MIND MGMT

- - - Wer ist Henry Lyme? - - -

Dies ist ein Spiel, in dem Agenten mit ihren mentalen Kräften aus dem Dunkeln heraus die Welt formen. Nichts ist, wie es scheint. Das Management bewegt sich nur im Verborgenen und hat eine Armee Unsterblicher, die kein Erbarmen kennt. Stoppt das Management, bevor es die Weltherrschaft übernimmt.

- - - Emyl Yrneh tsi rew? - - -

von KaiM

Uns erwartet hier ein komplexes „Scotland Yard“, wie es inzwischen einige auf dem Markt gibt. Falls man gerade nicht mehr weiß, was in dem Klassiker passiert: Eine Person bewegt sich im Geheimen über einen Spielplan, und die anderen versuchen, sie zu fangen, indem sie Spielfiguren auf dasselbe Feld bewegen. Das Besondere an der hier vorliegenden Variante ist sicherlich, dass man in eine Welt geworfen wird, von der man wahrscheinlich keine Ahnung hat. Das kann gefallen, aber auch verwirren. Denn der Comic, der hier als Grundlage diente, scheint ebenfalls hauptsächlich ein Ziel zu verfolgen: Verwirrung stiften.

Aber dazu später mehr. Dieses Spiel von Jay Cormier und Sen-Foong Lim wurde illustriert vom Comic-Autor selbst: Matt Kindt. Es ist laut Deckel für ein bis fünf Personen ab 14 Jahren, was man durchaus so unterschreiben kann. Vielleicht gibt es schon Kinder, die etwas eher Spaß daran haben, aber die Komplexität und die Asymmetrie legen doch nahe, dass man etwas älter sein sollte. Das Spiel funktioniert auch mit allen Spielerzahlen, wobei es der persönlichen Erfahrung nach am Besten funktioniert, wenn man mit 3 oder 4 Spielern am Tisch sitzt. Die Diskussionen am Tisch machen das Spiel interessant. Aber wenn es zu viele werden, steigt die Chance, dass jemand abgehängt wird oder sich die Diskussionen in die Länge ziehen. Dies kann allerdings ohnehin passieren, wenn die Gruppe von Anfang an versucht, alle Möglichkeiten zu durchdenken. So kann ein Spiel durchaus in den angegebenen 60 Minuten vorbei sein, aber auch deutlich länger dauern.

Zudem hängt der Spielspaß auch an der Gruppendynamik: Falls es bei der Gruppe ein sehr dominierendes Alphatierchen geben sollte, spielt dieses doch besser den Solopart, damit alle am Tisch auch eine Chance haben, sich einzubringen.

Das Material

Um es kurz zu machen: Das Material macht von vorne bis hinten Spaß. Die etwas übergroße Box besticht durch das besondere Cover und die Akzente durch UV-Spotlackierung. Die weiteren Details, wie zum Beispiel verstreute Textzeilen, die unleserlich in rot/blau-Schrift geschrieben sind und auch die weiteren Texte auf der Box erinnern sofort an Geheimagenten à la James Bond (natürlich nur den einzig wahren Sean Connery). Das setzt sich in der thematisch aber dennoch übersichtlich geschriebenen Anleitung fort, und natürlich ist auch das gesamte Spielmaterial ganz dem Thema verschrieben. Der Sichtschirm könnte etwas größer sein, erfüllt aber grundsätzlich seinen Zweck. Toll ist die Idee, auch wenn sie nicht neu ist, den Stadtplan auf die Innenseite des Schirms zu drucken, damit die Gegner nicht sofort sehen, wohin man schaut. Die mitgelieferten Stifte erfüllen ihren Zweck und auch die Pappteile, Karten und der Spielplan lassen keine Wünsche offen.  

