Maus und Mystik

„Die Legenden von Andor“, ein kooperatives Familien-Fantasy-Spiel von Kosmos, bei dem man in die Rolle von tapferen Helden schlüpft, um eine fortlaufende Geschichte in einem von Magie beherrschten Land zu erleben, war im Herbst 2012 der Spiele-Hit überhaupt. So wundert es nicht, dass der Heidelberger Spieleverlag mit „Maus und Mystik“ von Plaid Hat Games ein knappes Jahr später eine Variante dieses Konzepts auf den deutschen Markt gebracht hat. Hier nun spielt man in Mäuse verwandelte Recken, die in einer riesigen Burg gegen eine fiese Zauberin antreten. Ein tierisches Vergnügen?

von Frank Stein

Waschechte Fantasy-Spiele – gerade vom Heidelberger Spieleverlag, der oft Fantasy-Flight-Games-Produkte übersetzt und herausbringt – sind meist eine komplexe Angelegenheit. Dickes Regelwerk, komplizierte Detailregelungen und von der Erzählhaltung, die zwischen brachialem Dungeoncrawl und strategischer Welteroberung schwankt, zwar ein Fest für männliche Genre-Fans, aber nichts direkt für den Familiensamstagnachmittag. „Maus und Mystik“ setzt schon mit dem Titel ein Zeichen dagegen. Es geht um Magie und um possierliche Tierchen und es wird ein zauberhaftes Märchen erzählt, das alle typischen Elemente eines Disney-Films enthält. Wenn das kein Spiel für die Freundin oder das Familienrund ist!

Öffnet man die gewichtige Spielbox, wird dieser Eindruck zunächst noch verstärkt: Hübsche Charakterbögen, die mutige Mäuse in bunten Kostümen zeigen, detaillierte Plastik-Spielfiguren, zu denen neben unseren Helden auch Gegner wie Rattenkrieger, Kakerlaken und anderes Gezücht zählen, doppelseitige Spielpläne aus festem Karton, die schön gestaltete Räume der Burg, in der die Handlung angesiedelt ist, zeigen und ein umfangreiches Geschichtenbuch mit elf Kapiteln, die es in Begleitung zahlreicher Erzähltexte durchzuspielen gilt, wecken sofort Gelüste, das Spiel auszuprobieren. (Bei weiblichen Spielern fast noch mehr als bei männlichen und bei Hobbyspielern fast noch mehr als bei Expertenspielern – aber damit trifft „Maus und Mystik“ ja genau die riesige Zielgruppe an potenziellen Käufern, die sonst lieber zu „Die Siedler von Catan“ als „Descent – Die Reise ins Dunkel“ greifen.)

„Trauer und Erinnerung“ heißt das Geschichtenbuch, das die Spieler durchzuspielen haben und dessen Cover mit dem schlafenden König, der von Protagonisten und Antagonisten eingerahmt wird, geradezu märchenhaft anmutet. Die Vorgeschichte hat viel Text, ist aber schnell erzählt. In einem Menschenkönigreich herrschte einst der gütige König Andan, der allerdings ein einsamer Mann war, weil seine Frau vor Jahren gestorben war. Eines Tages bekam er Besuch von einer Königin namens Vanestra, die zwar mit eisigem Wind und dunklen Wolken einzog, aber trotzdem in kürzester Zeit das Herz des Königs bezauberte. Erst wurde geheiratet, dann wurde der König krank und Vanestra übernahm die Regierung. Man kennt das. Prinz Collin und einige königliche Berater fanden das alles sehr ominös, als sie jedoch dagegen vorgehen wollten, wurden sie gefangen genommen und in den Kerker geworfen. Nur Dank des Zaubers des weisen Maginos, der sie alle in Mäuse verwandelte, gelang ihnen die Flucht. An diesem Punkt setzt Kapitel 1 ein.

Das Spiel wird – wie gesagt – in Kapiteln gespielt, die sowohl den modularen Spielplan als auch teilweise die Protagonisten vorgeben. „Maus und Mystik“ wird immer mit einer fixen Anzahl Helden gespielt (etwa vier oder sechs), das heißt in kleineren Spielrunden müssen Spieler auch mal zwei Helden übernehmen. In Runden gilt es nun, über den Spielplan zu laufen, Ratten und anderes Ungeziefer zu besiegen, Gegenstände zu finden, Fähigkeiten zu erlernen und am Ende jedes Kapitels kleine Teilerfolge zu erzielen. Das ähnelt Spielkonzepten wie „Die Legenden von Andor“ oder „Descent“ merklich, nur ist es alles viel knuffiger. Abgründe werden nicht mit Elbenseil, sondern mit Angelhaken und Schnur überwunden, statt magischem Kriegshammer und Flammenbrünne sammelt man Knopfschild, Eichelhelm und Zahnstocher und der schlimmste aller Gegner ist Brodie der Kater.

