Heldenqueste: Roter Nebel über Hamburg

Wir schreiben das Jahr 1733. Seit leichtsinnige Söldner vor knapp 100 Jahren im Schwarzwald das Tor zur Hölle aufgestoßen haben, sind Hexen und Geister, Werwesen und Vampire Wirklichkeit geworden. Die Welt wurde in Finsternis gestürzt. Doch es gibt Hoffnung: Kleine Gruppen tapferer Männer und Frauen – Jäger genannt – stellen sich gegen das Böse, immer und überall. In diesem Abenteuerspiel müssen sie das Geheimnis des Roten Nebels von Hamburg lüften.

von Frank Stein

„Roter Nebel über Hamburg“ ist das erste Abenteuer eine Spielereihe namens „Heldenqueste“. Es handelt sich um ein narratives Abenteuerspiel, gewissermaßen eine Mischung aus Abenteuerspielbuch und Rollenspiel light, und ist in der Rollenspielwelt „HeXXen 1733“ von Ulisses Spiele angesiedelt, auch wenn das auf der Spielebox nicht hervorgehoben wird. Es steht bloß klein „powered by HeXXen 1733“ auf der Rückseite der Schachtel. Das ist aber auch völlig in Ordnung, denn das Spiel erfordert keinerlei Vorwissen um das Rollenspiel-System. Kenner freuen sich zwar, dass ihnen die Charaktere, das Setting und einige Regelmechanismen vertraut vorkommen, aber Neulinge können das Abenteuer auch einfach so als mysteriöse Queste in einem magischen Deutschland des Jahres 1733 erleben. Alles, was sie wissen müssen, erfahren sie im Regelheft und während des Spiels.

Das Spiel richtet sich an 1 bis 6 Spielende ab 12 Jahren und soll pro Kapitel (derer gibt es drei) in 1 bis 2 Stunden gespielt sein. Wichtig hierzu: Wenn man solo spielt, übernimmt man drei Charaktere, zu zweit bekommt jeder zwei Charaktere, es ziehen also auf jeden Fall drei Helden ins Abenteuer. Die Altersangabe bezieht sich meines Erachtens vor allem darauf, dass sehr viel während einer Partie vorgelesen werden muss. Mindestens eine Person am Tisch sollte also gut vorlesen können. Wenn dann zum Beispiel noch ein 10-Jähriger mit dabei ist, ist das völlig okay. Natürlich hat das Abenteuer eine Gruselkomponente, aber sie ist jetzt nicht übermäßig ausgeprägt und wird natürlich sehr viel milder wahrgenommen, als wenn das Ganze ein Comic oder gar ein Real-Film wäre.

Wie wird gespielt? Im Grunde ist das System sehr einfach. Jeder wählt zu Beginn aus den sechs Charakteren aus. Es gibt den kräftigen Haudrauf, den begabten Tüftler, den edlen Ordensritter, die freundliche Heilerin, die verstohlene Rächerin und den redegewandten Adligen. Jeder Charakter hat 3 Lebenspunkte und 3 Punkte „Esprit“, das ist eine Art Bonus-Währung, mit der man vor allem Würfelwürfe wiederholen kann. Außerdem hat jeder Charakter zwei Fertigkeiten (etwa „Heimlichkeit“ oder „Land und Leute“), in denen er oder sie begabt ist, das heißt bei einer Probe auf diese Fertigkeit darf man zwei der drei beiliegenden Symbolwürfel des Spiels werfen. Ist man nicht begabt, darf man nur einen werfen. Würfelt man ein Rabensymbol (2x auf dem Würfel enthalten), war man erfolgreich. Bei einem Stern (1x enthalten) ist die Probe misslungen, aber man bekommt einen Punkt Esprit zurück. Leerseiten (3x enthalten) sind ein Misserfolg. In der Regel ist ein Erfolg nötig, um eine Probe zu schaffen.

Schließlich weist jede Charakterkarte noch eine Kampfübersicht im rechten Teil auf, die Einzelsymbole und Symbolkombinationen zeigt und daneben Effekte listet. Im Kampf darf jeder Jäger drei Symbolwürfel würfeln und dann die Ergebnisse der Übersicht zuordnen, um Schaden anzurichten oder Sondereffekte auszulösen. So kann der Haudrauf beispielsweise einen Mitstreiter vor Schaden bewahren und der Ordensritter sich eifrig selbst heilen (was ihn prädestiniert, Schaden auf sich zu nehmen). Auch Gegner weisen auf ihren Karten so eine Übersicht auf, allerdings würfeln sie jeweils nur einen Symbolwürfel und es gibt drei mögliche Ergebnisse. Der Kampf ist also, genau wie das Regelsystem des Spiel allgemein, sehr flott und eingängig gehalten. So weißt das Regelheft auch nur acht Seiten auf und davon kann man eine Seite Cover, eine Seite Fluff und eine halbe Seite Impressum noch abziehen.

