von Oliver Adam

Die Aufmachung des rund 160 Seiten starken Hardcovers macht einiges her und reiht sich perfekt in das Niveau der bestehenden Publikationen ein. Der komplette Innenteil ist vierfarbig gedruckt, was vor allem das Karten- und Handoutmaterial aufwertet. Zahlreiche zeitgenössische Bilder und Textkästen lockern den Band auf und sorgen für Lesbarkeit und Übersichtlichkeit. Lobend erwähnt sein soll auch die detaillierte Stuttgart-Karte, die in den Umschlagseiten abgedruckt ist. Die den Schwaben nachgesagt Sparsamkeit findet man also auf keinen Fall in der Ausstattung des Bandes wieder.

Ganz im Sinne des Hauptmotivs des Bandes – das Grauen am eigenen Heimatort der Investigatoren – wird der Schauplatz Stuttgart in einem kurzen Quellenteil vorgestellt. Hierbei bilden die geographische Lage, das Leben in Stuttgart sowie Kunst, Kultur und Wissenschaft den Schwerpunkt. Darüber hinaus werden ausgewählte Sagen und Geschichten angesprochen. Insgesamt ein guter Einblick in die Schwabenmetropole, der mit seinen elf Seiten jedoch etwas oberflächlich bleibt und bei Weitem nicht die Tiefe von „Berlin – Welthauptstadt der Sünde“ erreicht.

Das zweite Kapitel widmet sich dem „Leiten einer urbanen Kampagne“ und gibt dem Spielleiter zahlreiche gute Anregungen für den Horror in EINER Stadt, der sich deutlich von weltumspannenden Kampagnenkonzepten unterscheidet. Schließlich haben die Investigatoren am Schauplatz Heimat auch ein privates und berufliches Leben sowie familiäre Bindungen, die alle unter einen Hut bekommen werden müssen. Ein kurzes aber inspirierendes Kapitel.

Das Herz des Bandes ist die Stuttgart-Kampagne, die sich über vier Kapitel erstreckt. In den folgenden Absätzen werde ich auf wesentliche Handlungselemente und Motive der Kampagne eingehen. Wer die Kampagne noch als Spieler erleben möchte, ist eingeladen, gleich zum Fazit zu springen.

Die Kampagne „Schatten einer Stadt“ beginnt zwar im März 1925, jedoch liegen die Wurzeln der Vorkommnisse weit in der Vergangenheit. Sieben wissbegierige Fremde schwärmten 1785 von der romantischen Vorstellung des Okkulten und verursachten durch ein Ritual Risse in der Realität. Zunächst schlummerten diese Risse, in den 1920er Jahren droht jedoch ein Kollaps des Gefüges, da die Nachfahren der damaligen Gemeinschaft wieder aktiv werden.

In „Ein leichtes Säuseln“ wird das gewöhnliche Leben der Investigatoren gestört und merkwürdige und unerklärliche Phänomene häufen sich. Geisterhaften Stimmen und Visionen aus der Vergangenheit geben den Investigatoren einen ersten Einblick und merkwürdige Anomalien überziehen die Stadt. Vier parallel verlaufende Kurzabenteuer konfrontieren sie mit den ersten Boten der Kampagne, die auf den ersten Blick zusammenhanglos erscheinen, aber bereits den Grundstein für die Kampagne liefern. Durch ihren offenen und flexiblen Aufbau lassen sich die Kurzabenteuer hervorragend mit dem täglichen Leben der Investigatoren verflechten und bilden damit einen harmonischen Einstieg in die Kampagne. Die Themen sind gut ausgearbeitet und spannend präsentiert.

Die Hinweise aus dem Vorabenteuer führen die Investigatoren schließlich in „Anthroposoph“ auf die Spur eines Esoterikers an der Spitze einer Schule, der mit Hilfe der Lebensenergie seiner Schüler ein für die Kampagne wichtiges Bauwerk mit Energie versorgt. Das Abenteuer ist anhand von Situationen gegliedert, die es den Spielern ermöglichen, sich sehr frei durch die Welt zu bewegen. Es gibt Vorschläge für den Ablauf, die Spieler können aber ganz unterschiedlich in die Besonderheiten der Schule, der Lehrer und der Schüler einsteigen. Es wäre sogar möglich, Teil der Verschwörung zu werden und als Kultisten auf die „andere Seite“ zu wechseln. Ein sehr spannendes Detektivabenteuer mit facettenreichen Gegenspielern und weitläufigen Handlungsmöglichkeiten. Einzig die schweinsartigen Monster konnten mich nicht überzeugen.

In „Das Tor zu den Sternen“ können die Investigatoren einen der Risse lokalisieren und schließen. Hierfür müssen sie durch den Riss in der Realität schreiten und ein Artefakt aktivieren. Dieses Abenteuer verläuft sehr viel linearer als die vorherigen, da die Investigatoren ein klares Ziel haben. Die Herausforderung an den Spielleiter stellt hier das Vermitteln der Andersartigkeit und Andersweltlichkeit dar, die die Investigatoren hinter den Schleiern der Realität erwarten. Gelingt dies, ist „Das Tor zu den Sternen“ ein beeindruckendes Abenteuer, von dem die Spieler noch lange reden werden.

Das Finale der Kampagne vollzieht sich in „Der Sturm über der Stadt“. Auch wenn die Investigatoren zuvor erfolgreich waren, haben sich in der Zwischenzeit die weiteren Risse vergrößert und sind als blaue Lichtsäulen über der Stadt sichtbar. Die Investigatoren müssen auch diese schließen oder Stuttgart ist auf immer verloren. Das Vorankommen der Investigatoren wird durch eine Kapitulation der Gravitation erschwert, die sich schubweise bemerkbar macht. Das Abenteuer gibt dem Spielleiter zahlreiche kurze Szenen an die Hand, um das überbordende Chaos darzustellen, ebenso gibt es Raum für die Ausgestaltung der persönlichen Ziele. Die Kernaufgabe im Showdown ist jedoch das Schließen der verbliebenen Risse. Dabei beeinflussen die Erfolge der Vorabenteuer die Widerstände, auf die die Investigatoren treffen deutlich. Ein gelungener Abschluss der Kampagne, der viele Möglichkeiten für Action und eindrückliche Erlebnisse bietet.

Fazit: „Schatten einer Stadt“ ist eine „Cthulhu“-Kampagne, in der die Investigatoren dem Mythos nicht um die ganze Welt folgen, sondern den Schrecken vor der eigenen Haustüre in der Schwabenmetropole Stuttgart erleben. Die Kampagne ist abwechslungsreich, fordernd und überzeugt durch einen sehr durchdachten cthuloiden Plot, der gleichzeitig durch viele Antagonisten und Handlungsebenen auch sehr komplex ist. Hier muss der Spielleiter darauf achten, dass seine Gruppe sich in den verschiedenen Handlungssträngen nicht verliert. Eine tolle „Cthulhu“-Kampagne, die sich in nur einer Stadt abspielt, aber absolut auf Augenhöhe mit den weltumspannenden Klassikern ist.

Schatten einer Stadt
Kampagnenband
Marcel Durer, Andreas Osterroth u. a.
Pegasus Press 2021
ISBN: 978-3-96928-033-1
164 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,95

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