Und auf Erden Stille – Interview mit Balthasar von Weymarn

Anlässlich der Veröffentlichung unserer Rezension hat der Ringbote mit einem der Macher, Balthasar von Weymarn, ein Interview geführt. Wie war die Arbeit an diesem Debütprojekt? Welche Inspirationen gab es? Und was hat es mit der Hyperakusis auf sich? Antworten findet ihr hier.

Fragen von Daniel Pabst

Ringbote: Zunächst vielen Dank, dass Sie sich für den Ringboten die Zeit genommen haben. Ich beginne mal damit, dass ich gelesen habe, dass Sie mit dem Hörspiel „Und auf Erden Stille“ erstmals eine Geschichte in Form eines Hörspiels geschrieben, dabei Regie geführt, und es coproduziert haben. Warum haben Sie sich dazu entschieden, der Hörgemeinschaft gleich eine ganze Hörspiel-Serie, bei der die erste Staffel allein rund 239 Minuten beträgt, zu präsentieren, anstatt mit einem kleineren Projekt zu starten?

Balthasar von Weymarn: Nun, mit der Manuskript- und Regiearbeit der anderen Interplanar-Serien habe ich ja schon etwas Erfahrung sammeln können; neu war hier für mich, dass ich keine Buchvorlage hatte, an der ich mich orientieren konnte oder musste. Das ist dann aber Arbeiten ohne Sicherheitsnetz, denn wenn jemand die zugrunde liegende Story nicht mag, ist es „meine Schuld“. Dass es gleich eine Staffel wurde, hat viel mit den veränderten Serien-Konsumgewohnheiten zu tun (oder neudeutsch: dem Bingeing). Serien werden bei Netflix & Co auch gerne komplett am Stück veröffentlicht. Damit hat man das Gefühl: „Okay, ich werde auch das Ende der Geschichte erleben können, man lässt mich nicht hängen.“ Dass wir mit Folgenreich ein Label an der Seite haben, das bereit war, diesen Schritt zu machen, ist natürlich phantastisch.

RB: In Ihrem Hörspiel folgen wir der Protagonistin, der 16-jährigen Rhiannon, wie Sie auf die Reise geschickt wird, ihren Vater ausfindig zu machen. Stand für Sie von Anfang an fest, eine junge, weibliche Person in den Mittelpunkt zu stellen?

BvW: Ja.

RB: Und welche Bedeutung spielte für Sie der „familiäre Konflikt“, der für Rhiannon dadurch entsteht, dass ihr Vater für die „Große Katastrophe“, konkret die Erschaffung des Virus, verantwortlich gemacht wird? Haben Sie da andere berühmte Werke, in denen die Sohn-Vater- beziehungsweise Tochter-Vater-Beziehung konfliktreich ist, wie es zum Beispiel bei „Star Wars“ der Fall ist, inspiriert?

BvW: Eltern-Kind-Beziehungen sind die archetypischsten, die es gibt, aus ihnen entstehen die stärksten Konflikte, und das nicht erst seit „Star Wars“. Alle können sich darin wiederfinden. In Joseph Campbells Forschungen zu den Mythen der Menschheit quer über alle Kulturen hinweg tauchte die Begegnung mit dem Vater und der Mutter als einem Spiegel des eigenen Selbst immer wieder auf, weil man dieser Beziehung nicht entrinnen kann. Mir fallen dabei die Schlussworte von Kal-El aus „Superman Returns“, ein, die er zu seinem schlafenden Sohn spricht – sie stehen für die Beziehung von Eltern zu Kindern generell, so, wie sie sein sollte. Und Rhiannons Weg, ihre Suche nach ihrem Vater, der angeklagt ist, ein ungeheures Verbrechen begangen zu haben, ist ein Weg von ihr zu sich selbst. In der Begegnung mit ihrem Vater wird sie sich selbst letztendlich ein Stück weit finden.

RB: Was hat Sie zu „Und auf Erden Stille“ inspiriert, beziehungsweise woher kam der Wunsch einen dystopischen Endzeit-Thriller zu produzieren?

BvW: Die Menschheit ist derzeit wirklich nicht auf dem besten Weg, für ihr Überleben zu sorgen. Die Achillesferse unserer Spezies, nämlich das Denken vorrangig an den eigenen Vorteil auf Kosten des Ganzen, hat ihr die uneingeschränkte Herrschaft über den Planeten verschafft. Jetzt könnte dieses Denken ihr Untergang sein – weil aus Sicht evolutionärer Vorgänge nun vielleicht die Zeit nicht reicht, um noch eine Wendung in unserem Denken und Streben ohne eine große Katastrophe herbeizuführen. Bei der äußeren Darstellung hat mir das Buch „Die Welt ohne uns“ von Alan Weisman sehr geholfen. Die Gedanken, die die Serie tragen, sind meine Gedankenspiele: Wie ist es, wenn die Umstände uns die Entscheidung aus der Hand genommen haben und wir nicht mehr wählen können, wie wir leben wollen? Wie leben wir dann? Ich wollte versuchen, eine solche Welt vor Augen zu führen, auch wenn es „nur“ auf der Tonspur ist.

RB: Apropos Tonspur: Die „Hyperakusis“, also eine extreme Hörempfindlichkeit, unter der unter anderem die Protagonistin leidet, hat mich zu Beginn beim Hören hochschrecken lassen. Das war natürlich für ein Hörspiel akustisch sehr passend und kam unerwartet. Haben Sie beim Schreiben der Geschichte bewusst daran gedacht, wie das als Hörspiel wirkt, oder haben Sie zuerst die Geschichte geschrieben und danach die Umsetzung in Hörspielform „angepasst“?