Hat man die Charaktere ausgesucht, werden drei vorsortierte Kartenstapel (Kapitel 1, Kapitel 2, Kapitel 3 und Questen) auf dem Tisch ausgelegt, außerdem werden zwei kleinere Stapel mit Bedrohungskarten und Ausrüstung platziert und dann kann man schon loslegen, indem man die erste Karte – fälschlich A01 statt 101 beschriftet – zur Hand nimmt und vorliest. 

Ab da spielt sich „Roter Nebel über Hamburg“ wie ein waschechtes Abenteuerspielbuch, bloß blättert man sich nicht durch ein Buch, sondern die einzelnen Abschnitte wurden auf etwa 200 Karten abgedruckt, jeweils mit Vor- und Rückseite. Das Ganze beginnt mit der Ankunft der Helden in Hamburg, wo sie sich in einer Schänke einquartieren und gleich die Qual der Wahl haben, einen geheimnisvollen Mann anzusprechen, mit Seeleuten zu spielen oder einen Hund zu streicheln. Je nach Entscheidung zieht man die Karte mit der passenden Nummer aus dem Stapel und dann geht die Handlung weiter. Sind Proben gefordert – etwa auf „Redekunst“, um sich mit dem Mann anzufreunden –, muss man würfeln und anschließend auf der Kartenrückseite nachschauen, welche Konsequenzen ein Erfolg oder Misserfolg hat. Danach wird die nächste Karte gezogen und es geht wieder weiter. Die abgehandelten Karten werden abgelegt.

Eine Ausnahme bilden Karten mit Vorhängeschloss-Symbol, die oft mehrfache Handlungsmöglichkeiten bieten und zu denen man zurückkehren kann, wenn man eine Abzweigung der Handlung erledigt hat. Dazu gehört beispielsweise die Karte, die verschiedene Recherchewege anbietet, denn nachdem die Helden in der ersten Nacht das unheimliche Phänomen des Roten Nebels erleben durften, geht es am nächsten Morgen darum, diesem Mysterium nachzuspüren. Dabei besucht man den Hafen, befragt Leute, durchstöbert die Keller der Stadt und inspiziert die Seelenlichtpumpen, die Hamburg vor dem Absaufen bewahren. So kommt man sukzessive einer Verschwörung auf die Spur, wobei man ganz nebenbei einiges über das Hamburg im „HeXXen 1733“-Setting erfährt. Im Hinblick auf diese Vorhängeschlosskarten waren die Macher übrigens leider etwas nachlässig, denn es gibt durchaus Karten ohne Vorhängeschloss, die dem Anschein nach trotzdem hätten im Spielbereich liegenbleiben sollen, denn man erhält später eine Aufforderung, sie zu entfernen, obwohl diese längst im Ablagestapel liegen. Das ist allerdings eher irritierend als ein Problem. Wirklich das Abenteuer gestört haben diese kleinen Holperer nicht.

Hin und wieder kommt es zu dann auch zu Kämpfen, wobei die Stärke der Gegner von der Anzahl der Jäger im Spiel abhängt. Eine Kampfrunde beginnt stets mit dem Gegner, egal ob wütenden Seeleuten, Werratten oder Untoten, danach sind alle Jäger einmal an der Reihe. Hat ein Jäger alle Lebenspunkte oder allen Esprit verloren, gilt er als verletzt und darf im Kampf nur noch zwei Würfel werfen sowie bei allen Fertigkeitsproben nur noch einen, auch bei jenen Fertigkeiten, in denen er begabt ist. Sterben kann man übrigens nicht. Selbst wenn sowohl Lebenspunkte als auch Esprit auf 0 stehen und man erneut Schaden nimmt, wird „bloß“ eine Bedrohungskarte vom Bedrohungsstapel in den Spielbereich gelegt. Die ist fürs Endgame dann wichtig. Und wenn der komplette Bedrohungsstapel leer ist, dann passiert einfach nichts mehr. DU BIST TOT! – diesen gefürchteten Satz in normalen Abenteuerspielbüchern gibt es hier nicht.

