Sandy Petersen’s Cthulhu Mythos (II)

„Sandy Petersen's Cthulhu Mythos“ enthält alles, was eine Horror-Kampagne in dieser Adaption der Grundideen von dem Horror-Rollenspiel „Cthulhu“ auf die Regeln des Fantasy-Rollenspiels „Dungeons & Dragons“ der 5. Edition („D&D 5“) ausmacht: schreckenerregende Kreaturen, mächtige Große Alte und Äußere Götter, den Verstand sprengende Mythos-Texte und Zauberformeln, außerdem schreckliche Kulte, neue, mysteriöse, magische Gegenstände und Artefakte sowie neue Regelanpassungen wie Furcht und Geistesstörungen!

von Markus Kolbeck

Aufmachung

Das stabile Hardcoverbuch der Autoren Sandy Petersen, James Jacobs, Arthur Petersen, Ian Starcher und David N. Ross ist 2018 im Verlag Petersen Games im amerikanischen Original erschienen und wurde 2019 vom Verlag Ulisses Spiele ins Deutsche übersetzt. Sandy Petersen, auch Namensgeber für dieses Rollenspiel, gilt schon seit längerem als Urgestein in der Rollenspiel-Szene, vor allem in der aktiven, schreibenden. Der Band umfasst sage und schreibe 426 Seiten und ist schön bebildert, fast immer in Farbe. Die Farbabbildungen sind oft ein Drittel oder zwei Drittel einer Seite groß (manchmal auch etwas kleiner), öfters auch mal eine ganze Seite einnehmend. Es gibt zusätzlich noch kleine schwarz-weiße Zeichnungen.

Das Layout ist ansprechend und ermöglicht es, den Text angenehm zu lesen. Die einzelnen Seiten weisen oben und auf den äußeren Seiten eine Umrandung auf, ein nettes Detail. Auf jeder Textseite steht unten die jeweilige Kapitelüberschrift noch ein Mal wiederholt, sodass man sich gut zurechtfinden kann in diesem doch umfangreichen Werk. Um dieses Rollenspiel-Regelsetting anzuwenden, braucht es noch unbedingt das Grundregelwerk von „D&D 5“. Der Band wurde übrigens von Rollenspiel- und „Cthulhu“-Szene-Größe Frank Heller unterstützt, der sich vor etlichen Jahren einen Namen als Chefredakteur der „Cthulhu“-Reihe bei „Pegasus Spiele“ gemacht hat.

Inhalt

Der Begriff „Cthulhu-Mythos“ geht auf Ideen des US-amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft (1890-1937) zurück, wobei er diesen Begriff nie selbst benutzt hat, sondern vielmehr beispielsweise von „Yog-Sothothery“ sprach. Beim Cthulhu-Mythos handelt es sich um einen fiktiven, literarischen Mythos des kosmischen Grauens. Seine Protagonisten kommen mit mächtigen Wesenheiten und Kulten in Berührung und verlieren oft zumindest den Verstand, manchmal auch das Leben. Der Band umfasst neun Kapitel und zwei Anhänge.

Im Kapitel 1, „Wie man dieses Buch verwendet“, wird nach ein paar einleitenden Worten darauf eingegangen, was der Cthulhu-Mythos ist. Die Menschheit ist nicht das Zentrum des Universums, sondern nur eine Randerscheinung. Auf der Erde gab es vorher schon mächtige Rassen und danach wird es auch noch welche geben. Ausführlicher wird beschrieben, wie man heroische Fantasy mit Horror verknüpfen kann, und die drei Grundregeln des Grauens werden aufgeführt.

Im Kapitel 2, „Spielbare Rassen des Mythos“, werden zusätzliche Völker zu denen aus dem Grundregelwerk genannt, die sich besonders für eine Fantasy-Horror-Kampagne im Lovecraft'schen Stil eignen: Katzen der Traumlande (mit den Unterarten Katzen der Erde, des Mars, des Saturn und des Uranus), Mythos-Ghoule (lebende Leichenfresser, nicht die untoten Ghoule aus dem Grundregelwerk), Gnorri (humanoide Ozeanbewohner mit einem Schlangenunterleib) und Zoogs (kleine, nagerähnliche Kreaturen, ursprünglich aus dem Traumlanden). Es werden Geschichte, Physiologie, Familie, Lebenszyklus, Gesellschaft, Glaube, Kultur, Beziehungen und Vertreter*innen des jeweiligen Volks als Abenteurer*innen beschrieben sowie alle für das Spiel notwendigen Charakterfertigkeiten und Merkmale. Zusätzlich zu diesen vier Rassen, werden noch andersweltliche Menschen aufgeführt: das Volk von Leng und die Tcho-Tcho.

