Moon Colony Bloodbath

Leben auf dem Mond – und dann auch noch losgesagt von der Erde –, das geht wirklich nur mit Hilfe von Hightech. Wie gut, dass Maschinen und Roboter in der Lage sind, uns auf dem eher unwirtlichen Erdtrabanten zu helfen. Und so bauen wir Mondkolonien auf und nutzen Technik an allen erdenklichen Stellen. Der Erfolg gibt uns recht: Immer mehr Kolonisten entscheiden sich für ein Leben auf dem Mond. Unser Marketing rockt. Wäre da nicht der Glitch, der Roboter zu Killermaschinen macht … „Moon Colony Bloodbath“ ist nicht nur ein „Engine-building“-Spiel, sondern auch ein „Engine-losing“-Spiel - und ein tief schwarzes „Bevölkerungs-losing“-Spiel gleich mit.

von LarsB

Mein erster Berührungspunkt mit Rio Grande Games war die „Dominion“-Reihe von Donald X. Vaccarino, der mit jenem Spiel das Deckbuilding als Mechanismus in die Brettspielwelt eingeführt hat. Neulich bin ich auf „Moon Colony Bloodbath“ aufmerksam geworden. Und, zack, da steht doch glatt der gleiche Autorenname auf der Spieleschachtel! Und dann ist das anscheinend auch ein Deckbuilder, aber mit einem besonderen Kniff - und einer großen Portion schwarzem Humor.

Die Spieleschachtel macht uns den Mund wässrig: „Beautiful Vistas!“, „Amazing Cities!“, „Fabulous Robots!“ steht da. Wir können quasi gar nicht anders, als auf den Mond zu fliegen. Und die Schachtelrückseite heizt unser Verlangen weiter an: „Cities on the moon! This will be humanity’s crowning achievement. At last, no longer bound to the Earth – the moon, a stepping stone to the stars. The rockets are loaded with supplies and colonists; the robots are programmed and ready. Everything has been planned down to the tiniest detail, and there is no chance whatsoever of failure. To the moon!“ Wer das im Kontext des Spieletitels nicht lustig findet, sollte hier trotzdem weiterlesen. Spoiler: Das Spiel ist echt gut. Wer diese Texte feiert, dem rufe ich zu: Auf zum Mond!

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Das Spielmaterial

Auffällig gut gewählt ist der traditionelle, vielleicht etwas altbackene Illustrationsstil von Franz Vohwinkel. Damit wird ein wunderbarer Retro-Kontrast zum hyper-modernen Science-Fiction-Thema erzeugt. Das ist der erste Zwischenstopp auf einer ironisch humorvollen Brettspielreise. Die Spielerboards sind recht einfach und funktional gehalten und bekommen durch die gerade beschriebene Grafik einen besonderen Flair. Double-layer? Natürlich nicht. Das braucht man aber auch nicht. 

Die Spielkarten sind von einfacher Qualität, ohne dabei zu billig zu wirken. Die Gliederung der Karten ist klar. Die zentral ausliegenden, gemeinsamen Karten sind schon allein deswegen gut lesbar, weil hier der Kontrast durch die Schwarz-Weiß-Darstellung maximiert ist. Die Kartentexte werden durch klare Ikonografie unterstützt, sodass jeder die Karteneffekte nachvollziehen kann – auch mit etwas Sitzabstand. Das hilft bei der Orientierung. Die Karteneffekte beziehen sich oft auf bestimmte Aktionen. Hier stimmen die Farbgebung auf Karte und Spielboard überein. Warum die Kosten und die Bevölkerungszahl auf den Gebäudekarten nicht noch ein wenig größer abgebildet sind, kann ich nicht verstehen. Gerade die Bevölkerungsreserven (auch und gerade die der Mitspieler) interessieren den taktisch ambitionierten Spieler bei „Moon Colony Bloodbath“, da die Restbevölkerung schließlich das Kriterium für Spielende sowie Sieg oder Niederlage ist. Alle Papp-Plättchen sind durchaus vernünftig ausgeführt und teilweise richtig hübsch gestaltet. 

Die Anleitung macht ihren Job auch hinreichend gut. Ich habe das Spiel jedenfalls mit dem ersten Lesen der Anleitung direkt verstanden. Beispiele werden zumindest beschrieben, wenn auch selten grafisch dargestellt. Gut ist zudem, dass die Effekte vieler Karten im Anhang beschrieben werden. Leider wird die letzte Seite nicht nochmal für eine Rundenübersichtsdarstellung und die Icons genutzt. Fairerweise kann ich dem Spiel attestieren, dass es nicht unbedingt notwendig ist, das zu tun. 

