Letaler Code

Niemand kennt die ganze Matrix. Denn ihre Tiefen sind unendlich wandelbar. Oder auch: Wer den Rand der Matrix erreicht, ist wieder an einem neuen Anfang angekommen. Oder genauer: Es verändert sich ständig so viel, dass eine vollständige oder auch nur großflächige „Karte“ der Matrix unmöglich akkurat zu halten ist. Doch ein Hacker muss auch nicht alles wissen, um erfolgreich zu sein. Er muss nur ein wenig mehr wissen als seine Gegner ... und dieses Wissen gegen sie anwenden können.

von Adaon

Die Matrix ist von der Welt nicht zu trennen. Die Geräte, die es gibt – und es gibt sehr, sehr viele – erschaffen die Matrix, und die Matrix beeinflusst diese Geräte. Und dadurch ihre Nutzer. Jeder benutzt irgendwann ein Gerät, besonders wenn er auf die Vorteile der Matrix zugreifen will, und hinterlässt damit Spuren. Und die Matrix ist gut darin, sich Daten zu merken. Wann war dieses Kommlink in welchem StufferShack? Wie lange? Welche Artikel wurden dort gekauft? Wann wurden sie in diesen Kühlschrank in der Nähe des Kommlinks gelegt, und in welchem Zeitraum wurden sie herausgenommen? Und schon leuchtet auf dem Bildschirm in der U-Bahn neben dem Träger des Kommlinks die neue Werbung für Nudeln mit Soyfleisch auf, die der Nutzer bereits dreimal gekauft hat. Lieber Nutzer, genau du, wirst doch an deinem StufferShack auf dem Heimweg vorbeikommen! Wenn du heute noch einkaufst, gibt es eine Dose Sojakefir zum halben Preis dazu!

Sich dieser Grundlagen der Matrix bewusst zu sein – du nutzt sie immer, und wenn du sie nutzt, hinterlässt du Spuren – ist für Leute, die grundsätzlich nicht verfolgt werden wollen, die halbe Miete. Denn dann können sie versuchen, etwas daran zu ändern. Die andere Hälfte? Nun, das ist zu wissen, dass beispielsweise genau die Person, die man sucht, ebenfalls in der Matrix Spuren hinterlässt. Und das ist natürlich nicht alles. Jedes Gerät mag in der Matrix sein, doch gibt es auch noch Objekte, also Informationen, die nur in der Matrix existieren. Um an diese heranzukommen, braucht es also jemanden, der mit der Matrix umgehen kann. Und wenn die Gegner gegen einen selbst Geräte einsetzen wollen – Schusswaffen zum Beispiel – ist es doch sehr nützlich, wenn man jemanden hat, der diese Geräte einfach abschaltet. Und das sind die Aufgaben des Hackers.

„Letaler Code“ ergänzt und erweitert über zwei Jahre, nachdem mit „Datenpfade“ das Regelbuch für die Matrix herausgekommen ist, die Regeln und die Umgebungen für die Matrix-affinen Mitglieder des Teams. Berichtet wird auch über komische Dinge, die in der Matrix passieren, jedoch Auswirkungen auf die gesamte Welt haben könnten – oder im Hintergrundrauschen von Verschwörungstheorien und Katastrophen aus der „realen“ Welt untergehen werden. Die Zukunft – und der Spielleiter – werden es erweisen.

Das erste Kapitel „Ihr wollt also Hacker sein“ stellt die Matrix grundlegend vor. Von den Anfängen ihrer Entwicklung bis zur heutigen Inkarnation, was darin möglich ist und was nicht, wird sie einfach und verständlich erklärt. Welches Wissen ein Runner haben muss, um die Matrix zu nutzen, und welche Fähigkeiten er dafür braucht – dieses Kapitel sollte in Zukunft jedem neuen Spieler, der einen Decker spielen will, vorgelegt werden. Außerdem gibt es 11 neue Matrixhandlungen, die das Hacken flexibler und abwechslungsreicher gestalten. Auch für den Spielleiter ist dieses Kapitel interessant, gibt es doch viel Hintergrundwissen und leicht anzuwendende Tipps. Abgerundet wird das Kapitel durch neue Arten von Hosts, die sich jeweils anders verhalten.

