von Frank Stein
Normalerweise würde an dieser Stelle nun eine Inhaltsangabe erfolgen, doch eine Inhaltsangabe fällt schwer, denn im Grunde hat George Manns Roman keine klassische Handlung im dramaturgischen Sinne. Stattdessen wird ein breit angelegtes Bild vom Stand der Dinge in der Galaxis gezeichnet, und dies in zahlreichen Parallelsträngen. Ein Jahr ist es her, seit die Piratenhorden der Nihil unter ihrem Anführer, dem jedi-hassenden Marchion Ro, ihren großen Sieg über die Republik gefeiert haben. Nicht nur haben sie das Symbol der Hoffnung, die Starlight-Station, im Orbit des Planeten Eiram gesprengt und so zum spektakulären Absturz gebracht. Darüber hinaus, und das wirkt sehr viel stärker nach, haben sie mithilfe wundersamer Technik den sogenannten Sturmwall errichtet, eine für Schiffe im Hyperraumflug undurchdringliche Barriere, die zehn Sektoren des Äußeren Rands seitdem abgeriegelt hat. In dieser sogenannten Okklusionszone herrschen die Nihil nach Lust und Laune, brutal und ohne Gewissen. Und die Republik hat keine Ahnung, wie sie dieser Bedrohung Herr werden soll.
Und so erzählt uns Mann von den verschiedensten Charakteren auf beiden Seiten des Walls, die irgendwie klarzukommen versuchen. Manche sind dabei von Schuld zerfressen, wie Elzar Mann, der aufgrund eines einzelnen Zornausbruchs womöglich die Rettung der Starlight-Station seinerzeit verhindert hat. Nun ist sein Freund Stellan Gios tot – neben vielen anderen – und seine „Liebe“ Avar Kriss ist hinter dem Sturmwall verschollen. Die wiederum fühlt sich nicht mehr wie die Heldin von früher, weil sie damals nicht da war, als „ihre“ Station angegriffen wurde, und seitdem allein hinter feindlichen Linien hockt, abgeschnitten von Freunden und der Macht entfremdet und irgendwie unfähig, einen wirklichen Unterschied zu bewirken. Mit dieser Frustration kämpft auch der alte Jedi Porter Engle, der versucht, irgendwie Kontakt mit der Republik herzustellen, während auf der anderen Seite der junge Jedi Bell Zettifar bei Patrouillenflügen zunehmend frustriert ist, weil sie einfach kein Schiff der Nihil fangen können, deren Pfadantriebe der Schlüssel zum Durchdringen des Sturmwalls wäre. Kanzerlin Lina Soh hadert mit dem Schicksal ihres verlorenen Sohns, der Jedi-Rat weiß nicht, wie er den jedi-tötenden „namenlosen“ Kreaturen der Nihil begegnen soll, Journalistin Rhil Dairo erträgt es kaum, als Gefangene das Sprachrohr der Nihil sein zu müssen und die Ex-Senatorin Ghirra Starros verzweifelt an dem Projekt, aus Marchion Ro eine Art Staatsmann zu machen.
Man sieht: Es passiert unglaublich viel. Dabei geschieht auch das ein oder andere Drama, das will ich – ohne zu spoilern – gar nicht leugnen. Unterm Strich jedoch vergeht vor allem Zeit, in der Dinge passieren. Am Ende des Romans hat sich der Zustand der Galaxis nicht wesentlich verändert. Okay, das stimmt so nicht ganz. Es gibt schon eine weitere Krise, aber an der Gesamtsituation auf beiden Seiten ändert das eigentlich nichts.
Diese Gesamtsituation ist für mich der größte Kritikpunkt. Das fängt mit einem – in meinen Augen – erzählerischen Kardinalfehler an. Die Zeitspanne zwischen Phase eins und drei ist zu lang. Ein Jahr ist vergangen – und seitdem hat sich nichts getan! Die Jedi sind in ihrem Kampf gegen die Namenlosen keinen Schritt weitergekommen. Die Republik beißt sich am Sturmwall die Zähne aus. Und Marchion Ro hockt planlos und unbehelligt in seiner Okklusionszone herum. Nichts davon ist logisch, wenn man ein bisschen darüber nachdenkt.