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Tüten. Wir brauchen Tüten! Das Inlay ist zwar gegliedert und hilft beim sortierten Verstauen der Komponenten. Doch wieso gibt es für vier Hauptarten an Token nur drei große Fächer? Soll ich wirklich die Token sortenunrein hineinkippen? Da krieg ich Schweißperlen. Wird das Spiel dann auch noch hochkant verstaut oder transportiert, nimmt die Katastrophe ihren Lauf: Karten und Token fliegen vollkommen durcheinander in der Spieleschachtel umher. Da ist Luft nach oben. Fatalerweise buchstäblich.
 
Der Spielablauf

Spielmechanisch haben wir es bei „Moon Colony Bloodbath“ mit einem Deckbuilding-Spiel zu tun, in dem wir ein gemeinsames Deck erschaffen, aber jeder sein eigenes Tableau aufbaut – und wieder abreißen muss.

Das gemeinsame Kartendeck besteht zunächst aus einigen Grundkarten, die uns konstruktiv arbeiten lassen („Work“) und welchen, die für Ärger sorgen („Trouble“). Zwei Plot-Twist-Karten sorgen für Abwechslung zwischen den Partien, indem sie bereits ab Runde 1 für besondere Effekte sorgen. Die Auswahl an Plot-Twists ist mit 25 Karten gut. Jenes Deck wird nun, gut gemischt, eine Karte nach der anderen abgearbeitet. „Work“-Karten erlauben allen Spieler eine Wahl aus fünf Aktionen, mittels derer die Mondkolonie aufgebaut wird. Die Aktionen sind sehr einfach. Nahrung „ernten“ sowie Geld beschaffen durch „Minen“-Ausbeutung, neue Karten für das eigene Tableau zunächst auf die Hand „erforschen“ und schließlich die erforschten Karten aus der Hand in die eigene Auslage „bauen“. Dann gibt es da noch die rätselhaften „gerestockten“ Kisten, die eine Ressource darstellen, die erst im Kontext der Karte eine Funktion bekommt, auf der sie liegt. 

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„Trouble“-Karten bringen Ereigniskarten ins Spiel, die auf den Nachziehstapel gelegt werden. So kommen frische Karten nicht nur ins Deck, sondern werden zu allem Überfluss gleich direkt abgehandelt.  Die Ereignis-Choreografie ist dabei in jedem Spiel gleich. Event 1 sorgt für die Notwendigkeit, seine Bevölkerung zu ernähren, Event 2 lässt einen mehr Karten abwerfen, als man nachziehen durfte. Kleiner Einschub: Das Event heißt übrigens „Paperwork“ und der Flufftext ist: „Stopp daydreaming! There are forms still to be filled.“ Herrlich! Und mit Event 3, dem „Glitch“, kommt ein zufälliger durchgedrehter Roboter ins Spiel. Und von dort an geht es nicht mehr nur bergauf mit der Mondpopulation unserer Basis. 

Besonders sind noch die Perk-Karten, die man durch Karteneffekte ins gemeinsame Deck spielt. Werden diese Karten aufgedeckt, tun sie etwas Gutes nur für den Eigentümer des Perks: Her mit Nahrung, Geld, Bevölkerung, usw.

Überhaupt ist das Wirtschaftssystem denkbar und dankbar einfach. Minen bringen Geld. Geld gibt man für Gebäudekarten aus, die man vorher erforscht haben muss. Nahrung ernährt die Population, die man durch den Bau der Gebäude erhöht. Karten beeinflussen auf die ein oder andere Art die Engine. Einige bringen Entwicklungskarten mit bestimmten Effekten ins Deck. Und das Auffüllen des Lagers sorgt für Kisten, die Kartensondereffekte auslösen.

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Sieger ist, wer am Ende des Spiels noch die meiste Bevölkerung hat. Das Spiel ist zu Ende, wenn der erste Spieler keine Bevölkerung mehr hat oder Event 13 aufgedeckt wurde. Glücklicherweise haben wir zum Start des Spiels 30 Bevölkerung auf dem „Girokonto“. Ist das leer, müssen wir unser Tagesgeldkonto schröpfen: Wir reißen ein Gebäude ab und erhalten wieder „liquide“ Bevölkerung – also Bevölkerung, die der nächste Killer-Roboter liquidiert. Irgendwann sind alle Gebäude abgerissen. Dann wird es eng.