Das 3. Kapitel behandelt die „Optionen für Spielercharaktere“. Es wird eine neue Weisheitsfertigkeit eingeführt: Yog-Sothotherie, die Arkane Kunde und Religion in sinnvoller Weise für das Spiel ergänzt. Es werden Klassenoptionen für Mythos-Völker aus Kapitel 2 präsentiert, außerdem weitere Klassenoptionen für Charakterklassen aus dem Grundregelwerk. Zudem gibt es neue Talente und auch Hintergründe: Irrenarzt, Mythos-Kultist, Mythos-Überlebender und Visionär.

Im Kapitel 4, „Geistesgestörtheit und Furcht“, werden ganz grundlegende Konzepte für das neue Rollenspiel erläutert. Geistesstörungen und Furcht ersetzen – nach Entscheidung des Spielleiters – die Konzepte der magisch verursachten Angst und des Wahnsinns aus dem Grundregelwerk. Es gibt acht Stufen der Furcht, die von „Keine Furcht“ bis „Ohnmacht“ reichen können. Bei erhöhter Furchtstufe droht das Grauen übermächtig zu werden, sodass der Spieler*innencharakter sich eine Geistesstörung zuziehen kann. Es gibt drei Grade der Geistesgestörtheit und es werden auch Geistesstörungen beschrieben, die aber keine ganz genaue Kopie irdischer Störungen sein wollen. Erwähnung finden hier auch Aklo (eine vormenschliche, okkulte Sprache) und die Traumlande mit Regeldetails.

Das Kapitel 5, „Magie im Mythos“, ist auch ein wichtiger Abschnitt. Neu ist hier das Konzept der Formeln, die es auch Nicht-Zauberkundigen erlauben, Magie zu wirken. Das ist natürlich – ganz Mythos-typisch – mit einigem Aufwand und Risiko behaftet, da die Formeln nach hinten losgehen können. Selbst das erfolgreiche Wirken einer Formel kann zu einem Rückschlag führen! Manche Zauber erlauben die Unterstützung durch Helfer, etwa Kultisten bei einer Beschwörung. Es sind für Formeln Attributswürfe wie auf Intelligenz (Geschichte), Intelligenz (Arkane Kunde) und Weisheit (Yog-Sothotherie) notwendig. Es werden die neuen Formelzauber und Zauber für die bekannten zauberkundigen Klassen gelistet. Dann folgen Beschreibungen der neuen Zauber, ähnlich im Format wie aus dem Grundregelwerk bekannt.

Das 6. Kapitel beschreibt „Mythos-Gegenstände und Texte“, auch ein essenzieller Teil des vorliegenden Rollenspiels. Abenteuerausrüstung, außerirdische Technologie und magische Gegenstände sowie Texte des Mythos finden Erwähnung. Aus Mythos-Folianten kann man Wissen über den Kosmos, somit auch Formeln und andere Zauber, entnehmen, was mit einem Risiko für den Verstand eines Sterblichen verbunden ist.

In Kapitel 7 wird auf unerlässliche Gegner der Spieler*innencharaktere eingegangen, die „Kulte“. Kulte und Kultist*innen gibt es zu vielen der Großen Alten und Äußeren Götter, etwa der Kult des Kriechenden Chaos. Auch niedere, kaum weniger gefährliche Kulte finden Beschreibung. Besonderer Raum wird der Tcho-Tcho-Kultur, der Kultur der Tiefen Wesen und dem Bezug zur Religion gewidmet. Die Beziehung anderer Völker, wie Elfen, Gnome und Orks, zum Mythos wird auch kurz angerissen.

