Und auf Erden Stille – Staffel 1

„Ein träger Fluss im Licht der Sterne, aus dem Laternenpfosten und große Bruchteile schwarzen Asphalts ragen“ – das, so erfahren wir, ist vom „Broadway“ übriggeblieben. Amerika, so wie wir es kannten, ist Vergangenheit. Durch diese dystopische Welt schlägt sich die 16-jährige Rhiannon, die auf die Suche nach ihrem Vater geschickt wurde. Wem vertrauen und wie überleben? Wer hat die Welt in dieses Unglück geschickt? Was hat der fiktive „Adamsvirus“ mit all dem zu tun? Fragen über Fragen, und der Auftakt für ein packendes Hörabenteuer.

von Daniel Pabst

„Und auf Erden Stille“ ist im Jahr 2021 bei Folgenreich erschienen. Das Hörspiel- und Hörbuch-Label Folgenreich ist bekannt für die Hörspiel-Serien: „Mark Brandis“, „Die Elfen“, „Jack Slaughter“, „Don Harris –Psycho Cop“ oder „Dorian Hunter“. Nun also eine Hör-Serie, die als dystopischer Thriller, empfohlen ab 12 Jahren, angekündigt wurde. Was steckt drin in den 4 CDs beziehungsweise den rund 239 Minuten?

Vorab ein paar Infos zu den Machern und dem Cast des Hörspiels. Für Buch und Regie verantwortlich ist Balthasar von Weymarn, das Sounddesign liefert Jochim-C. Redeker, die Aufnahme erfolgte durch Tommi Schneefuß (Sound of Snow), Logo & Grafik stammen von Alexander Preuss, das Artwork lieferte Michaela Ollesch und bei Folgenreich verantwortlich sind Doerte Poschau und Stefan Wolf. Die Erzählerin ist Vera Teltz, die Portagonistin „Rhiannon“ wird von Sarah Alles gesprochen, ihr Begleiter „Ranger“ von Björn Schalla. In weiteren Rollen: Konrad Bösherz, Oliver Stritzel, Derya Flechtner, Ulrike Kapfer und Detlef Bierstedt.

„Und auf Erden Stille“ beginnt, anders als von Hörspielen dieser Art gewohnt, mit keiner Vorwarnung, dass das Hörspiel auf Grund akustischer „Schreckeffekte“ nicht während der Autofahrt gehört werden sollte. Stattdessen setzt ein kurzer Zusammenschnitt späterer Schlüsselsätze ein, was als „Trailer“ das Interesse an dem Hörspiel weiter steigert. Sodann fühlt man sich, ehe es richtig mit der Handlung losgeht, für den Bruchteil einer Sekunde zurückversetzt in die Anfangsszene des Films „A Clockwork Orange“ von Stanley Kubrick. Die Musik von „Und auf Erden Stille“ ähnelt nämlich stark der elektronischen (synthetischen) Version von Henry Purcells „Music for the Funeral of Queen Mary“, welche bei Kubrick das Filmerlebnis beginnen lässt.

Die Protagonistin Rhiannon lebt in einer Kolonie namens „Novis“ unter der Erde in einem verlassenen Bergwerk. Ihre Mutter ist verstorben, ihr Vater verschollen. Etwa 200 Personen verstecken sich dort isoliert von der Außenwelt. Nur zum Jagen und Sammeln wagen sie den Weg an die Erdoberfläche. Auch Rhiannon ist tagsüber mit ihrer Armbrust auf der Jagd nach Luchsen, Rentieren und Hunden. Dabei zeigt sie sich durchaus rebellisch, indem sie die Jagdzeiten nicht einhält. Freunde hat sie nur wenige, Liebschaften keine und vertrauen tut sie nur einem Mädchen namens Lisa. Eines Tages ruft sie der „Guru“ der Kolonie zu sich, um ihr mitzuteilen, dass bei der Erkundungstour eines Informationstrupps, Dokumente gefunden worden seien, die ihren Vater für die Katastrophe draußen in der Welt verantwortlich machen würden. Er sei „schuldig“ für das sogenannte „Adamsvirus“. Daher könnte er auch ein Gegenmittel besitzen. Rhiannon soll ihn ausfindig machen, ansonsten werde sie von der Gemeinschaft ausgestoßen. Gemeinsam mit Lisa wagt sie gezwungenermaßen die gefährliche Reise gen Osten. Das Ziel: Manhattan.

