Spider-Man: Im Netz des Grauens

„Spider-Man: Im Netz des Grauens“ verspricht, die vertraute Welt des beliebten Marvel-Superhelden in eine düstere und unheimliche Dimension zu verwandeln. Die nette Spinne aus der Nachbarschaft geistert plötzlich durch eine albtraumhafte Welt. Was ist denn da passiert? Kommt mit auf eine schaurige Reise, bei der nichts so ist, wie es scheint …

von Daniel Pabst

Der Comic „Spider-Man: Im Netz des Grauens“, geschrieben von Saladin Ahmed und mit den Zeichnungen von Juan Ferreyra, versucht sich an etwas sehr seltenem im „Spider-Man“-Storytelling, nämlich einer Spider-Man-Story ganz im Zeichen des Horrors. Auf den 188 Seiten bekommt ihr die deutsche Übersetzung der Reihe „Spine-Tingling Spider-Man“ aus dem Jahre 2023 (aufgeteilt in die Kapitel: „Traumlose Hölle“, „Ausradiert“, „Die Folterkammer“, „Der Ausbruch“ und „Showdown“). Der gesamte Einzelband kann übrigens ohne Vorwissen über den „Spider-Man“-Kosmos gelesen werden, wobei Kenntnisse nicht schaden.

In „Traumlose Hölle“, welche ursprünglich als digitaler Cartoon erschienen ist, werden die Lesenden mit einem auch ihnen leider nur allzu bekannten Phänomen konfrontiert, das da lautet: Schlafmangel. Auch Peter Parker hat seit geraumer Zeit keinen richtigen Schlaf mehr genossen. Schuld daran sind jedoch nicht zu viel Arbeit, die innere Unruhe, die Angst vor der Zukunft oder ein zu voller Helden-Stundenplan, sondern vor allem eine abscheuliche Melodie in Peter Parkers Kopf. Immer wenn die folgenden Zeilen einsetzen, wird der Schlaf unmöglich: „Close your eyes. Go to sleep. The man with the knife cuts down the sheep“. Wieso tobt ein solch schreckliches Lied in Peters Kopf? Wie nur diesen Zeilen entkommen?

Was zu Beginn – neben dem ungewöhnlichen Horror-Genre für „Spider-Man“ – besonders ins Auge springt, sind die Zeichnungen und Kolorierungen von Juan Ferreyra. Der Künstler schöpft diverse Möglichkeiten der modernen Panelgestaltung aus, um die Seite so lebendig und schockierend wie möglich werden zu lassen. Hierfür löst er sich beispielsweise gehäuft von den klassischen Panels, indem er keine Rahmen zeichnet. Oder aber er legt einzelne Panels übereinander. Dann wiederum verzichtet Ferreyra bewusst auf Hintergründe, wodurch Parkers Schlafmangel nochmal eindrücklicher wird und lässt ihn zum Beispiel von der oberen linken Seite in die untere rechte Seitenecke in sechs kleinen Zeichnungen fallen. Hinzu kommen „unfertige“ Zeichnungen im Stile eines Skizzenbuchs. Diese Vielfalt sieht man selten.

Auch die weiteren Kapitel starten mit einer realen Sorge. Statt des Schlafmangels ist es diesmal die Frage: Was wäre, wenn man plötzlich alle Beziehungen verlieren würde? Es tut weh, Spider-Man auf den Seiten zu begleiten und zu sehen, wie er von seinen engsten Familienmitgliedern und Freunden abgewiesen wird. Seine Tante May hält ihn für einen Telefon-Betrüger, der den „Enkeltrick“ anwendet, und Mary-Jane, Peters große Liebe, sieht in ihm lediglich einen verrückten Stalker. Statt wie so oft schon gelesen, sind es diesmal nicht die Widersacher, die in einem Spinnennetz zappeln, sondern Spider-Man höchstpersönlich. Kann man einem solchen dichten Netz (der Lügen) entkommen? Zu allem Überdruss wurden dem Netzschwinger seine übernatürlichen Sinne und Kräfte geraubt. Wer steckt hinter diesem Wahnsinn?

Wie schon zu Beginn überzeugen die Zeichnungen von Juan Ferreyra auch im weiteren Verlauf. An Schockern und blutigen Szenen wird nicht gespart. Dadurch wird dieser Comic für Fans von Spider-Man oder Freunde von Superheldengeschichten zu keiner leichten Kost. Aber auch für Fans von Horrorgeschichten sind einzelne Illustrationen nur schwer auszuhalten. Da trifft der Titel „Im Netz des Grauens“ voll ins Schwarze. Inhaltlich muss sich dieser Comic ebenfalls nicht verstecken. Saladin Ahmed hat seine dunklen Ideen durchdacht und eine zusammenhängende Geschichte erdacht, die bis zum Ende überzeugt. Vor allem der Einstieg mit den wiederkehrenden Horrormelodien bleibt in Erinnerung und bereitet Gänsehaut.

Fazit: Das Experiment einer „Spider-Man“-Horror-Story hat verblüffend gut funktioniert. Durch die Kombination einer spannungsvollen Geschichte mit sehr kreativen Illustration werden die Lesenden von Seite eins an gepackt. Wie so oft bei Horrorgeschichten hat man auch hier zwar keine echte Chance, mitzuraten, wer der Drahtzieher hinter dem irren Wahnsinn ist, man wird jedoch bestens unterhalten und geschockt. Die starken Zeichnungen von Ferreyra und die Story von Ahmed machen diesen Comic-Einzelband zu einem eindrucksvollen Ausflug in das Horror-Genre. Gruselig gut!

Spider-Man: Im Netz des Grauens
Comic
Saladin Ahmed, Juan Ferreyra
Panini Comics 2024
ISBN: 978-3-7416-3643-1
188 S., Softcover, deutsch
Preis: 24,00 EUR

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