Metal Heroes – and the Fate of Rock

Mit einem Discman bewaffnet betretet ihr einen Musikladen, der den neuesten Schrei, echte Klassiker und wahre Indie-Perlen verkauft. Ihr seid Stammgast und liebt Metal! Da kann der Tag noch so anstrengend und nervtötend gewesen sein, mit der richtigen Musik ist alles vergessen. Sobald die ersten verstärkten Klänge der Gitarre einsetzen und der Bass dröhnt, das metallische Schlagzeug richtig einheizt und das Keyboard den Gesang in andere Sphären treibt, kann kommen was will. In dem Spielbuch „Metal Heroes – and the Fate of Rock“ ist es eure Aufgabe, den Metal-Olymp zu erklimmen und eine noch unbekannte Band groß rauszubringen. Schafft ihr den Hype? Let’s Rock!

von Daniel Pabst

„Metal Heroes – and the Fate of Rock“ ist ein Buch, genauer gesagt ein Spielbuch. Auf über 800 Seiten bietet der Mantikore Verlag an, eine ganz eigene Episode der Metal-Geschichte zu schreiben. Der Autor Swen Harder prostet in seinem Vorwort allen Metal-Freunden zu, und diese scheinen seinen Gruß auch erwidert zu haben. Denn seit der Erstauflage im Jahre 2016 befindet sich sein Spielbuch aktuell bereits in der 4.Auflage. Neben dem Buch erhält jede und jeder eine beiliegende CD, die den Soundtrack zum Buch enthält. In Kooperation mit Napalm Records gelang es, internationale Bands zu gewinnen, um den Metal in seinen unterschiedlichen Facetten zu feiern. Mit dabei sind die Bands Striker, DevilDriver, Cavalera Conspiracy, Alestorm, Delain, Huntress, Gormathon, Grave Digger, Mammoth Mammoth und Visions of Atlantis. Die Songs sind nicht als Begleitmusik zu verstehen, sondern ergänzen das Buch an ausgewählten Stellen. Interaktion und multimediales Erlebnis also. Schalten wir gemeinsam den Verstärker ein und schlagen die erste Seite des Lese-Abenteuers auf!

Das Buch zeigt nach einem kurzen Vorwort sein Inhaltsverzeichnis. Dem folgt zuallererst das „Metal-Logbuch“. Weiter enthält das Buch – wie für ein Spielbuch üblich – einzelne Rubriken, in denen wir im Laufe des Spiels Eintragungen vornehmen werden („Level“, Einfluss, Leben, „Taylors Kram“). Es folgen die Band-Mitglieder, die wir im Verlauf des Abenteuers „pushen“ werden. Sie haben eigene „Skills“, „Power“, „Presence“ und Ego. Wir merken spätestens hier, dass wir es mit waschechtem Metal zu tun haben, sind doch die Textpassagen voller englischer Worte und englischer Liedzeilen. Der Autor Swen Harder nimmt hierzu kurz Bezug, indem er zu Beginn schreibt: „Metall Helden – und das Schicksal des Felsens. Verdammt noch mal, braucht es weitere Belege, um Anglizismen zu rechtfertigen?“. Wohl kaum, denn nur durch die für Metal typische Sprache, kommt der richtige „Drive“ auf und macht den „Metal-Spirit“ auch in Buchform erlebbar.

In „Metal Heroes – and the Fate of Rock“ werdet ihr auf eine Vielzahl an Verweisen („Von Aerosmith bis ZZ Top, von Alice Cooper bis Zappa“) und bekannten Liedzeilen sowie Persönlichkeiten treffen. Zudem habt ihr die Aufgabe, der „Newcomer-Band“ ein eigenes Repertoire zusammenzustellen. Welche Songs passen zu welchen Umständen und wer aus der Band ist gerade in Stimmung seine Höchstleistung abzurufen? Gemeinsam mit „Supportern“ und „Roadie“ gilt es zudem eine glorreiche Route zusammenzustellen. Wird der nächste „Gig“ in den USA, Kanada, Schweden, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland oder gar in Brasilien steigen? Was werden eure Fans und Groupies sagen? Die Authentizität dieses Spielbuches wird gesteigert durch reale Orte. So geht ihr zu Beginn mit einem VIP-Ticket in Los Angeles zum „Sunset Strip Music Festival“ und lasst euch im „Whiskey-a-Go-Go“, „Viper Room“ und dem „Key Club“ ordentlich volllaufen und rockt hart.

