Tränen einer Göttin

In einer fernöstlichen Hafenstadt wurden aus dem Tempel wertvolle Reliquien gestohlen, die Tränen der Nüwa. Das verwerfliche Verbrechen geht auf das Konto dreier Meisterdiebe. Gut, dass unsere Heldin, eine furchtlose Kopfgeldjägerin, über die nötigen Fähigkeiten und Kontakte verfügt, um ihnen auf die Schliche zu kommen. Denn die Zeit drängt: Bei Anbruch der Nacht werden die auch als Sprösslinge bezeichneten Reliquien verdorren. Soweit zumindest die Legende.

von Michael Wilhelm

Die Reihe der Spiele-Comics aus dem Hause Pegasus stellt eine noch relativ junge Form der interaktiven Unterhaltung dar. Seit etwa drei Jahren war es möglich, auf den Spuren des Meisterdetektivs Sherlock Holmes oder im mittelalterlichen Ritter-Setting auf Comic-Abenteuer zu ziehen. Mit „Tränen einer Göttin“ wird nun ein fernöstliches Kapitel aufgeschlagen.

Im schicken Hardcover mit hübscher Kirschblüten-Illustration und Prägedruck stecken fast 240 farbenprächtige Panels, die den nummerierten Abschnitten aus den altbekannten und vielgeliebten Fighting-Fantasy-Büchern von Steve Jackson und Ian Livingstone entsprechen. Die Games-Workshop-Gründer und Erfinder der Abenteuer-Spiele-Bücher, wie die Dinger sperrig auf deutsch genannt werden, haben mit ihrem Erstling „Der Hexenmeister vom Flammenden Berg“ sozusagen vor fast 40 Jahren den Grundstein für diese Art der Unterhaltung gelegt. Und wer sich wie ich zahllose Male auf den Weg gemacht hat, den Hexenmeister zu bekämpfen (oder sich in einem der zahlreichen anderen Genres von Science-Fiction über Piraten bis Geistergeschichte versucht hat), fühlt sich schnell heimisch.

Nach 2 Seiten übersichtlicher Regeln geht es mit einer 6-seitigen Einleitung los. Wir lernen unsere Heldin kennen, erfahren vom frevelhaften Raub der Tränen der Nüwa und, viel wichtiger noch, von unserer zu erwartenden Belohnung. Passenderweise haben wir mit einem der drei Diebe auch noch eine Rechnung offen. Und dann kann es auch mit Panel 1 losgehen. In jedem Panel finden sich die möglichen Pfade als Zahlen im Bild verteilt. Geht man die Straße zum Hafen runter, steht die Nummer des nächsten Panels sozusagen auf die Straße gemalt.



Vom Tempel ausgehend können wir nun die drei Stadtteile erkunden: den Hafen, das Händlerviertel und das Armenviertel. Praktischerweise hat jeder der drei Diebe in einem der Stadtteile Spuren hinterlassen. Also bewegen wir uns Panel für Panel fort, um den Spuren zu folgen und die Diebe (tot oder lebendig) zu fangen und die Reliquien zum Tempel zurückzubringen. Dabei muss genau auf die Zeit geachtet werden, denn bis Einbruch der Dunkelheit müssen wir den Job erledigt haben. Dazu sind an manchen Panels Sanduhren gezeichnet, die das Verstreichen der Zeit anzeigen und auf dem Charakterbogen markiert werden sollen.

Den Charakterbogen finden wir vorne im Buch oder als Download auf der Seite von Pegasus Spiele. Ansonsten wird nur ein Bleistift benötigt. Würfel brauchen wir (anders als bei den meisten „herkömmlichen“ Abenteuer-Spiele-Büchern) keine. Somit ist der Erfolg unserer Mission nicht vom Zufall abhängig. Dafür umso mehr von unseren Entscheidungen. Und die wollen gut überlegt sein, denn die Hafenstadt ist ein gefährlicher Ort und so wird unsere Heldin so manches Mal scheitern, indem sie einer Falle oder den Schwerter der Schurken erliegt, denn die zu Beginn 16 Lebenspunkte können schnell zur Neige gehen.



Auch die Zeit verstreicht schnell und so wird es bei den ersten Partien kaum gelingen, alle Tränen rechtzeitig zurückzuholen. Es braucht sicher mehrere Anläufe (und ein guten Gedächtnis oder sorgfältige Notizen), bis man den optimalen Weg durch die Stadt gefunden hat. Obendrein hat man zu Beginn die Wahl zwischen den drei besonderen Fähigkeiten Waffenwurf, Verkleidung und Diebeskunst, was an mehreren Stellen zu verschiedenen Optionen führt.

Zum Schluss kann man anhand einer Erfolge-Liste noch eine Punktzahl bestimmen. Je nach Zahl der geretteten Reliquien, übrigen Lebenspunkten, gelösten Rätsel oder verbrauchter Zeit können bis zu 28 Punkte erspielt werden, wobei schon mittlere Punktzahlen eine echte Herausforderung darstellen.

Fazit: „Tränen einer Göttin“ erzählt eine spannende und rasante interaktive Geschichte. Die Comic-Illustrationen sind stimmungsvoll und stets hübsch anzusehen. Der knackige Schwierigkeitsgrad, die trotz insgesamt begrenztem Umfang des Materials große Variabilität der Pfade und die unterschiedlichen Start-Fähigkeiten sorgen für reichlich Wiederspielwert.

Tränen einer Göttin
Abenteuer-Spiele-Comic ab 12 Jahren
Manuro & Jurdic
Pegasus Spiele 2019
ISBN: 9783957892379
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 14,95

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