von Ansgar Imme
2024 nimmt der Ulisses Spiele Verlag beim „Warhammer Fantasy Rollenspiel“ richtig Tempo auf. Neben mehreren kleinen Spielhilfen, verteilt über das bisherige Jahr, erschien im Frühjahr zunächst der dritte Teil der Kampagne „Der Innere Feind“, „Die Graue Eminenz“, mitsamt zugehörigem Kompendium. Und kurz danach legte der Verlag gleich mit der Übersetzung des Buchs zur Stadt Middenheim nach, welche natürlich ideal zur Kampagne passt, da deren dritter Teil in Middenheim spielt. Dazu ist der vierte Teil der Kampagne für August/September bereits angekündigt, was hoffen lässt, dass die Kampagne vielleicht sogar noch 2024 abgeschlossen wird.
Doch zurück zur „Stadt des Weißen Wolfs“ – wie Middenheim auch genannt wird –, welche bereits in der ersten Edition des Rollenspiels in den 1980er Jahren mit einem Band beglückt wurde. Der Band wurde einer gründlichen Überarbeitung unterzogen und neben der Anpassung auf die aktuellen Regeln der 4. Edition natürlich auch mit neuem Layout und Illustrationen versehen. Ursprünglich vom Autor des dritten Teils der Kampagne – dem verstorbenen Carl Sargent – erdacht, wurde die Neubearbeitung von mehreren Autoren übernommen, die bereits im „Warhammer“-Universum erfahren sind und verschiedene Publikationen geschrieben haben, darunter Dave Allen, Jim Bambra und einer der Autoren aus der ersten Edition – Graeme Davis.
Inhalt & Bewertung
Der Quellenband breitet sich auf 160 Seiten nebst Karten in den Innenumschlagseiten aus und ist wie andere Bände auch eine Mischung aus Vollfarbe und normalen Textseiten. Die Illustrationen sind weitestgehend in Farbe gehalten und halten den bisherigen Stil in hoher Qualität. Es macht einfach Spaß, Publikationen der 4. Edition zu lesen, zudem die Struktur und Aufbereitung auch immer wieder sehr gut gelungen ist. Nur an manchen Stellen hätte man längere Textstellen durch Absätze zur besseren Lesbarkeit etwas besser strukturieren können.
Auf der vorderen Innenseite findet sich eine große Stadtkarte Middenheims in Farbe, die zudem Wappen der wichtigsten Adelshäuser enthält und eine Zuordnung der einzelnen Stadtbezirke. Die Karte ist zum Ansehen wirklich gelungen und bietet eine gute Übersicht der Stadtviertel. Allerdings ist der Detailgrad zu älteren Karten (von denen es mehrere aus verschiedenen Quellen- und Abenteuerbänden gibt) deutlich geringer. Die einzelnen Bezirke und größten Straßen sind zwar erkennbar. Innerhalb der Bezirke kann man im Gegensatz zu älteren Karten aber keine Straßen erkennen oder im Spiel eine Route der Spieler verfolgen. Hier hat sich der Originalverlag Cubicle 7 also für eine gröbere Variante entschieden. Spieler und Spielleiter, die sich hier mehr Details wünschen, müssen auf ältere Varianten zurückgreifen, die man immerhin im Internet findet. Dem deutschen Verlag Ulisses Spiele ist bei der Erstveröffentlichung leider ein kleiner Fehler unterlaufen, da auch die Karte in der hinteren Innenseite nur die Spielervariante zeigt und nicht die komplett beschriftete Variante für den Spielleiter. Diese wurde aber bereits auf der Hompage des Verlages zum Download nachgereicht (https://ulisses-spiele.de/download/warhammer-middenheim-sl-karte/).
Der Inhalt des Bandes gliedert sich dann in mehrere Blöcke. Über zunächst etwa 25 Seiten folgt eine allgemeine Beschreibung der Ursprünge und Geschichte der Stadt, die auch die verschiedenen Herrscher der Vergangenheit kurz vorstellt. Dazu werden größere Konflikte und Kriege beschrieben, in die Middenheim verwickelt war. Dann werden die wichtigsten Personen wie Graf Boris von Wüterich, seine Familie, Höflinge, Kaufmannsfamilien und der Ulric-Kult ebenso wie Gilden, Gesetzgebung, Stadtwache, Zauberer und Kriminelle präsentiert. Für Kampagnen mit Schwerpunkt auf Intrigen und für Kontakte auch zu höheren Ebenen der Gesellschaft ist dieser Teil unverzichtbar, für andere Arten von Abenteuer stellt er einen guten Hintergrund dar. Hier fehlen nur ein paar Szenario-Vorschläge, die Bezug auf die verschiedenen Bereiche hätten nehmen können.
