Einsamer Wolf 1: Flucht aus dem Dunkeln

„Weit im Norden liegt das Land Sommerlund, wo es seit Jahrhunderten Brauch ist, männliche Nachkommen mit Erreichen des siebten Lebensjahres in das Kloster der Kai zu entsenden. Dort werden sie in den Disziplinen und Fertigkeiten ihrer edlen Vorväter unterwiesen.“ - Mit diesen einleitenden Worten beginnt die Saga um den Einsamen Wolf, einem Klassiker der Fantasy-Spielbücher.

von Morgath

Das Abenteuer

Zu Beginn des Abenteuers ist der Leser ein junger Kailehrling, der sich vor acht Jahren in das Kloster begeben hat, um die Lehren des Ordens zu lernen. Er trägt den Namen Lautloser Wolf und bereitet sich wie seine Ordenbrüder auf das anstehende Fehmarnfest vor. Doch als der Tag kommt, kommt alles anders. Im Morgengrauen fallen die Horden des Bösen, angeführt von den schwarzen Lords, unerwartet und unerbittlich über das Kloster her und töten jeden, den sie kriegen können. Nur einer kann entkommen. Er ist nun der letzte der Kailords – der Einsame Wolf!

Doch in der bittersten (um nicht zu sagen der letzten) Stunde der Kai keimt auch ein Funken Hoffnung auf. Der junge Kailord hat eine Vision. Er merkt, dass er für was Höheres bestimmt ist. Doch zunächst muss er nach Holmgard, die Hauptstadt von Sommerlund, um den König zu warnen. Der Weg führt ihn durch unwegsames Gelände, da die Hauptstraßen von den Truppen des Feindes besetzt sind. Er muss zahlreiche Abenteuer bestehen, ehe er nach einer gefährlichen Reise endlich vor den König tritt.

Doch die größte Gefahr erwartet ihn erst hier, denn der Feind hat einen heimtückischen Spion eingeschleust...

Vergleich Alt und Neu

Im Vergleich zu der alten Auflage aus dem Jahre 1984 fällt sogleich der gesteigerte Umfang auf. Während die alte Auflage nur 350 Abschnitte hatte, hat die neue gleich 550 – ist also mehr als anderthalbmal umgangreicher. Das liegt vor allem an zwei zusätzlichen Passagen.

Zum einen ist der Beginn komplett neu geschrieben worden. In der alten Ausgabe will der Einsame Wolf in die beginnende Schlacht stürzen, stolpert dabei aber über seine Beine, stößt sich den Kopf an und wird ohnmächtig. Er überlebt nur, weil er von den Feinden für tot gehalten wird. Dieser peinliche Beginn wird dem Helden diesmal erspart. Er kann die komplette Eroberung des Klosters miterleben. Auch wenn er den Ausgang der Schlacht nicht beeinflussen kann (er muss ja schließlich zum Einsamen Wolf werden), so kann er doch etwas bewirken: Er sendet ein Lichtsignal und warnt dadurch das restliche Königreich vor dem Einfall der feindlichen Armeen. Dieses Vorspiel nimmt geschätzt sicherlich weit über 100 Abschnitte ein.

Zum anderen ist auch das Ende neu gestaltet worden. In der alten Ausgabe wurde der Einsame Wolf einfach vor den König geführt, und damit endete das Buch. Nun erwartet ihn noch ein gefährlicher Gegner, denn ein Helghast, ein Gestaltenwandler, hat sich in die Festung des Königs geschlichen und möchte diesen töten. Dieser Gegner ist der gefährlichste im ganzen Abenteuer und somit ein würdiger Endgegner für das erste Buch.