Im zweiten Kapitel „Dips und Chips“ wird Ausrüstung vorgestellt und beworben, die mit oder gegen die Matrix arbeitet. Den Anfang macht Spezialmunition, die – als Kugeln oder Granaten – Geräte von der Matrix abschneiden, eine Firewall auflösen oder Aufnahmegeräte in Dauerschleife setzen können. Außerdem sollte jeder bei einem Run einen Gesichtsverfälscher bei sich tragen. Dann gibt es natürlich jede Menge Spielzeuge für Decker: kleine Booster für Matrixhandlungen, spezielle Cyberdecks, die bestimmte Handlungen in der Matrix unterstützen, Kommlinks mit Spezialfunktionen, Upgrades für persönliche taktische Netzwerke von kleinen Gruppen – die Einkaufsliste für die Gruppe wird in diesem Kapitel lang werden.

Waren wir gerade beim Einkaufen? Im nächsten, kurzen Kapitel „Diskjockeys und Lichtstromreiter“ gibt es neue Vor- und Nachteile sowie Lebensmodule für Decker und Hacker. Hier ist der Preis natürlich Karma.

Für die Technomancer geht es danach in „Datenströmungen“ weiter. Hier können sie sich nach einer Wandlung auch noch einer Spezialisierung unterziehen und besser mit Resonanzfähigkeiten, Maschinen, Sprites oder Cyberware umgehen. Noch nicht genug? Das folgende Kapitel „Im Fluss“ liefert 11 neue Resonanz-Fähigkeiten, Vor- und Nachteile speziell für Technomancer, neue Echos, neue Arten von Sprites mit neuen Kräften für diese – und Schutzgeister! Nun, die virtuelle Variante davon, „Paragone“ genannt: deutlich leichter zu erreichen (wenn auch nur für Technomancer) und deutlich leichter wieder zu verlieren.

Diese Paragone spielen auch im nächsten Kapitel „Wo die wilden Icons blüh’n“ eine Rolle. Hier geht es um Matrixstämme; Gruppen von Technomancern, die sich in der Matrix und der realen Welt zusammengefunden haben, um sich gegenseitig Schutz und Hilfe zu geben. Von Konzernen gejagt und von vielen Menschen gehasst und gefürchtet zu werden, lässt eine solche Rückendeckung sehr vorteilhaft erscheinen, sorgt aber natürlich auch für weitere Verpflichtungen. Schließlich weiß man nie, wann plötzlich ein Flashmob-Stamm gebraucht wird, richtig?

Bei all diesen Vorteilen, die Technomancer so genießen, dürfen aber auch ihre Nachteile nicht in Vergessenheit geraten. Und dazu gehört, genau, das Technomancer gejagt werden. Konzerne wollen sie aufschneiden, panische Bürger wollen sie verprügeln oder schlimmeres. Im Kapitel „Auf Tauchstation“ beschreibt so ein besorgter Bürger, wie Technomancer vorgehen, wie man sie sich vom Leib hält, wie man sie findet und wie man sie besiegt. Umgekehrt ergeben sich dadurch natürlich für Technomancer Hinweise, wie sie genau diesen Vorgehensweisen begegnen können.

Zurück zu den Vorteilen für Technomancer! Verborgen in den Tiefen der Matrix sind die Resonanzräume zu finden. Nur von Technomancern zu erreichen, bieten diese „Unendlichen Weiten“ teilweise Selbsterfahrung, teilweise Ablenkung, und teilweise verlorenes Wissen, wie auf dem Friedhof, wo tote Programme zu finden sind, oder in der Fabrik, in der Sprites zusammengebaut werden – oder an noch verrückteren Orten. Auch für dissonante Technomancer findet der Spielleiter hier neue Ideen und Fähigkeiten.