Der Comic und sein Einfluss

Natürlich soll dieser Artikel keine Rezension des Comics werden. Aber nachdem mich die Welt des Spiels gefangen genommen hatte, wollte ich unbedingt wissen, was dahinter steckt. Auf den ersten Blick wird sichtbar, dass sich die Zeichnungen sehr ähneln. Kein Wunder, denn der Autor selbst, Matt Kindt, hat die Illustration des Spiels übernommen. Von daher durfte ich mich freuen, denn der Stil gefiel mir auf Anhieb. Trotz – oder genau wegen – der verwaschenen Art, der 60er/70er Jahre-Anmutung und, wie sich wenig später herausstellen sollte, weil die Story und die Kunst eine perfekte Symbiose eingehen. Es ist mit Sicherheit kein großer Spoiler, wenn erwähnt wird, dass wir uns in einer Welt der Geheimdienste und Agenten bewegen. Die Hauptperson ist auf der Suche jemandem oder etwas und trifft dabei auf außergewöhnliche Menschen, Unsterbliche und eine ungeheuerliche Verschwörung gegen alles und jeden. Das klingt zunächst nicht außergewöhnlich, aber es wird grandios skurril erzählt und wunderbar auf die Spitze getrieben.

Genauso wie das Buch geschrieben und gezeichnet ist, wurde es auf das Spiel übertragen, es hat für Fans des Comics also einen extrem hohen Wiedererkennungswert. Mir hat der Comic wirklich sehr gut gefallen, sodass ich ihn nur allen ans Herz legen kann, die dem Spiel und seiner Umsetzung etwas abgewinnen können.

Auf der anderen Seite erschwert die hohe Authentizität des Spiels aber auch den Einstieg, und es besteht die Gefahr, dass man sich abgehängt fühlt. Dann hat man nur eine Chance, wenn man nicht alles hinterfragt und einfach akzeptiert, dass man in einer verrückten Welt voller Dinge, wie einer „Faradayschen Gedankenpalme“ und „C-4 K-9 Attentäter Hunden“ agiert. Warum das Management Rekrutierungen durchführt und warum Unsterbliche ihm dabei helfen, wird in der Einleitung der Regeln zwar kurz angerissen, bleibt aber insgesamt im Nebel.

Das Spiel

In diesem Spiel geht es um einen gegen alle. Das Management muss sich unentdeckt über einen Stadtplan bewegen und an skurrilen Orten Rekruten finden. Es gewinnt, wenn genügend Menschen rekrutiert wurden oder der Tag sich dem Ende entgegen neigt. Alle anderen Spieler versuchen, den Weg des Managements nachzuvollziehen und es so schnell wie möglich zu finden. Ausgehend von einem unbekannten Ort auf dem Spielplan bewegt sich das Management in jedem Zug einen Schritt respektive ein Feld weiter. Dies wird im Geheimen abgewickelt. Hinter einem Sichtschirm, auf einer kleineren Kopie des großen Spielplans, werden die Schritte mit einem abwischbaren Stift notiert. Verzwickterweise darf man sich dabei niemals zwei Mal auf demselben Feld befinden, der Weg durch die Stadt will also weise gewählt werden, um sich in keine Sackgasse zu bewegen. Außerdem verfügt jedes Feld über drei besondere Merkmale, wie die oben genannte „Faradaysche Gedankenpalme“, von denen es insgesamt 16 gibt.

Um neue Rekruten zu gewinnen, muss sich das Management zu Merkmalen bewegen, von denen drei am Anfang des Spiel geheim gezogen werden. Die Gegenspieler bewegen sich offen über den Spielplan und müssen mittels verschiedener Aktionen Hinweise über den Bewegungsweg und die anvisierten Merkmale des Managements sammeln. So können sie versuchen, es in die Ecke zu treiben, dürfen sich dabei aber nicht zu viel Zeit lassen, denn die Uhr spielt gegen sie. Natürlich gibt es die ein oder andere Spezialfertigkeit, die genutzt werden kann, um sich einen Vorteil zu verschaffen, und man muss jede Menge kombinieren, um die richtigen Schlüsse aus den Hinweisen zu ziehen.