Punkt 1: die Namenlosen. Warum machen sich die Jedi vor diesen Monstern dermaßen in die Hose? Ja, sie können Jedi den Verstand rauben, sie hilflos machen und dann töten. Aber die von Mann sorgsam totgeschwiegende Lösung dafür liegt auf der Hand. Zukünftig sollten Jedi einfach immer in Begleitung von ein paar schwer bewaffneten Soldaten oder Kampfdroiden unterwegs sein. Denn die sind gegen die Kräfte der Namenlosen völlig gefeit, wie Szenen bei den Nihil immer wieder beweisen.
Punkt 2: der Sturmwall. Es heißt, er sei nicht zu durchdringen. Zerstört man eine Boje, rücken andere nach und reparieren den Wall. Doch man fragt sich: Wie schnell kann Ro diese Bojen eigentlich nachproduzieren, wenn sie solche Wunderwerke der Technik sind? Eine Flotte kann binnen Minuten sechs Bojen zerstören – wird so beschrieben –, also könnte sie auch sechzig oder sechshundert binnen Tagen ausschalten. Können das die Nihil einfach ersetzen? Sowieso: Warum kommt niemand auf die Idee, eine Boje zu kapern und dann von Hackern analysieren zu lassen. Jede Software lässt sich knacken – wenn man ein Jahr lang Zeit dazu hat. Doch es darf nicht sein, also bleibt der Roman absichtlich vage und orakelt nur, dass man bisher nichts dagegen tun konnte.
Punkt 3: die Okklusionszone. Die Nihil sind ein Trupp von etwa hunderttausend Mann, das wird ein paar Mal erwähnt. Wie können die zehn Sektoren mit zig Welten ein Jahr lang halten? Da sind Welten wie Hetzal mit dabei, mit 40 Milliarden Einwohnern. Später kommen Sullust (ca. 1 Milliarde), Ryloth (1,5 Milliarden), Utapau (100 Millionen) und mehr dazu. Hat keine dieser Welten eigene Streitkräfte? Kann sich niemand gegen diese Handvoll Plünderer wehren? Bei aller Macht, die ein Verrückter mit einer Waffe gegenüber Zivilisten hat, funktionieren hier einfach die Zahlen nicht. Dass sich die Nihil ein Jahr lang ohne jede nennenswerte Opposition halten können, ist nicht glaubwürdig. Niemals hätten sie mit so wenig Leuten die Kontrolle über so große Zivilisationen erringen geschweige denn behalten können.
Aber gut: „Star Wars“ hatte es noch nie groß mit Logik. Sonst gäbe es weder den Todesstern noch die Starkiller-Base. Drama war immer wichtiger. ;-) All die genannten Probleme hätten sich übrigens lösen lassen, wenn die Zeitdauer zwischen Phase eins und Phase drei vielleicht nur ein paar Monate betragen hätte, denn diese Zeitdauer ohne Erfolge und Aufruhr gegen die Nihil hätte man mit Schockstarre der Betroffenen und allgemeinem Chaos erklären können.
Damit das nicht falsch rüberkommt: „Das Auge der Finsternis“ liest sich durchaus spannend. Die grundsätzliche Lage bietet viele Ansatzpunkte für persönliches Drama und Gefahrensituationen. Auch die Charakterzeichnung ist, wenngleich stellenweise repetitiv, als gelungen zu bezeichnen. Im Finale schließlich gelingt Mann eine spannende, actionreiche Entwicklung, die einen durch die letzten Seiten förmlich fliegen lässt. Aber: Man muss mit den erwähnten Kritikpunkten einfach leben können, ansonsten ärgert man sich über diesen Einstieg in die Phase drei.
Fazit: „Das Auge der Finsternis“ erzählt vom Zustand der Galaxis ein Jahr nach Phase eins. Autor George Mann bringt uns alle Figuren wieder nahe und schildert uns ihre ganz persönlichen Schicksale, die oft von Schuld und Verzweiflung geprägt sind. Der Kampf gegen die Nihil ist allerdings in all der Zeit kein bisschen weitergekommen, was bei genauerer Betrachtung ziemlich unlogisch wirkt. Ein spannendes, auch durchaus dramatisches Buch, bei dem man allerdings nicht zu genau über die Gesamtsituation nachdenken darf, ansonsten ärgert man sich über die erzwungene Dummheit der Guten und die unerklärliche Stärke der Bösen.
Star Wars – Die Hohe Republik: Das Auge der Finsternis
Film/Serien-Roman
George Mann
blanvalet 2024
ISBN: 978-3-7341-6386-9
494 S., Paperback, deutsch
Preis: 16,00 EUR
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