Doch Technomancer sind, trotz aller Panikmache, selten. Damit sich dennoch jeder innerhalb der Matrix ausreichend bedroht fühlen kann, liefert das Kapitel „Nullzeichen“ neue Informationen über die Null-Sekte, jene unverständlichen, albtraumartigen Matrixwesen, die im Quellenband „Im Herz der Dunkelheit“ erstmals beschrieben wurden. Sie übernehmen Hosts, sie greifen scheinbar willkürlich Nutzer der Matrix an, und sie löschen gezielt die Daten von Personen, die etwas über sie schreiben. Und scheinbar gehen sie jetzt sogar noch einen Schritt weiter – sie haben gelernt, dass man unliebsame Personen aus der realen Welt nur auf eine Weise permanent löschen kann ... indem sie in eben dieser realen Welt eliminiert werden. Zwar können sie nicht in dieser Welt handeln, aber auf alle Geräte darin zugreifen. Da wird sich doch etwas finden lassen.

Die letzten beiden Kapitel „Unerforschte Wildnis“ und „Digitale Artenvielfalt“ stellen, wie die Überschriften schon besagen, die nicht-metamenschen benutzten Teile der Matrix in den Mittelpunkt. Merkwürdige Orte, Hosts, die niemand erschaffen hat, und als Ergänzung zu den bereits im „Critterkompendium“ erwähnten emergenten Tieren wie den Bastet wird ein ganzer Zoo an neuen Techno-Crittern geliefert. Vom digital aktiven Regenwurm, der sich durch Firewalls frisst, über das Datenkamel, das sich einen Vorrat an Daten aus der Matrix für längere Reisen anlegt, bis zum „Verwüster“, emergenten Hai-Arten, die gezielt die Technik von Schiffen angreifen, um sie kollidieren und sinken zu lassen. Frisch-Futter frei Schnauze, sozusagen. Techno-Sapiente dagegen, also Raubtiere, die in der Matrix entstanden sind, versuchen meist nur Daten zu fressen. Natürlich ist das ärgerlich genug, wenn es sich dabei um die Steuerungsprotokolle eines Flugzeugs in der Luft, eine lebende Persona oder eine SIN bei einem Grenzübergang handelt.

Achtung: In „Letaler Code“ befindet sich auf den Seiten 46 und 47, im Abschnitt für die neuen Host-Arten, ein deutlicher Druckfehler, durch den einiges an Material unleserlich wird: der Text befindet sich hinter einem Bild. Das offizielle Errata dazu findet Ihr hier:

http://www.shadowrun5.de/fileadmin/downloads/offiziell/errata/Errata-Seiten-LetalerCode.pdf

Die Seiten können problemlos ausgedruckt, etwas zurecht geschnitten und in das Buch gelegt werden. Es ist etwas ärgerlich, mit einem gekauften Produkt noch Arbeit zu haben, doch beim gewohnt günstigen Preis von 19,95 Euro für fast 200 Seiten Hardcover bleibt diese durchaus erträglich.

Fazit: Die zweite Regelergänzung zur Matrix in der 5. Edition nach „Datenpfade“ geht, ähnlich wie die Magie-Erweiterung „Verbotene Künste“, deutlich weiter in die Tiefe als sein Vorgängerband. Neue Techniken, neue Ausrüstung, neue Orte und Gefahren und – am interessantesten – neue Matrixhandlungen, um das Spiel abwechslungsreich zu halten und dem Decker neue Möglichkeiten zu bieten. Braucht die Spielrunde diesen Band? Diese Frage werden hauptsächlich der Decker und die Technomancerin beantworten können, auch wenn die gesamte Gruppe von der meisten Ausrüstung im zweiten Kapitel profitieren wird. Der Spielleiter findet für seinen Teil neue Möglichkeiten seinen Runnern Begegnungen von lästig bis tödlich zu bescheren, und Hintergrundinformationen für neue Bedrohungen, die seine Spielwelt umkrempeln könnten.

Letaler Code
Quellenbuch
Addie Gia, Jeff Halket, Jason M. Hardy, O. C. Presley, Grant Robinson u.a.
Pegasus Spiele 2018
ISBN: 978-3-95789-213-3
196 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 19,95

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