Das Spielgefühl

Oh, wo soll ich anfangen?! Es gibt wenige Spiele, die das Spielthema spielmechanisch so schlüssig darstellen. Man baut seine Kartenauslage aus und erweitert so seine Kolonie. Neue Gebäude machen Aktionen mächtiger. Man spürt den Gründergeist förmlich. Die Werbeversprechen lösen sich ein. Gut, ab und zu mal ein bisschen ineffizientes Paperwork, was für kleine Verluste sorgt. Aber das kennt der homo steuererkläricus. 

Und dann kommt der Glitch. Und er kommt fortan in jedem Deck-Durchlauf. Damit mutiert in jedem Durchgang ein neues automatisiertes System zu einer Todesfalle. Die „Automatischen Türen“ zum Beispiel sorgen für 5 Tote – jede Runde. Und wir können keine Gebäude-Effekte in der nächsten Work-Phase nutzen. Klar, niemand traut sich mehr in die Gebäude hinein. Bis die Sicherheit von einem hoch manipulierten Expertenteam wieder festgestellt wurde. Die „Delivery Drone“ sorgt ebenso für fünf Tote. Zusätzlich muss jeder eine seiner Karten an den Nachbarn weitergeben. Das passiert eben, wenn die Lieferdrohne Amok läuft. Sie bringt nebenher die ganze Logistik durcheinander. Und schließlich gibt es den Küchenroboter, der vier Leben kostet. Wenn er keine 8 Nahrung vorfindet, wird er richtig wütend und tötet drei weitere Bevölkerung. Die Effekte sind herrlich schwarzhumorig. Zwanzig Roboterkarten sorgen für Abwechslung.

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Mit jedem weiteren Deckdurchlauf eskaliert die Situation weiter. Unsere Bevölkerung, anfangs noch von nur wenigen tragischen Ereignissen betroffen, wird schließlich durch den Fleischwolf gedreht. Gegen Ende der Partie sorgt rund die Hälfte der aufgedeckten Karten für ein Blutbad. Wie schön inkorrekt das doch ist.

Der Flufftext auf den Eventkarten lässt uns tiefer in das schwarz-ironische Setting hinabsteigen. Auf „Leak“-Karte Nummer eins steht: „Apparently we needed fewer astronomers, and more plumbers.“ „Tempers Flare“, also das Aufflammen der Gemüter, wird kommentiert mit: „On the plus side, it’s a test for our recycling system.“ Auf der letzten Event-Karte (das Spiel wird beendet) steht: „Fine, I’ll check the instruction manual.“ Die ganze Tragödie hätte dadurch vermieden werden können, dass jemand mal die Bedienungsanleitung liest?! Na gut, ein guter Ingenieur liest schließlich niemals die Bedienungsanleitung.

Auch einige Gebäudekarten laufen vor schwarzem Humor nur so über. Den Bunker spiele ich zum Beispiel für einen richtigen Haufen zusätzliche Bevölkerung und gleichzeitig kommt ein weiterer Roboter ins Spiel. Ich fülle mein Bevölkerungskonto auf, und gleichzeitig sorge ich für weitere Eskalation. Aber mein Konto ist nun einfach ein bisschen voller als euer Konto. Damit bin ich hoffentlich etwas krisenfester. Klonbanken wiederum sorgen bei hinreichender Ernährung für schnellere Replikation. Die Aluminiummine versorgt mich mit mehr Geld, wenn ich pleite bin. Wie gut, dass sie die Entwicklungskarte „Budgetkürzung“ mit ins Spiel bringt, die allen Spielern Geld abknöpft. Über die Entwicklungskarten kann ich im Laufe des Spiels für alle Spieler beeinflussen, was knapp wird und was sich besonders lohnt. Diese Beispiele machen klar, dass die Interaktion bei „Moon Colony Bloodbath“ auf den zweiten Blick nicht unterschätzt werden sollte. 

