Sea Serpent’s Heir – Das Vermächtnis der Seeschlange 1 – Die Piratentochter

Nichts als Wellenschläge hört die junge Aella, während sie des Nachts mal wieder wach ist. Sie schaut verträumt durch ihr kleines Fenster in den Regen hinaus und sieht auf die verlassenen Straßen von Kinamen Isle. Nichts. Keine Abwechslung und nichts, was das Herz eines Mädchens begeistern würde. Ein Abenteuer müsste her! Als sich am nächsten Tag ein sonderbares Schiff der Insel nähert, werden ihre Wünsche erhört. Die Ereignisse schlagen Wellen und werfen die jüngeren und älteren Lesenden in eine Welt voller bunter Fantasie und Magie!

von Daniel Pabst

„Sea Serpent’s Heir – Das Vermächtnis der Seeschlange“ ist ein Comic von Mairghread Scott (Schöpferin und Text) sowie Pablo Tunica (Schöpfer und Zeichnungen). Erschienen ist er bei Crocu – dem Kinder- und Jugendbuchlabel von Cross Cult (Crocu wurde Ende 2022 mit der Ankündigung gelauncht, „auf eine Entdeckungsreise nach ganz neuen Schätzen der Kinder- und Jugendliteratur aus aller Welt“ zu gehen, www.crocu.de/). Aufgeteilt ist der erste Teil von „Sea Serpent’s Heir“ in einen Prolog und sechs Kapitel. Am Ende gibt es neben Informationen zu den Schöpfern auch eine Skizzengalerie und eine Landkarte.

Von dem Label Crocu sollte sich auch das „ältere“ Publikum keinerlei abschrecken lassen. Denn vorab kann gesagt werden, dass dieser Comic von der Art und Weise nicht nur für Kinder- und Jugendliche geeignet ist. Die Protagonistin heißt Aella. Sie ist stets in Begleitung eines stummen roten Krebses und langweilt sich. Denn auf der Insel namens Kinamen Isle gibt es wenig Neues. Ihre Mutter ist tagelang auf der See unterwegs, ihren Vater kennt sie nicht und Besucher gib es auf der Insel eher wenige. So wagt sie Angelausflüge zum „Spurtflossen-Fischen“, unterhält sich mit ihrem stummen Begleiter und speist mit ihren Verwandten im „Blackfin’s Tail“ – einer heruntergekommenen Seefahrergaststätte.

Eines Nachts dann träumt sie von einem riesigen Wesen, das wie eine Seeschlange oder ein Drache aussieht. Vom nächsten Morgen an überschlagen sich die Ereignisse. Mairghread Scott und Pablo Tunica sparen dabei nicht an der stimmungsvollen Untermalung der einzelnen Szenen. Dies wird bereits an der Sprache der Akteure deutlich. Da liest man, wie sich zwei Männer im „Blackfin’s Tail“ über Dämonen unterhalten. Auch eine Narbe ist zu sehen ist. Dazu folgt die Sprechblase: „Aber wenn du erzählen willst, du hätt’st es mit ’nem Dämon getrieben, verpass ich dir gern die Narben, die zu der Geschichte passen“ und ein Dolch wird geschwungen. Dass wenig später Aella von einem Ritter ein Schwert in die Brust gebohrt bekommt, schockiert und gehört zu den Momenten, in denen ein jüngeres Publikum etwas Unterstützung benötigen könnte.

Natürlich stirbt Aella nicht – eine Seite weiter entdeckt sie die Kraft, Dämonenwesen aus sich heraus zu beschwören! Die folgenden Zeichnungen sind besonders stark und actionreich. Als dann noch Aellas Mutter wie aus dem Nichts auftaucht und ein Piratenoutfit trägt, begreift Aella die Welt nicht mehr. Aella hat sich – und mit ihr ihr Körper – mit einem Mal verändert! Das bedarf einer Erklärung. Und so erzählt ihr ihre Mutter eine Geschichte, bei der der Name „Die Königin der Gnade“ auftaucht. Wer also ist ihre Mutter und warum haben es die Ritter der „Kirche des ersten Lichts“ auf Aella abgesehen und wollen sie töten? Auf wen ist noch Verlass?

Die teilweise – für ein Kinder- und Jugendwerk – überraschende Härte wird mit den Zeichnungen und der Kolorierung sehr passend unterstützt. Zu jeder Zeit hat man das Gefühl, tief in die Welt der Seefahrer, Piraten und fantastischen Wesen einzutauchen – fernab der Jetztzeit. Die Gesichtszüge sind – im Gegenteil zu Disney- oder Pixar-Filmen – eher kantig und rau. Auch die Farbgebung ist nicht so knallig. Die Figuren umgibt etwas Mysteriöses und mitunter Trauriges. Aellas Staunen über die Vielfalt der plötzlichen Erlebnisse überträgt sich auf die Lesenden. Denn die andersartige Herangehensweise von Mairghread Scott und Pablo Tunica, bei der Figuren sterben und Blut zu sehen ist, ist keinesfalls schlecht. Sie schafft eine dichte, reale Atmosphäre.
 
Somit wird „Sea Serpent’s Heir – Das Vermächtnis der Seeschlange“ zu einer Erzählung über den Weg von der Kindheit hin zur Erwachsenenwelt. Natürlich darf auch die erste Liebe nicht fehlen. Dass diese nicht immer gleich fürs ganze Leben hält, wird eindrucksvoll dargestellt und verkommt nicht zum Klischeehaften. So als wäre der Schleier gelüftet worden, sieht das Mädchen plötzlich die Welt in einem anderen Licht – nichts ist mehr so, wie es mal gewesen ist. Das ist erfrischend und trotz aller Fantasie in Zügen sogar nah an der Realität.

Wer eine Mischung des Disney-Filmes „Vaiana“ (von Ron Clements und John Musker, 2016) mit dem Film „Fluch der Karibik“ (von Gore Verbinski, 2003) und der Romanreihe „Klippenland-Chroniken“ (von Paul Stewart und Chris Riddell, 2001) sucht, der wird hiervon hellauf begeistert sein.

Fazit: Eine Piraten-Fantasy-Abenteuergeschichte über ein Mädchen, dessen Welt sich mit einem Schlag auf den Kopf stellt, wird euch mit „Sea Serpent’s Heir – Das Vermächtnis der Seeschlange“ geboten. Die Welt, die die Macher geschaffen haben, ist detailreich und gar nicht so harmlos, wie man es von einem Jugendcomic meinen könnte. Die bunte Mischung aus Fantasy, Action und schmerzhaften (Verlust-)Momenten ist berührend und bietet die Möglichkeit – über Altersgrenzen hinweg – diesen Comic zu lesen und sich am Ende auszutauschen. Man darf gespannt sein auf die Fortsetzung mit dem Titel: „„Sea Serpent’s Heir – Das Vermächtnis der Seeschlange 2: Die schwarze Welle“. Der Auftaktband ist sehr gelungen. Empfehlenswert!

Sea Serpent’s Heir – Das Vermächtnis der Seeschlange 1 – Die Piratentochter
Comic
Mairghread Scott, Pablo Tunica
Crocu 2023
ISBN: 978-3-98743-081-7
160 S., Softcover, deutsch
Preis: 18,00 EUR

bei amazon.de bestellen