Der Weg zu Fuß ist lang, und überall stehen Erinnerungen, die anzeigen, dass es einmal anders gewesen war. Die Natur hat die Erde wieder zurückerobert. Es gibt keinen Strom, keine Autos, keine Flugzeuge, Kernkraftwerke ohne Kühlmittel sind heruntergekommen. Nagetiere, Insekten, Vögel, die aus der Luft angreifen, und auch die Zootiere, die ausgebrochen sind und auf ihre eigene Art nach Nahrung jagen, bestimmen das Landschaftsbild. Rhiannon und Lisa können nicht schwimmen, sodass sie ihren Weg nach Manhattan über Brücken nehmen müssen. Doch diese sind bewacht, und in der neuen Welt gelten als Währung einzig Naturalien (Lebensmittel in Konservendosen) oder der eigene Körper. Und so wird Rhiannon wohl nicht umhinkommen, ihre Armbrust das ein oder andere Mal auch gegen menschliche Angreifer einzusetzen.

Immer wieder wird man als Hörerin oder Hörer hochschrecken und sich hoffentlich nicht am eigenen Steuer befinden, denn Rhiannon und die anderen Menschen leiden unter einer „Hyperakusis“. Sie haben also eine extreme Hörempfindlichkeit. Dagegen tragen sie einen Hörschutz, den sie aber auch abnehmen, um die Umgebung und mögliche Gefahren genauer wahrnehmen zu können. Immer dann kommt es zu akustischen Gefährdungen. Neben diesem Leiden existiert in der Hörspielwelt von „Und auf Erden Stille“ ein Virus. Dieser führt dazu, dass die männlichen Bewohner nach der Geschlechtsreife keine zwei Jahre an Überlebensdauer mehr übrig haben. Frauen übertragen den fiktiven Virus aus „Und auf Erden Stille“, ohne selbst zu sterben, sodass der Geschlechtsverkehr und der Fortbestand der Menschheit stetig in Gefahr ist. Daher wird dieser fiktive Virus im Hörspiel „Adamsvirus“ getauft. Während der Reise erfährt Rhiannon, wie die Welt außerhalb ihrer Höhle „Novis“ aussieht und dass es Gefahren gibt, die sie nicht hätte erträumen können. Gut, dass sie und Lisa nicht durch den Fluss geschwommen sind …

Rhiannon hat das Lesen gelernt und kann sich daher besser als andere zurechtfinden. Diese Fertigkeit möchte sich, nach einem dramatischen Zwischenfall, ein zweiter Weggefährte zu Nutzen machen. Ein „Ranger“ bietet Rhiannon an, sie sicher nach Manhattan zu führen. Im Gegenzug soll sie ihn an einen Ort in Manhattan begleiten und ihm dort etwas „vorlesen“. Kann sie einem (männlichen) Unbekannten vertrauen? Aber könnte sie sonst überhaupt weiterreisen? In Manhattan soll ein Bandenkrieg herrschen, Zugtunnel sollen geflutet sein und Hochhäuser dadurch einstürzen – ein gefährliches Gebiet. Auch kann es hilfreich sein, jemanden zum Wasserabkochen, Proviant (Mais) ernten und Wachehalten neben sich zu wissen.