Aber auch weitere Änderungen sind auffällig. Alle Abschnitte wurden komplett neu übersetzt und Aufgrund der umfangreichen Erweiterung war eine komplette Neunummerierung der einzelnen Abschnitte erforderlich. Ein Vergleich der beiden Auflagen war daher nur bedingt möglich. Soweit dieser aber stichpunktartig durchgeführt wurde, fällt auf, dass die Neuauflage „geschwätziger“ daherkommt. Die Ausschmückungen sind aber ohne Ausnahme sinnvoll, weil sie im Wesentlichen mehr Informationen über das Land, die Kultur und die Geschichte von Magnamund (den Kontinent) beinhalten. Als der Autor Joe Dever das erste Buch schrieb, hatte er (vermutlich) nur ein grobes Konzept und wusste noch nicht im Detail, wo alles hinführen würde. Auch die Welt war noch unvollständig entworfen. Sie entwickelte sich erst mit und in den weiteren Bänden der Serie. Diese Entwicklungen hat der Autor nun in die Überarbeitung einfließen lassen, sodass die Welt noch farbenfroher und lebendiger geschildert wird.

Aber auch dem roten Faden der gesamten Serie wird von Anfang an mehr Rechnung getragen als das früher möglich war. Zahlreichen Passagen merkt man an, dass sie in Kenntnis zukünftiger Ereignisse verfasst wurden. So heißt es dann in Abschnitt 1 auch prophezeiend (und unverblümt) für die Zukunft des Einsamen Wolfes:

„Deine Unzulänglichkeit im Klassenzimmer scheinst du durch deine angeborenen Fähigkeiten im Umgang mit der Waffen gut kompensieren zu können. Du hast viel Talent. Wenn du nur die gleiche Hingabe bei deinen Studien zeigen würdest, könntest du eines Tages bestimmt den Rang eines Kai-Meisters erlangen. “

Der Leser merke sich also, immer auf die Maximierung des Kampfwertes zu achten!

Außerdem wurden einige Begegnungen mit Personen, die in späteren Bänden noch an Bedeutung gewinnen werden, von Anfang an ins rechte Licht gerückt. Als Beispiel sei hier die Begegnung mit dem jungen Zauberer Banedon genannt, der in der alten Ausgabe noch eine Zufallsbegegnung am Rande war (vermutlich weil damals noch nicht feststand, welche Rolle Banedon später noch einnehmen wird). Nunmehr steht aber fest, dass Banedon in den späteren Büchern noch zahlreiche wichtige Gastauftritte hat, sodass die Begegnung mit ihm so konstruiert wurde, dass der Leser zwangsläufig auf ihn treffen muss. Eine – wie finde – sehr sinnvolle Änderung, weil dadurch der Bände übergreifende Charakter der Serie noch besser zur Geltung kommt. Die neue Ausgabe wirkt daher insgesamt runder und vollkommener als die alte.

Gesamteindruck

Das erste Abenteuer der Serie ist verhältnismäßig einfach aufgebaut und besteht im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung zahlreicher kurzer und voneinander unabhängiger Zufallsbegegnungen, deren Zusammenhang ausschließlich die Reise des Einsamen Wolfes zum König darstellt. Einzig die Anfangszene (also der Überraschungsangriff der Schwarzen Lords) und die Endszene vor dem König sind länger.

Die Begegnungen werden in einer knappen, aber packenden Sprache erzählt und reißen den Leser vom ersten Abschnitt an mit. Ununterbrochen gibt es irgendwas Neues zu tun, auf irgendetwas zu reagieren oder irgendetwas zu entdecken. Außerdem ist der Leser ständig irgendwelchen Gefahren durch herumirrende Pfeile, patrouillierende Soldaten oder sonstigen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, sodass er stets den Verlust von Ausdauerpunkten fürchten muss. Dadurch wird eine anwachsende Spannung aufgebaut, die sich durch das ganze Buch zieht, denn – auch wenn die einzelnen Abenteuer streng genommen nur wenig Außergewöhnliches bieten – ein Kampf zur falschen Zeit oder/und ein unglücklicher Würfelwurf und der Leser darf das Buch von vorne anfangen...

Insgesamt sind die einzelnen Begegnungen und der Glücksfaktor gut ausgewogen. Mit einer guten Auswahl an Kaifertigkeiten (man denke an die Maximierung des...), vernünftigen Entscheidungen (zusätzlich zur Maxim...) und durchschnittlichen Würfelwürfen (bei maximalen...) bestehen guten Chancen, das Abenteuer gleich beim ersten Mal zu bestehen. Erleichternd kommt hinzu, dass es mehrere Wege gibt, um erfolgreich ans Ziel zu kommen.