Die nächsten fast 80 Seiten sind das Herzstück des Bandes und stellen die einzelnen Stadtteile mit besonderen Gebäuden oder Orten vor. Jeder Bezirk oder Quartier bekommt etwa drei bis vier Seiten Beschreibung sowie einen vergrößerten Kartenausschnitt der Gesamtkarte. Zu Beginn wird jeder der Stadtteile kurz skizziert, wie die Stimmung dort ist, welche Personen man dort antrifft und welche Art von Geschäften oder Gebäuden hier zu finden sind. Diese Beschreibungen helfen bereits unglaublich weiter und geben für das Spiel gut die Stimmung wieder, mit der man die Spieler konfrontieren kann. Selbst wenn man gar nicht die Gebäude benötigt, kann man den Spielern so einen sehr guten Eindruck der Unterschiede der Viertel zeigen. Bei den Geschäften und Gebäuden hat man sich Mühe gegeben, unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen und auch ganz spezielle Orte vorzustellen. Dazu werden bei den meisten Orten auch kleine Abenteuervorschläge gemacht, sodass man diese schnell in bestehende Abenteuer oder Kampagne einbauen kann oder einzelne Szenarios verbinden kann. Für viele der Stadtteile gibt es zudem die Beschreibung einer oder zweier Nichtspielercharaktere, auf die die Abenteurer treffen können.
Sozusagen eine kleine Erweiterung der Stadt sind die wenigen Seiten, die Orte außerhalb der Mauern beschreiben, die dafür umso spezieller sind (wie das Leichenplateau, da der Stadt ein richtiger Friedhof fehlt). Hier hätte man gern noch ein oder zwei Seiten mehr verwenden können, zudem zum Ende des Bandes noch ein paar Platzfüller kommen. Auch ein paar kurze Szenario-Vorschläge zum Einbau in Abenteuer hätten gut getan.
Auch das Kapitel danach ist mit wenigen Seiten sehr kurz. Im Bestiarium werden besondere Kreaturen der Stadt mit Aussehen und Auftreten, Illustration und Spielwerten vorgestellt. So etwas gehört aus Sicht des Rezensenten in ein allgemeines Bestiarium und nimmt hier nur Platz für andere Dinge weg (auch wenn die Illustrationen sehr gelungen sind). Manchem Spielleiter wird dies aber sicherlich gefallen und helfen.
Neben der Stadt selbst wird über zehn Seiten als nächstes auch das Großherzogtum Middenheim vorgestellt und einerseits besondere Orte sowie andererseits die verschiedenen Provinzen nebst besonderen Regionen oder Anwesen beschrieben sowie eine recht detaillierte Übersichtskarte zur Verfügung gestellt. Man erfährt etwas über die besten Wege in die Stadt, alte Befestigungsanlagen und Überbleibsel der Vergangenheit sowie verschiedene Völker wie Elfen, Zwerge, aber auch Grünhäute. Dazu gibt es Abenteuerideen, sodass man seine Middenheim-Kampagne damit ideal auch auf äußere Territorien erweitern kann. Insgesamt ein schönes Kapitel, welches durchaus etwas Platz mehr verdient gehabt hätte.
Die beiden folgenden Kapitel beschäftigen sich mit möglichen Antagonisten und Gegnern in der Stadt. Zunächst werden die sogenannten „Niederen Könige“ beschrieben, welche als Anführer von Verbrecherbanden die Stadt im Untergrund leiten und bestimmen. Diese finden sich vor allem in den ärmeren und düsteren Vierteln Middenheims, in die sich selbst die Stadtwache kaum hinein traut. Neben einer Übersichtskarte mit den jeweiligen Territorien der Unterweltherrscher gibt es Beschreibungen und Eigenarten, wie diese auftreten und wie man mit ihnen in Kontakt kommen kann sowie auch hier lobenswerterweise verschiedene Szenario-Ideen.