„Damit das Böse sein Ziel erreicht, braucht es nicht mehr, als dass die Guten zuschauen und nichts tun.“ Dieser Satz fällt direkt zu Beginn des Hörspiels im „Trailer“. Der Satz gehört zu einer parallelen Geschichte, welche in „Und auf Erden Stille“ erzählt wird und vor der Reise von Rhiannon spielt. Noch vor Beginn der erzählten Pandemie durch den „Adamsvirus“, beschäftigten sich Journalisten mit den Geschehnissen rund um dieses Phänomen. Ein Hamburger Journalist, witterte eine Verschwörung rund um ein privates Konsortium, welches einen „Virus“ als Impfstoff in einem Flüchtlingscamp eingesetzt haben soll. Darauf aber sollen die männlichen Flüchtlinge in kürzester Zeit gestorben sein und sich zur Wehr gesetzt haben, indem sie den „Stoff“ kaperten und sich damit auf Malta zu Verhandlungsgesprächen mit der Regierung verabredeten. Die Hörerinnen und Hörer, die wissen, wie die Welt für Rhiannon nun aussieht, müssen mit Spannung und auch Missmut zuhören, wie in der Vergangenheit die Dystopie unausweichlich „vorangetrieben“ wurde.

Die technische und akustische Umsetzung der Geschichte, die laut Folgereich übrigens vor dem Ausbruch der realen Corona-Pandemie geschrieben wurde, ist, wie man es von einem professionellen Hörspiel unserer Zeit erwartet, sehr gelungen. Ein „Blockbuster für die Ohren“ kann darin allemal gesehen werden. Zu der Musik hätte man sich einen individuelleren Soundtrack wünschen können, der auch mal mit Gesang glänzt. Insgesamt aber reiht sich die Musik passend in die dystopische Grundstimmung ein. Etwas einfach dagegen wirken in Teilen die Gespräche. Rhiannon ist trotz ihres Alters durch die Isolation in dem Bergwerk sehr unbedarft und muss sich vieles von anderen erklären lassen. Sie fragt beispielsweise den Ranger: „Niper?“, wohin dieser äußert: „Sniper“. Das mag zwar zur Darstellung von Rhiannon dienen, ist für die Hörerinnen und Hörer aber irgendwie etwas störend. Auch die Moralphrasen, die den Hörerinnen und Hörern mitgeteilt werden wie: „Weglaufen kann jeder“ oder „Wie man mit dem Karren umgeht, wenn er im Dreck steckt, darauf kommt es an“ wirken aufgesetzt.

Sehr angenehm ist die Erzählstimme von Vera Teltz, sowie die Stimme der Protagonistin durch Sarah Alles. Sarah Alles und auch Björn Schalla („Ranger“) tragen so insgesamt die Geschichte bis zu ihrem vorläufigen Ende. Wie es weiter geht, wird man erst mit der schon angekündigten zweiten und gleichzeitig letzten Staffel erfahren. Es bleibt daher spannend, ob „Und auf Erden Stille“ als Gesamtwerk mit abgeschlossenen Blockbuster-Hörspielen wie „End of Time“ oder dem abgeschlossenen dystopischen Hörspiel „Jori“ (beide vom Regisseur Oliver Döring) mithalten kann. Der Einstieg ist hiermit gemacht worden.

Fazit: „Und auf Erden Stille“ ist eine Hörspiel-Serie, die mit Staffel 1 den Auftakt bietet für dystopische Stunden. Wer sich von der Erzählweise mitreißen lassen möchte, der wird hier fündig. Am besten aber wartet man mit dem Hören auf das Erscheinen von Staffel 2, um so eine zusammenhängende Geschichte ohne Cliffhanger und ein hoffentlich packendes Finale zu erleben.

Und auf Erden Stille – Staffel 1
Hörspiel von Jochim-C. Redeker und Balthasar von Weymarn
Folgenreich 2020
ISBN: 0602508814273
4 CD, ca. 239 min., deutsch
Preis: EUR 19,95

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