In Zeiten, in denen Festivals wie aus einer fernen Vergangenheit wirken, ist dieses Spielbuch eine gelungene Abwechslung. Das Buch versprüht neben der Laune auf Metal-Festivals und Rock-Konzerte einen gewissen Charme und Witz, den es für eine Strecke von über 800 Seiten auch nötig hat. Das Werk bringt als Spielbuch viele eigene Regeln mit sich. So steht es euch zu Beginn beispielsweise vollkommen frei, den passenden Schwierigkeitsgrad (einfach, mittel, schwer) für das eigene Spielerlebnis zu wählen. Wollt ihr nur seichten Rock oder steht ihr auf Heavy Metal? Zudem gibt es die Option, ganz auf die Regeln zu verzichten und nach eigenem Ermessen vorzugehen. Es geht schlicht darum, dass man Freude am Lesen und Spielen hat, und nicht darum, dass man im Regelstudium zu versinken droht.

Immer wieder werdet ihr auf gewisse Proben („Checks“) gestellt. Neben den klassischen Fragen im Stile der „1000 Gefahren-Bücher“ von Ravensburger („Choose Your Own Adventure“ – „CYOA“ von Edward Packard) ist dies eine nette Abwechslung. Auch müssen vermehrt weiße und schwarze Würfel gewürfelt werden oder eine Karte aus einem Poker-Blatt gezogen werden. Und keine Sorge, falls ihr weder Würfel noch Kartenset in greifbarer Nähe habt: Auf jeder zweiten Seite des Buches sind zufällige Würfelergebnisse und Spielkarten abgedruckt, sodass man in Form eines Daumenkinos das Glück herausfordern kann.

Insgesamt werden einem mehr als 1300 Sprünge angeboten. Diese können sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft gehen (was stilecht als „Rewind“ oder „Fast Forward“ bezeichnet wird). Das Zurück- und Vorspulen kennt man nur zu gut vom CD-Player oder auch dem guten (tragbaren) Kassettenplayer (welcher zunehmend auch wieder bei der jüngeren Generation trendet und ein Comeback feiert!) Die zahlreichen Sprünge des Spielbuchs erfordern eine Menge Entscheidungslust und auch Glück. Zudem sollte man ausreichend Zeit mitbringen, da man ganz sicher nicht an einem Wochenende oder gar Abend am Ende der Geschichte angelangt sein wird. Will man dann noch die verpassten Wege nachlesen, bedarf es weiterer Lesezeit. Ein langandauernder Spaß voller Abwechslungen ist hier vorprogrammiert! Nicht grundlos dauerte es für Swen Harder von der ersten Idee von „Metal Heroes – and the Fate of Rock“ bis zur Fertigstellung über drei Jahre.

Einen Blick in die Seele des Protagonisten, den wir spielen erhalten wir gleich am Anfang des Buches im Kapitel „Lonesome in the Jungle“, was die Grund-Stimmung der Geschichte vorgibt: „Einzig durch geschickten Ausgaben-Management (penetrantes Kippenschnorren bei Kollegen und Passanten), ein dauerhaftes Mietmoratorium (nächtlicher Buden-Einstieg über die Feuerleiter) oder das Schieben von unterbezahlten Überstunden als Aushilfskraft in der Rainbow Bar (Schrubben der Küche und Klos in den Morgenstunden) kannst du dich einigermaßen über Wasser halten“. Eine Geschichte vom Tellerwäscher zum Rock-Hero!