Das anschließende Kapitel geht dann auf die dunklen Kulte der Stadt ein, die mit den Chaosgöttern wie Tzeentch, Slaanesh, Khorne und Nurgle verbunden sind. Das Auftreten des jeweiligen Kultes, der Tätigkeitsbereich und die Hierarchie sowie einzelne Gruppen sind hier Thema. Aber auch andere verbotene Organisationen der Stadt erhalten eine kurze Vorstellung. Insgesamt ist das ein spannendes Kapitel, welches viel Potenzial bietet, aber auch ein paar Abenteuerideen vermissen lässt.
Der Band wird mit drei Anhängen beschlossen. Auf sechs Seiten wird das Spiel Middenball beschrieben, welches im gesamten Imperium bekannt ist und einer Mischung aus Rugby und Fußball ähnelt. Hier werden neben Werten von Spielern auch ausführliche Regeln vorgestellt, mit dem die Sportart auch im Spiel umsetzen kann. Dazu gibt es dann sowohl eine Athletik- als auch Brutalitätstabelle (ungelogen) sowie Erläuterung des Ablaufs eines Spiels. Hier muss man sich leider fragen, warum dies so ausführlich in der Spielhilfe zur Stadt breitgetreten wird. Eine Erwähnung in einem Kasten wie zu anderen Themen ist sicherlich sinnvoll, aber mehrere Seiten für Regeln dafür aufzuwenden, ist Platzverschwendung, denn nur wenige Spieler und Spielleiter werden dies am Spieleabend verwenden.
Der zweite Anhang stellt spezielle Klassen und Karrieren für Middenheimer vor und beschreibt mehrere Archetypen mit Middenheimer Hintergrund. Als Begründung wird genannt, dass sich das Grundregelwerk auf Reikländer bezieht und für Nordländer leicht andere Regeln gelten sollten. Hier gibt es dann dafür Tabellen zur Figuren-Erschaffung. Man hat hier leider eher den Eindruck eines Lückenfüllers, denn benötigt wird dieser Abschnitt wirklich nicht.
Der letzte Anhang ist dagegen wesentlich hilfreicher und informativer: Es werden künftige Ereignisse und Gefahren skizziert, die Middenheim betreffen und wie man diese in Abenteuer einbauen oder als Basis für ein Abenteuer verwenden kann. Einerseits geht es um Zusammenhänge mit dem dritten Teil der „Der Innere Feind“-Kampagne, aber auch zwei größere Feinde der Stadt werden vorgestellt und wie man sie einbauen kann. Davon hätte man dann doch gern mehr gesehen als die beiden vorherigen Kapitel, da dies gleich Ideen beim Lesen weckt.
Nach den Anhängen folgt noch ein zweiseitiger Index, sodass man bestimmte Begriffe schnell wieder findet. Eine gute Idee, die zu selten in Quellenbänden Verwendung findet.
Fazit: Wenn man zwei der drei Anhänge sowie das Bestiarium außer Acht lässt, ist dies ein hervorragender Quellenband zu Middenheim, der viele Informationen und Abenteuerideen enthält und für unzählige Spielabende oder mehrere Kampagnen zu verschiedenen Themen in der Stadt Material bereithält. An manchen Stellen sind die Texte etwas lang und hätten den einen oder anderen Einschub sowie manchmal noch eine Abenteueridee enthalten können. Als Erweiterung zur „Der Innere Feind“-Kampagne ist der Band fast unerlässlich, da man so dessen Handlung noch viel mehr mit Flair und Hintergrund versehen kann. Selbst für Spieler, die keine „Warhammer Fantasy“-Fans sind, könnte die Anschaffung eine Idee sein, da man vieles sicherlich auch in anderen Fantasy-Welten umsetzen kann. Insgesamt eine sehr lohnenswerte Anschaffung, die nur an wenigen Stellen Kritik aufkommen lässt.
Middenheim – Stadt des Weißen Wolfs
Quellenbuch
Dave Allen, Jim Bambra, Graeme Davis u. a.
Ulisses Spiele 2024
ISBN: 978-3-96331-903-7
160 S., Hardcover, deutsch
Preis: 44,95 EUR
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