Im 8. Kapitel wird auf „Große Alte, Äußere Götter und andere“ eingegangen. Auch dieses Kapitel gehört zum Fleisch und Brot einer Cthulhu-Mythos-Kampagne. Diese Götter und göttergleichen Wesen sind etwas Besonderes im Mythos, sodass sie auch eine besondere Behandlung erfahren, vor allem was ihre Merkmale und Eigenschaften betrifft. Es werden vielfältige Wesenheiten mit allesamt hohen Herausforderungsgraden von 20 und deutlich mehr beschrieben. Diese Kreaturen werden als Äußere Einflüsse zusammengefasst. Es gibt zahlreiche Merkmale eines solchen Einflusses, dazu gehören ein Einflussgebiet, unaussprechliches Unheil (erzeugt oft Furcht und Geistesgestörtheit), ein Nukleus (das kann ein Altar oder ein Avatar sein) und Eskalation (der Einfluss erhebt sich auf höhere Stufen der Macht). Ein Beispiel für einen Großen Alten ist der Große Cthulhu, namensgebend geworden für die Literaturgattung und diese Art der Rollenspiele. Sein Herausforderungsgrad kann je nach Eskalationsstufe von 23 (50.000 EP) bis 30 (155.000 EP) reichen! Man sieht daran, dass diese Wesenheiten oftmals tödlich sind und nur als spektakulärer Höhepunkt einer Kampagne dienen sollen. Schade nur, das ein Avatar von Nyarlathotep (ein Sendbote der Äußeren Götter), der Schwarze Mann, nicht detailliert beschrieben wird, eignet er sich doch als „Kontaktperson“ für Abenteurer*innen. Die Äußeren Einflüsse sind alle bebildert.

Im letzten Kapitel, dem 9., wird auf „Monster des Mythos“ eingegangen. Hier gibt es die unterschiedlichsten Außerirdischen, etwa Mi-Go, und andere Kreaturen mit weit auseinandergehenden Herausforderungsgraden. Die schwächste Kreatur dürfte ein Gelehrter-Gehirnzylinder (eine technologische Errungenschaft der Mi-Go) mit einem Herausforderungsgrad von 0 (0 EP), eines der stärksten Wesen ein Wächter des Abgrunds mit einem Herausforderungsgrad von 20 (25.000 EP) sein. Auch hier finden sich zu den allermeisten Kreaturen passende Bebilderungen.

Im 1. Anhang finden ausgearbeitete Nichtspieler*innencharaktere Erwähnung. Dies sind: besessener Künstler, gesegneter Berserker, Hexe der Wälder, Kult-Drahtzieher, Kult-Mörder und urbaner Magus.

Im 2. Anhang werden Begegnungstabellen für Kreaturen aufgeführt. Diese sind ähnlich wie die aus dem Grundregelwerk gestaltet und beinhalten die mittlere Stufe der Gruppe als Orientierung für die Schwierigkeit. Es werden Begegnungstabellen für Außerirdische, Hügelland, Meer / Küste, tiefe Vergangenheit,  Traumlande / Plateau von Leng, Untergrund und urbane Gebiete gelistet.

Außerdem gibt es noch einen sehr nützlichen Hauptindex, eine Liste der Monster nach Herausforderungsgrad sowie ein Index der magischen Gegenstände und Artefakte.

Kritik

Was zunächst einmal auffällt, ist die relative Fülle an neuen Regeln und Besonderheiten, sodass das vorliegende Rollenspiel nicht für komplette Rollenspiel-Neulinge geeignet ist. Vielmehr sollte man eine Fantasy-Kampagne mit „D&D 5“ vorher gespielt oder geleitet haben, um die Basisregeln intus zu haben. Dann kann man sich in die zusätzlichen Regelanpassungen einarbeiten und eine neue (Horror-)Kampagne starten. Aufgrund der vielen verschiedenen Herausforderungsgrade ist das Spiel dann für niedrigstufige und höherstufige Spieler*innenfiguren gleichermaßen geeignet. Für meinen Geschmack gibt es etwas zu viele Ausnahmen von den Grundregeln. So gibt es  die Möglichkeit, Klasse, Volk und Stufe für Zauberer*innen ab der 14. Stufe bei der Verwendung von Gegenständen zu ignorieren. Auch scheint man manchmal eine Regeloptionen mit etwas schwachem Material aufzufüllen, wie die unterstützende Traumidentität des*der Paladins*in. Auch die Verortung der Unterarten der Katzen der Traumlande auf unser Sonnensystem ist etwas für ein Horror-Fantasy-Rollenspiel irritierend.