Aber auch das Management hat noch Unterstützung in Form von der Agententruppe „Die Unsterblichen”, die offen über den Spielplan bewegt werden und ebenfalls Rekruten anwerben können. Ausgestattet mit diesen Werkzeugen beginnt das mentale Tauziehen zwischen den beiden Parteien. Als Management lauscht man gespannt den Diskussionen der anderen Spieler. Teilweise muss man sich wirklich zusammennehmen, um nicht ins Schwitzen zu geraten und hin und wieder hofft man auch, die Gegner bemerken nicht, wie das eigene Herz bis zum Halse schlägt.

Wer in den letzten Jahren mal „Scotland Yard“ gespielt hat, kann sich in etwa vorstellen, wie sich das Spiel anfühlt, denn die Parallelen sind unverkennbar. Jedoch kann „MIND:MGMT“ mit etwas mehr Spieltiefe aufwarten.

Eine Idee, die es besonders hervorzuheben gilt, ist das Shift-System. Diese kleinen, geheimnisvollen Boxen enthalten kleine Erweiterungen, die das Spiel abwechslungsreicher, aber auch ein wenig komplexer machen. Das Besondere daran ist, dass sie nicht einfach nach Gutdünken geöffnet werden. Vielmehr sind sie als Fortschritt einer Kampagne gedacht, bei der man in derselben Gruppe mit derselben Rollenverteilung spielt. Nach jeder Partie darf die Verliererpartei eine Box ihrer Seite öffnen und wird dadurch in der nächsten Partie ein wenig stärker. Ein tolles System, was dadurch auch das Balancing zwischen geübten Spielern und Anfängern ausgleichen kann.

Eigentlich gefällt mir das schon richtig gut, aber auf der anderen Seite gibt es mit modularen Erweiterungen auch immer ein paar Probleme. Mit jeder Box, die geöffnet wird, muss man wieder ein kleines Detail mehr im Kopf haben und ein weiteres Zettelchen mit Regeln muss verwaltet werden. Das macht das Setup schwieriger und sorgt zusätzlich noch dafür, dass die Regeln natürlich nicht in einem Guss geschrieben sind. Man kann also nicht mehr alles schnell in einem Regelheft nachschlagen und man muss dann immer im Kopf haben, welcher Regelzettel zu welchem Material gehört. Für ein paar Module ist das kein Problem. Aber wenn es zu viel wird, kann es auch die Lust am Spiel auch dämpfen. Denn gerade wenn man das Spiel nach einer ganzen Weile mal wieder aus dem Regal zieht, ist die erneute Einarbeitung natürlich schwieriger.

So schwer es mir fällt, das zuzugeben: Das Thema ist ebenfalls ein wenig problematisch. Ich persönlich war sofort begeistert vom Stil, dem Setting und den vielen lustigen Details, obwohl ich die dazugehörigen Comics noch nicht gelesen hatte. Doch die Box, die Regeln und eigentlich das gesamte Spielmaterial steckt so dermaßen voller skurriler Dinge, dass es sicher nicht jedem Spaß macht, dort einzutauchen. Zudem muss die Gruppe sich gut für dieses Spiel eignen und sollte für die Kampagne halbwegs stabil bleiben, um tiefer einzutauchen und die Module ausschöpfen zu können.

Es müssen schon ein paar Dinge zusammenpassen. Aber sollte das der Fall sein, erwartet die Spieler ein grandioses „MIND:GME“ mit diversen Stunden Spielspaß voller Finten, Tricks und spannenden Wettläufen.  

Fazit: Abgesehen von einer potenziell hohen Einstiegshürde, die diese Spielwelt mit sich bringt, ist „MIND:MGMT“ ein exzellentes Spiel für einen gegen viele. Das Shift-System erhöht den Wiederspielwert und balanciert das Spiel zusätzlich aus. Wen die Spielmechanik und das Thema anspricht, kann hier bedenkenlos zuschlagen.

MIND:MGMT
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 14 Jahren
Jay Cormier, Sen-Foong Lim, Matt Kindt
Corax Games 2022
EAN: 7421098109988
Sprache: Deutsch
Preis: 64,99 EUR

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