Wie es bei einem narrativen Spiel oft der Fall ist, hält sich der Wiederspielwert von „Roter Nebel über Hamburg“ in Grenzen. Wer sehr neugierig ist, kann es vielleicht zwei oder dreimal durchspielen, um sich die nicht gewählten Optionen anzuschauen, allerdings bleiben dabei etwa 80% der Handlung identisch, denn es gibt schon einen ziemlich deutlichen roten Faden, von dem man nicht weit abweichen kann. Das aber liegt in der Natur der Sache. Wenn einem so etwas nicht gefällt, sollte man diese Art von Spielen nicht kaufen.

Uns hat die „Heldenqueste“ jedenfalls drei Abende spannend unterhalten. Das Abenteuer entpuppt sich als verschachtelter Kriminalfall, wobei die Anleitung versäumt, darauf hinzuweisen, dass man tunlichst auf scheinbar unwichtige Details in den Szenenbeschreibungen achten sollten, die im 3. Kapitel plötzlich für die detektivische Auflösung des Falls hilfreich werden. Wir waren am Schluss ein wenig auf Raten angewiesen, aber selbst so lässt sich das Abenteuer lösen, wenngleich auf Kosten zusätzlicher Bedrohungskarten, die den Endkampf erschweren.

Hin und wieder waren wir von den Würfeln gefrustet, die gefühlt ständig Leerseiten gezeigt haben – aber ich habe die Probe aufs Exempel gemacht. Sie sind in Ordnung. Die Wahrscheinlichkeit, drei Leerseiten zu würfeln, liegt wirklich bei ca. 12%. Wir hatten also einfach Pech. Aufgehalten hat uns das glücklicherweise nicht, denn wie gesagt: Das Abenteuer sieht ein Scheitern nicht wirklich vor. Obwohl das Spiel für bis zu 6 Personen ist, würde ich es übrigens höchstens drei Spielenden empfehlen. Es wird schon extrem viel vorgelesen, alle Mitspielenden sind zum Zuhören verdammt, immer wieder durch kurze Entscheidungen, einzelne Würfelproben oder eben einen Kampf unterbrochen. In zu großen Gruppen könnte das zu Langeweile führen.

Über den Preis von 29,95 Euro kann man sich streiten. Einerseits ist das nicht ganz wenig für ein Spiel, das man wahrscheinlich nur ein- bis zweimal spielt. Andererseits wird kein Material beschädigt, man kann es also weiterverkaufen oder verschenken. Und im Hochpreis-Umfeld unserer Gegenwart – für 30 Euro bekommt man gerade mal zwei Big-Mac-Menüs bei McDonalds – wirkt das Ganze schon nicht mehr ganz so dramatisch. Andere Spiele, die in eine ähnliche Kerbe schlagen, wie etwa die „Unlock!“-Reihe, kosten ähnlich viel.

Fazit: Wer Abenteuerspielbücher mag, gern seinen Freunden viel Text vorliest und Gefallen an dem Setting eines düster-magischen Deutschlands im Jahr 1733 hat, der wird mit „Heldenqueste: Roter Nebel über Hamburg“ drei bis sechs Stunden viel Spaß haben. Die Geschichte bietet ein absolut solides Abenteuer mit einer verschachtelten Intrige, die vorne etwas Aufmerksamkeit erfordert, damit man hinten alle notwendigen Hinweise parat hat. Rätsel im Sinne eines „Escape Room“-Spiels gibt es keine zu lösen, stattdessen stehen Fertigkeitsproben und Kämpfe im Fokus, was eine gewisse Glückslastigkeit zur Folge hat, Esprit hin oder her. Versagen kann man allerdings nicht wirklich. Das Regelsystem ist flott und absichtlich einfach gehalten, was den Einstieg erfreulich leicht macht. Ein Rollenspiel light, das im Bestfall Lust auf mehr macht – und dann steht ja schon das Ulisses-eigene „HeXXen 1733“-System parat.

Heldenqueste: Roter Nebel über Hamburg
Brettspiel für 1 bis 6 Spielende ab 12 Jahren
Mirko Bader, Christian Lonsing, Markus Plötz
Ottavio/Asmodee 2025
EAN: 4260630776058
Sprache: Deutschland
Preis: 29,95 EUR

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