Neben dem „Rock“ trägt das Buch den Untertitel „Comedy“. Damit hat es folgendes auf sich: Nach dem Regelwerk, welches ein Spielbuch in gewissem Maß einfach voraussetzt, lässt einen der Einstieg in das Abenteuer schon mehrmals schmunzeln. Wir – mit unserem Discman – scheinen aus der Zeit gefallen zu sein, wenn wir im Buch sinnieren: „Mit diesem neumodischen MP3-Zeugs kannst du eh nichts anfangen – einmal ganz davon abgesehen, dass du dir einen solchen Kram gar nicht leisten könntest“. Der Autor wollte einfach die Comedy einfließen lassen und für Lacher sorgen. Dies gelingt mal mehr, mal weniger überzeugend. Um die Überzeichnungen zu schaffen, wurde auch nicht an Kraftausdrücken gespart, wovon die Aussage: „Echt, manchmal geht dir der Lärm von L.A. richtig auf den Sack!“ noch einer der harmlosen Ausdrücke ist.

Die Überzeichnung und das aufs „Korn“ nehmen des Genres von Swen Harder liest sich stimmig, wenn auch an manchen Stellen die machohaften-Sprüche deutlich Überhand nehmen, und dem Protagonisten gleichend einfach aus der Zeit gefallen sind. Oder wie anders liest sich die Frage, ob wir mit dem „Liftgirl“ flirten wollen, oder ihr entgegnen wollen: „Ich steh auf deinen Erdbeermund, Baby“? Dann wären da an späterer Stelle im Buch die „Bikini-Nixen“ aus „Hefs Mansion“ und das „Power-Weib“, „deine Alte“, „Tussi“, „Emo-Girl“, sowie „aufreizend bekleidete Damen (…) mit lasziven Streicheleinheiten“. Und wenn wir stark alkoholisiert an der Bartheke gelehnt stehen, dürfen wir ein anderes Mal Folgendes lesen: „Kurz entschlossen machst du eines der jungen Dinger an“, dann mag einzig die Antwort der Frau für manche humorvoll klingen: „Hör mal zu Opa, du bist irgendwie süß, aber ich will es mal so ausdrücken: Dein Gen-Pool ist nicht besonders interessant für mich!“.

Im Wissen darum, dass viele Passagen in „Metal Heroes – and the Fate of Rock“ der Comedy dienen, Klischees bewusst bedienen und uns letztlich in eine Fantasie-Welt versetzen, lassen sich gewisse Passagen irgendwie aushalten – oder man ist für dieses Buch vielleicht einfach nicht der richtige Adressat. Ob auch Adressatinnen ihren Spaß mit diesem Buch haben können, ist mehr als fraglich. Die Rückseite des Buches warnt alle Interessenten und lässt verlauten: „Als Gegenpart zu den testosterongesteuerten Metalheads werden unter anderem Jill Janus von der USA-Band Huntress und die Frontfrau der niederländischen Symphonic-Metaller Delain, Charlotte Wessels, ihre Stimme zur Rettung der Musik-Welt erheben“. Wenn das kein Ausgleich ist …

Dass es in „Metal Heroes – and the Fate of Rock“ dann noch übernatürlich zugehen wird, sollte keine Überraschung sein. Denn der Mantikore Verlag ist bekannt durch seine Fantasie-Spielbücher, wie der Erfolgs-Titel „Einsamer Wolf“, von dem es mehr als stolze 20 deutsche Übersetzungen gibt. Welch eine Fantasy-Saga! Hier dagegen werden wir bereits nach kurzer Zeit in einem ominösen Hinterzimmer des Viper-Rooms von Lex Lucius, einem Produzenten für außergewöhnliche Musik, gefragt, ob wir einen Vertrag mit „Abyss Records“ unterzeichnen möchten. Was war nochmal die Übersetzung für Abyss? Und nimmt die geheimnisvolle Gestalt auf dem Cover das Genre des „Death Metal“ vielleicht etwas zu wortwörtlich? Es bleibt geheimnisvoll, denn zu viel soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden …

Geschichten als Spielbücher hatten ihren Höhepunkt der Bekanntheit mit den „Fighting Fantasy“-Büchern von Steve Jackson, wie etwa der Titel „Der Hexenmeister vom flammenden Berg“. Seit dem ersten Erscheinen dieses Klassikers (1982) sind mittlerweile 40 Jahre vergangen. Nicht nur in der Fantasy-Welt sind seitdem viele Veränderungen passiert. Und Spielbücher werden immer noch aktiv produziert, mit großem Anklang und einer Fangemeinde. Das Ganze auf Metal zu übertragen hat seinen Reiz. Die Einleitung, dass wir die Führung einer unbekannten Rock-Band – mit Leo, dem Bassisten, Gregori, dem Drummer, Brian, dem Lead Guitar-Kopf und Joey dem Vocalist und Rhythm-Gitarristen – übernehmen, ist gut gewählt. Auch die zusätzlichen in das Buch eingeflochtenen Fantasieelemente und das teuflische, beziehungsweise göttliche Motiv, hebt die Metal-Geschichte nochmal auf eine ganz andere Ebene, witzig hinterlegt durch die unzähligen Anspielungen, wie „Sultan of Swing“, „Bjorn to be Wild“, „Hell likes Teen Spirit“, „Carry on Waylaid Son“ oder „Bummer of 69“.

Auch clever ist die Anordnung des Autorennamens auf dem Cover. Sein Name Swen Harder steht in Kombination zu „Louder, Harder, Faster“ – dem Musikalbum der amerikanischen Rockband „Warrant“. Ausgezeichnet wurde das Buch 2017 übrigens mit dem Deutschen Rollenspielpreis. Wer Metal-Musik noch nicht als Genre für sich entdeckt hat, der wird von Swen Harder liebevoll mit diesem Buch herangeführt. Denn er hat im Anhang eine kurze Übersicht des Genres mit seinen zahlreichen Sub-Genres abgedruckt und verweist auf die 12-teilige Dokumentation „Metal Evolution“ von Sam Dunn aus dem Jahre 2011. Und selbst wen das noch nicht zu überzeugen weiß, der hat am Ende mit „Metal Heroes – and the Fate of Rock – Soundtrack“ eine (erste) Metal-CD in seiner Sammlung. Und wer weiß, vielleicht erweitert sich diese dank des Spielbuches eines Tages oder lädt zu einem Festival-Besuch ein. Wenn es (endlich) wieder heißt: „We Wanna Rock!“.

Graphisch ist das Spielbuch von Fufu Frauenwahl gestaltet worden. Seine schwarz-weißen Zeichnungen ergänzen die Handlung sehr gut. Wir blicken auf eine „Warshall-Box“ oder Ausgaben des „SLAM“-Magazins. Hervorzuheben sind die gezeichneten Charaktere von Fufu Frauenwahl. Die Bandmitglieder wirken rau und dennoch ansehnlich. In einem gemalten Ausstellungssaal nimmt er auf die Welt von Woodstock Bezug, auch Jimi Hendrix und Elvis Presley sind dort zu sehen. Weiteres Highlight der Gestaltung ist ein wiederkehrender VW Bus mit Hippie-Zeichen, der über die Seiten fährt. Büstenhalter und Bierdosen sind (natürlich) auch zu sehen. Diese und weitere Zeichnungen machen das Spielbuch auf gute Weise noch lebendiger.

Fazit: „Metal Heroes – and the Fate of Rock“ ist keine Niete. Swen Harder ist es gelungen, den mitunter chaotischen, weltentsagenden Metal in eine Spielbuchform zu gießen. Das Buch unterhält auf eine eigene Art und Weise, ohne die Liebe zum Rock zu vernachlässigen. Für „Newbies“ hat dieses Spielbuch einen Charme, enthält es doch Stoff, um sich an Metal heranzutasten. Für Metal-Fans kann dieses Buch ein erlebnisreicher, in Erinnerung schwelgender und tröstender Zufluchtsort sein, um die Zeit zu verkürzen, bis die großartigen Live-Konzerte und Festival-Sommer wieder zum „Headbangen“ aufrufen und das eigene Abenteuer „(a)live“ wird.

Metal Heroes – and the Fate of Rock

Rock-Comedy-Spielbuch
Swen Harder, Fufu Frauenwahl
Mantikore Verlag 2016
ISBN: 978-3-9392-1260-7
808 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 19,95

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