Leicht ist „Maus und Mystik“ deswegen allerdings nicht! Tatsächlich ist es sogar relativ knackig und auch für Expertenspieler eine Herausforderung. Denn der Zeitfaktor spielt bei den Abenteuern eine entscheidende Rolle. Bevor der Sanduhrmarker das Kapitelende (das zu Beginn jedes Kapitels auf eine in „Seiten“ eingeteilten Zeitleiste gelegt wird) erreicht, muss man das Missionsziel erreicht haben. Dabei rückt der Marker jedes Mal, wenn eine Maus bei null Lebenspunkten angekommen ist und damit „gefangengenommen“ wird (Tote gibt es auf Heldenseite bei „Maus und Mystik“ nicht), eine Seite weiter. Auch wenn das Käserad, eine Art Gefahrengradmesser, voll ist, rückt der Marker eine Seite weiter. Das Käserad füllt sich, wenn Gegner bei ihren Angriffen und Verteidigungsaktionen mit den Spezialwürfeln des Spiels ein Käsesymbol werfen. Dieses ist einmal auf dem Würfel drauf, und da ziemlich viel gekämpft und gewürfelt wird, taucht es auch häufiger auf. (Für die Helden ist Käse übrigens gut, denn damit kann man Fähigkeiten kaufen und auslösen, die im Spiel Vorteile bringen.)

Unterm Strich bedeutet das, dass Zeit ein enorm knappes Gut bei „Maus und Mystik“ ist. Und dass es nicht unerheblich vom eigenen Würfelglück abhängt, ob man gewinnt oder verliert. Ein paar Käse zu viel gewürfelt und das Abenteuer ist vorbei. Geschickt eingesetzte Fähigkeiten und Ausrüstung machen die Herausforderung natürlich etwas leichter. Hier ist tatsächlich Taktieren gefragt, denn wer einfach so blauäugig losläuft, wird überrascht sein, wie schnell so ein Sanduhrmarker von Seite zu Seite springt. Auch wenn man die Geschichte im Kampagnenmodus spielt, kommt man besser durch, denn die Mäuse dürfen ihre erworbenen Fähigkeiten und zumindest einen gefundenen Gegenstand über die Startausrüstung hinaus behalten. Spielt man dagegen jedes Kapitel einzeln, muss man mit der Startausrüstung und einer Fähigkeit pro Held auskommen, was beim zunehmenden Schwierigkeitsgrad irgendwann kaum noch machbar ist.

Zwei kleine Kritikpunkte sollen am Ende noch angesprochen werden: Auch wenn die Grundregeln von „Maus und Mystik“ im Kern überschaubar sind, entstehen durch Fähigkeiten, Ausrüstung und Kapitelsonderregeln immer wieder Situationen, in denen die Regellage nicht ganz klar ist. Hier muss man häufig nochmal genau nachschlagen, denn ein einzelnes Wort kann den Unterschied ausmachen. Und gelegentlich hilft sogar nur der Blick in irgendwelche Internet-Foren, um Fragen zu beantworten. Hier wäre ein FAQ-Dokument sinnvoll, das es auf Deutsch aber noch nicht gibt.

Dazu kommt, dass auf Dauer die Gegnerbandbreite etwas beschränkt ist. Die meiste Zeit kämpft man gegen Ratten und Kakerlaken. Die werden gelegentlich auch zu Elite-Ratten oder gierigen Kakerlaken, dennoch wünscht man sich nach ein paar Kapiteln, es möge vielleicht noch zwei Monsterarten mehr geben. Glücklicherweise haben die meisten Kapitel noch einen kleinen, spielerischen Kniff, etwa ein Glücksspiel gegen feindliche Ratten oder eine im Burghof vom Himmel stürzende Krähe, die für Abwechslung sorgen.

Fazit: Liebevolles, hochwertiges Spielmaterial, das von vorne bis hinten die märchenhafte Stimmung unterstützt, und eine spielerische Herausforderung machen „Maus und Mystik“ zum Abenteuer mit Suchteffekt. Ein reines Kinderspiel ist es allerdings nicht: Auch wenn das Setting Anfänger wie Veteranenspieler gleichermaßen ansprechen mag, ist es recht knackig vom Herausforderungsgrad und bedarf kluger Taktik, damit man nicht regelmäßig scheitert. Die diversen Sonderregeln machen es zusätzlich empfehlenswert, dass mindestens ein Spieler mit etwas Erfahrung in komplexeren Brettspielen an der Partie teilnimmt, um die Entwicklung des Abenteuers im Auge zu behalten.

Derzeit ist das Spiel auf Deutsch vergriffen. Es soll aber ab Q2/2014 wieder lieferbar sein.

Maus und Mystik Brettspiel für 1 bis 4 Spieler Jerry Hawthorne Heidelberger Spieleverlag 2013 EAN: 4015566000964 Sprache: Deutsch Preis: EUR 42,95 bei amazon.de bestellen

Links:

 

"Maus und Mystik"-Spielregeln (deutsch) (PDF)