefahrene Spieler*innengruppe auf neue Wege und den*die Spielleiter*in auf neue Ideen für das Spiel bringt. Abwechslung wird hier groß geschrieben! Wenn die Spielgruppe mittlerweile zu routiniert geworden ist, kann man sie mit einem Abenteuer oder einer Kampagne in Ravenloft konfrontieren. Oftmals gibt es scheinbar keinen Ausweg aus der dortigen Misere und den Dunklen Fürsten in ihren Stammgebieten (den Domänen) ist selten ein Gegner gewachsen.
Es werden viele neue Optionen angeboten, aus denen sich der*die Spielleiter*in, wie aus einem Werkzeugkasten, bedienen kann. Was man benutzt, bleibt einem selbst überlassen; allerdings hätten es mehr als nur zwei Unterklasseoptionen sein können. Die in Kapitel 2 aufgeführten Möglichkeiten zur Erstellung eines Dunklen Fürsten und einer Domäne sind praktikabel gehalten, das heißt man kann die als Richtschnur vorgegebenen Ideen gut umsetzen. Die aufgeführten Horrorgenres erlauben es einem, das Grundthema einer Domäne beziehungsweise des Dunklen Fürsten zu bestimmen, was quasi eine Bedingung für das Erstellen solch einer Domäne ist.
Das Beispiel-Abenteuer ist ein gelungener Einstieg in die Welt von Ravenloft, insbesondere da es für sehr niedrigstufige Held*innen geeignet ist. Gruselige Atmosphäre, rätselhafte Spukerscheinungen und mysteriöse Geschehnisse lassen die Spieler*innen tief in das Szenario eintauchen. Es ist anfangs ein Erkundungsabenteuer, wird dann aber im weiteren Verlauf immer mehr actionorientiert, bis dahin, dass die Charaktere flüchten müssen. Gerade für niedrigstufige Abenteuer*innen kann das Spiel dann leider auch fatal ausgehen.
Es werden zwar Regeln geliefert, wie man einen Dunklen Fürsten erstellt. Jedoch gibt es im gesamten Band keine detaillierten Spielwerte für diese Nichtspielercharaktere, lediglich eine Beschreibung und Hinweise auf die Qual und das Rollenspielspezifische dieser Figur werden genannt, mit dem Ziel, die Figur rollenspielerisch darstellen zu können. Bei den Beschreibungen mancher Dunkler Fürsten ist aber ein Hinweis darauf eingefügt, welche Kreatur man stattdessen annehmen kann, um zu Spielwerten zu kommen. So hat die Dunkle Fürstin von Dementlieu die Werte eines Todesalbs. Insgesamt ist das Fehlen von individuellen Spielwerten für die Dunklen Fürsten als Manko anzusehen! Dazu kommt noch, dass im Bestiarium die Gesinnungen der Kreaturen, entgegen sonstigen Gepflogenheiten in „D&D“-Werken, nicht genannt werden. In einem Ravenloft früherer Machart hatten Paladine nicht mehr die Fähigkeit, die Gesinnung ihres*r Gegenüber in den Domänen zu erspüren. Ich kann mich aber nicht erinnern, eine Regel dazu in diesem Band gelesen zu haben!
Der Ratgeber liefert praktisch alles, was man für das Generieren eigener Kampagnen in diesem Setting braucht und das mit den unterschiedlichsten Schwierigkeitsgraden auf einem hohen kreativen Niveau, was sich angenehm in variantenreichen Dunklen Fürsten, ihren Schicksalen und ihrer Qual in den verschiedensten Fürstentümern widerspiegelt.
Die Rechtschreibung ist meist korrekt. Einmal wurde ein Begriff nicht ins Deutsche übersetzt, es heißt da in der Übersicht einer Domäne „Totalitarism“ statt „Totalitarismus“! Einmal heißt es auch „The Emissär“ statt „Der Emissär“. Ab und zu gibt es auch Probleme mit der Pluralbildung. Davon abgesehen ist die Übersetzung gelungen, und man kann die Formulierungen im Text genießen.
Fazit: Für fortgeschrittene Spielgruppen ist „Van Richtens Ratgeber zu Ravenloft“ eine Überlegung wert, um Abwechslung in Form von neuen Herausforderungen und Gefahren zu bieten. Für Startcharaktere bietet sich das Setting auch an, da der Schrecken dann viel gefährlicher und daher wohl auch intensiver ist. Ansonsten bekommt man einiges fürs Geld praktisch auf dem Servierteller präsentiert, um es für die eigene Kampagne zu nutzen. Aufgrund des einzigartigen Horrorsettings im Rahmen des populären Fantasy-Rollenspiels „D&D 5E“ besitzt der Band eine herausragende Stellung!
Van Richtens Ratgeber zu Ravenloft
Quellenband
Jeremy Crawford, Ben Petrisor, Jessica Ross u. v. a.
Wizards of the Coast 2022
ISBN: 978-0-7869-6859-6
256 S., Hardcover, deutsch
Preis: 39,99 EUR
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