Insgesamt gesehen ist die Umsetzung aber hervorragend! Es wird aufgrund des heroischen Charakters des Rollenspiels nicht das gruseligste sein, da man im Gegensatz im Rollenspiel „Cthulhu“ nicht schon durch einen einzigen Treffer mit einer Pistole sterben kann. Aber Furcht und Geistesstörungen mit ihren Nachteilen werden bei „Sandy Petersen's Cthulhu Mythos“ bei den Spieler*innen Spannung um ihre Charaktere erzeugen. Es mag als Manko angesehen werden, dass Spieler*innenfiguren mit teilweise über 100 Trefferpunkten zu mächtig für viele Herausforderungen werden und der Reiz des Grauens dadurch etwas verloren geht, aber für die eventuelle Begegnung mit einem Äußeren Einfluss am Ende der Kampagne müssen die Spieler*innen alles in die Waagschale werfen, was sie haben.

Die Abbildungen sind praktisch allesamt stimmungsvoll und recht gruselig. Man ist immer wieder über die Bilder überrascht, auch wenn man die Kreaturen bereits aus dem Rollenspiel „Cthulhu“ kennt. Die Übereinstimmung von der Darstellung in Bild und Text ist eigentlich ganz gut. Allerdings ist mir ein Fehler aufgefallen: In der Beschreibung des Shantak-Vogels heißt es, dass er vier Gliedmaßen hat, nämlich zwei Beine und zwei Flügel. Auf der Abbildung ist er aber mit sechs Beinen versehen. Schade auch, dass der Windschreiter, der Yithianer der Zukunft und das drakonische Amalgam bei den Mythos-Monstern keine Bebilderung erfahren haben.

In einem Regel- und Monsterband dieser Länge und Komplexität ist es unausweichlich, dass es zu dem einen oder anderen Werte- oder Regelfehler kommt. Mir sind da – zwar selten – Fehler bei der Übereinstimmung von Attributswert und Attributsmodifikator aufgefallen, sowie des angegeben mittleren Schadens mit dem mittleren Schaden der Schadenswürfel und Schadensmodifikatoren. Das sind nicht immer furchtbar gravierende Fehler und man kann sie oft berichtigen. Im Datenblock zu „Hund von Tindalos“ heißt es, dass die Kreatur nur in spitzen Winkeln mit einem Winkel von „mindestens 120 Grad“ auftauchen kann; dies müsste eigentlich „höchstens 120 Grad“ heißen, wie im Fließtext angegeben. Über die Wichtigkeit von Rechtschreibung kann man streiten, aber mir sind in diesem Band rund 30 Rechtschreibfehler der offensichtlichsten Art aufgefallen – zu viel für meinen Geschmack! Beispiele: „Glanz“ statt „Clans“, „Azatoth“ statt „Azathoth“ und „Kris“ statt „Kreis“.

Ausblick

Eine Weltbeschreibung (in Form eines Kampagnen-Settings) ist in diesem Band nicht enthalten, auch nicht für die Traumlande, die eigentlich von überall her zugänglich sind. Daher muss man – will man sich nicht viel Mühe selbst machen – auf vorgefertigtes Material zugreifen. Ich empfehle da als Beispiel für „Die Vergessenen Reiche“ den Band „Abenteurerhandbuch für die Schwertküste“ („D&D 5“). Außerdem ist bereits ein Abenteuer für „Sandy Petersen's Cthulhu Mythos“ erschienen: „Stille von Somerrisk“. Zudem kann man nach dem Kampagnenband „Insel der Ghoule“ Ausschau halten.

Fazit: Trotz aller Kritik ist das neue Regelwerk gut gelungen! Kenner des „D&D 5“-Grundregelwerks werden sich aufgrund des Verwandtschaftsgrades schnell heimisch fühlen. Das Spielgefühl zu dem Horror-Rollenspiel „Cthulhu“ unterscheidet sich aufgrund der heroischen Spielweise deutlich zum Rollenspiel „Sandy Petersen's Cthulhu Mythos“, was diesem zusätzlichen Reiz verleiht! Die Abbildungen sind oftmals phänomenal! Der Preis von rund 60,- Euro für das Hardcover ist bei gegebener Ausstattung (Farbbebilderung, etc.) und Länge durchaus vertretbar. Ich kann „Sandy Petersen's Cthulhu Mythos“ fortgeschrittenen Spieler*innen und Spielleiter*innen empfehlen!

Sandy Petersen's Cthulhu Mythos
Quellenbuch
Sandy Petersen, James Jacobs, Arthur Petersen, Ian Starcher, David N. Ross
Ulisses Spiele 2019
ISBN: 978-3-96331-236-6
426 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 59,95

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