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Das Spiel spielt sich sehr flott. Die Aktionen aller Spieler laufen parallel. Für den runden Spielfluss sorgen aber auch die „action chits“. Die werden jeweils zunächst auf die aktuell gewählte Aktion gelegt und schließlich in die Mitte des Spielbretts platziert, wenn die Aktion abgeschlossen ist. Damit zeigt jeder automatisch an, wann er fertig ist. Und schon kann die nächste Karte gezogen werden. Downtime gibt es bei „Moon Colony Bloodbath“ fast keine – auch nicht im Spiel zu fünft. Ein Kettenzugspektakel wie bei „Dominion“ gibt es hier nicht. Eine Partie ist daher (fast) unabhängig von der Spielerzahl mit etwas Übung in unter einer Stunde gespielt.

Alle Spieler erleben parallel dieselben Karten. Hier wird zusammen gelitten, geflucht und sich gefreut. Und natürlich blickt man auf die Spielbretter und die Kartenauslage der Mitspieler. Wie viele Kolonisten sind beim rechten Nachbarn noch zu sehen? Ist die starke Engine des linken Nachbarn endlich mal kaputt? Und wieso ist mein Gegenüber eigentlich immer noch im Spiel? Man interessiert sich eben für den „Boardstate“ der Mitspieler. Klar, denn länger überleben ist das Ziel. Und das Ende kommt dann oft mit einem Tusch. Natürlich gehört hier auch das eigene Glück beziehungsweise das Pech der anderen dazu. Wie bei fast allen Deckbuildern kann der Kartenmisch-Faktor durchaus Partien entscheiden. Wer sich damit nicht anfreunden mag, wird mit dem Ausgang der ein oder anderen Partie hadern. Natürlich ist „Moon Colony Bloodbath“ kein hoch strategisches Spiel. Wir sind abhängig von einem gewissen Kartenziehglück. Aber das kann ich hier verzeihen. Eine Partie dauert schließlich nicht lang. Damit hat der Frust kaum Zeit, so richtig unter die Haut zu gehen. Und der Fakt, dass ich das Spiel gegen „Moon Colony Bloodbath“-Neulinge in der Regel gewinne, zeigt, dass es durchaus relevant ist, was ich so mache.

Bleibt die Frage, wie lange das Spiel trägt? Die Twistkarten sorgen tatsächlich für eine interessante Veränderung der Randbedingungen. Unterschiedliche Taktiken können so erfolgreich sein. In einigen Spielen ist es wichtig, Nahrung im Überfluss zu haben. In anderen Partien reicht das absolute Minimum hin. Manchmal möchte man seinen Geldbestand maximieren, manchmal ist viel Geld hinderlich. Mit zunehmendem Spielverlauf tritt die Wirkung der Twistkarten allerdings in den Hintergrund. Der immer gleiche Ablauf der Ereignisse (erst „Hunger“, dann „Paperwork“, der „Glitch“, usw.) sorgt hinsichtlich der Dramatik des Spiels für viel Ähnlichkeit zwischen den Partien. Alles in allem vermag der Nachziehstapel von Partie zu Partie für neue Möglichkeiten zu sorgen, Engines aufzubauen – und möglichst lange über die Runden zu retten, bevor dann der Motorschaden einsetzt. Wann es eine Erweiterung braucht, liegt sicherlich im Auge des Betrachters. Donald X. Vaccarino ist hier jedenfalls der Spezialist. Und mehr herrliche Kartentexte und Illustrationen? Her damit!

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Fazit: „Moon Colony Bloodbath“ ist eine schwarze Persiflage auf trashige Retro-Science-Fiction-Filme respektive Computerspiele aus den 90er beziehungsweise 00er Jahren. Und es gelingt einfach so unglaublich konsistent. Die grafische Gestaltung und der Humor sind so schön stimmig und erinnern an eine Zeit, in der nicht alles 100 % politisch korrekt sein musste. Und dann steckt da auch noch ein richtig gutes Spiel dahinter! Die Dynamik des Spiels fängt das Thema ungewöhnlich stark ein. Wem das Thema zu schwer auf dem Magen liegt, sollte wahrscheinlich wegschauen. Schade eigentlich, denn auf der Schachtel werden doch „Beautiful Vistas“ versprochen …  Ich glaube, das ist etwas für einen deutschen Familienspiele-Verlag, zum Beispiel im Ravensburger Raum. Aber erst 2026.

Moon Colony Bloodbath
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 14 Jahren
Donald X. Vaccarino 
Rio Grande Games 2025
EAN 655132006477
Sprache: Englisch
Preis 49,99 EUR

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