BvW: Es wäre für diese Geschichte auch möglich gewesen, einen anderen Sinn des Menschen mit einer Überlastung zu belegen, zum Beispiel das Sehen oder Riechen. Eine extreme Licht- oder Geruchsempfindlichkeit würde unsere Zivilisation ebenso zum Stillstand bringen, wie es hier die Hyperakusis tut. Da ich den Stoff zuerst in Hörspielform entwickelt habe, fiel aber die Wahl leicht.

RB: In „Und auf Erden Stille“ wird durch das eigene Sounddesign und die Musik die dystopische Grundstimmung passend hergestellt. Dabei ist mir aufgefallen, dass der Soundtrack auf Gesang verzichtet. Hat das eine eigene Bedeutung oder dürfen wir in der kommenden Staffel 2 neben instrumentalen Klängen auch ein Lied erwarten?

BvW: Ich will dem Produzenten, Sounddesigner und Komponisten Jochim hier nicht vorgreifen, aber ich glaube nicht, dass in der 2. Staffel Gesang zum Einsatz kommt. Jochim ist in der Wolle gefärbter Instrumentalmusiker.

RB: Staffel 2 wurde ja bereits vom Hörspiel- und Hörbuch-Label Folgenreich angekündigt. Ich gehe davon aus, dass es schwer fällt, zu dieser bereits etwas zu verraten, und Sie diese Frage sicher auch oft gestellt bekommen. Dennoch versuche ich es einmal: Können Sie den Hörerinnen und Hörern etwas über Staffel 2 erzählen?

BvW: Der Untertitel von Tolkiens „Der Hobbit“ ist bekanntlich „There and back again“. Das trifft es gut; zu einer guten Geschichte gehören Aufbruch und Heimkehr. Die erste Staffel zeigt Rhiannons Hinweg, die zweite ihren Rückweg. Dabei hat sie jetzt nicht nur ihren Zugang zu ihrem Vater zu finden, sondern sich auch der Verantwortung zu stellen, die eine mögliche „Kur“ der Menschheit von einer der beiden Pandemien mit sich bringt. Dieser Weg ist natürlich nicht ungefährlich. Und ein paar Fragen sind ja bisher unbeantwortet: Wie war es möglich, dass Rhiannon ihrem Vater begegnete? Wer sind die Wallianer, von denen immer wieder die Rede ist? Darauf sollten sich Antworten finden lassen.

RB: Zum Abschluss möchte ich ein Zitat anbringen, das in „Und auf Erden Stille“ mehrfach zu hören ist: „Damit das Böse sein Ziel erreicht, braucht es nicht mehr, als dass die Guten zuschauen und nichts tun.“ Ich habe da an den irisch-britischen Philosophen und Schriftsteller Edmund Burke denken müssen, der 1770 in seiner politischen Broschüre „Gedanken über die Ursache der gegenwärtigen Unzufriedenheit“ schrieb (ins Deutsche übersetzt): „Wenn sich böse Männer zusammentun, müssen dies die Guten ebenfalls; sonst werden sie, einer nach dem anderen, fallen, mitleidlos geopfert in einem verachtenswerten Kampf.“ Möchten Sie also, dass die Hörerinnen und Hörer neben einer mitreißenden Erzählweise und dystopischen Stunden, in denen man die reale Welt „da draußen“ vergessen kann, noch etwas anderes mitnehmen? Wenn ja: Was würden Sie sich da wünschen?

BvW: Ist jemals etwas Gutes daraus entstanden, wenn Menschen beim Miterleben von Unrecht, Ungerechtigkeit oder Gefahr sagten „das geht mich nichts an“? Unsere erste Serie, die Vertonungen der „Mark Brandis“-Bücher, hatte als Hauptfigur einen Raumfahrer, dessen Leitlinie eine ähnliche war: „Woran du glaubst, dafür sollst du leben und sterben“. Nach ihr hat er gehandelt, und diese Gradlinigkeit hat ihm oft mehr geschadet als genützt. Er hat an seinen Prinzipien oft gezweifelt und mit ihnen gerungen, aber sie nie aufgegeben. Die Welt, in der Mark Brandis spielt, ist optimistischer: Hier gibt es große Staatenverbände, und die Menschheit hat es bis in den Weltraum geschafft. In dieser Frage bin ich pessimistischer geworden. Aber wenn wir auf der Erde noch eine langfristige Perspektive haben wollen, in der es den Menschen, und nicht nur ihnen, gut geht, dann ist das erwähnte Zitat von Burke wichtiger denn je: Denn weiter darauf zu vertrauen, dass es schon irgendwie hinhauen wird, führt zu nichts Gutem. Wenn nach dem Hören von „Und auf Erden Stille“ die eine Hörerin oder der andere Hörer denkt „soweit sollte es nicht kommen, und ich werde jetzt etwas dazu tun“, und das dann auch umsetzt, dann freut mich das.

RB: Dann wollen wir das hoffen! Nochmals vielen Dank. Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Unterhaltung nach Erscheinen von „Und auf Erden Stille – Staffel 2“ fortsetzen könnten, um allen Hörspiel-Interessierten die Faszination der Welt der Hörspiele ein wenig näher zu bringen, sowie Hörspiel-Kennerinnern und -Kennern Hintergrundinformationen über diese neue Serie von Ihnen zu geben.

BvW: Gerne!