Persönliche Note

Auch viele Jahre nach dem ersten Spielen hat mich der Bann des Einsamen Wolfes wieder gepackt. Es macht einfach Spaß, sich durch das Spielbuch zu lesen, auch wenn ich nun einige Ereignisse in einem anderen Licht sehe. So habe ich mich nun (im Gegensatz zu früher) schon einige Fragen gestellt:

  • Wie kann es sein, dass der Orden der Kai (nicht irgendein Orden, sonder ein Orden aus absoluten Elitekriegern) völlig ahnungslos von einem Heer überrascht wird? Das Heranrücken eines Heeres ist kaum zu verbergen.
  • Wie kann es sein, dass keiner die Schlacht überlebt außer dem Einsamen Wolf? Es sind, wie gesagt, Elitekrieger. Und ihnen ist nicht verboten, zu fliehen. (Intelligenz ist nämlich ein wichtiger Bestandteil der Ordensregeln).
  • Wie kann es sein, dass der Einsame Wolf auf seiner Reise zu der Hauptstadt, zahlreichen Feinden begegnet, obwohl der Einfall der feindlichen Truppen mit dem Angriff auf die Kai-Abtei begonnen hat? Ein Heer ist bekanntlich sehr langsam beim Vorrücken. Selbst wenn das Heer zeitgleich mit dem Einsamen Wolf aufgebrochen ist (was unwahrscheinlich ist, weil die Abtei noch geplündert werden muss), ist ein einsamer Reisender deutlicher schneller, sodass der Einsame Wolf dem Heer weit voraus hätte sein müssen.
  • Warum möchte der Einsame Wolf unbedingt zum König, um ihn zu warnen? Hätte der etwa das heranrückende Heer vor seinen Mauern nicht bemerkt...

Aufmachung

Das Buch erscheint als ca. 400-seitiges Softcover. Das Cover zeigt den Einsamen Wolf, wie er sich gegen ein feindliches Monster zur Wehr setzt. Es ist gut gewählt und deutlicher stimmiger als das Bild der alten Ausgabe, bei dem man den Eindruck hatte, auf einen mit Pickel übersäten Drogensüchtigen zu blicken. Das Layout ist sehr sauber, aber auch sehr schlicht, und hinterlässt den Eindruck einer selbst gebundenen Doktorarbeit. Man merkt irgendwie, auch wenn man es nicht wirklich in Wort fassen kann, dass der Verlag noch sehr jung auf dem Markt ist. Die alte Ausgabe wirkte professioneller. Trotzdem hat die neue Ausgabe keine Mängel und ist qualitativ gut. Das Buch ist reich bebildert, wobei zahlreiche Bilder der alten Ausgabe, aber auch eigens für die neue Ausgabe angefertigte Bilder verwendet wurden. Während mir die alten Bilder durchgängig gut gefallen haben, haben mich die neuen nicht wirklich überzeugt. Irgendwie fehlt ihnen das gewisse Etwas. Die Farbkarte über die nördlichen Königreiche ist hingegen sehr schön ausgefallen, wenn auch leicht zu dunkel für meinen Geschmack. Der Preis von 14,95 EUR ist zwar nicht gerade als günstig zu bezeichnen, wenn man aber die Qualität des Inhalts als Maßstab heranzieht, dann ist das Buch das Geld allemal wert.

Fazit: Trotz einiger Schwachpunkt in logischer Hinsicht ist die Überarbeitung des ersten Spielbuches alles in allem gelungen. Die Spannung und der Lesespaß wurden beibehalten. Aufgrund der großen Erweiterung ist das Buch auch uneingeschränkt für Inhaber der alten Ausgabe empfehlenswert. Wer Spielbücher mag, der kommt am Einsamen Wolf nicht vorbei!


Einsamer Wolf 1: Flucht aus dem Dunkeln
Abenteuer-Spielbuch
Joe Dever
Manticor Verlag 2009
ISBN: 978-3-9812812-0-0
410 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 14,95

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