von André Frenzer
Der Dienst, den Jacob und Wilhelm Grimm – besser bekannt als „Gebrüder Grimm“ – der Literatur erwiesen haben, ist nahezu unermesslich. Ihre Sammlung deutscher Märchen und Sagen hat zweifellos dabei geholfen, unzählige dieser einst nur mündlich oder im lokalen Volksgut existierender Geschichten in die heutige Zeit zu retten. Und auch wenn viele Menschen Märchen mit Kindergeschichten gleichsetzen, so ist das doch keineswegs richtig. Gerade die originalen Versionen, welche zumeist eine moralische Botschaft vermitteln sollten, sparten nicht mit drastischen Darstellungen oder Handlungen.
Während auf der vorhergehenden CD vier Märchen versammelt waren, sind es dieses Mal drei Geschichten, welche dem geneigten Hörer präsentiert werden. Da wäre zunächst „Fitchers Vogel“, dessen Handlung frappierend an das Märchen „Blaubart“ erinnert: Ein garstiger Hexenmeister entführt junge Frauen, denen er Reichtümer verspricht. Dann stellt er sie vor eine Prüfung und lässt die Damen alleine zurück. Das ganze Haus dürfen sie besichtigen, nur eine Kammer im Keller nicht. Natürlich begehen alle den gleichen Fehler … Erstaunlich deckungsgleich präsentiert sich als nächstes „Das Mordschloss“, in dessen Kellergewölbe der hier wohnende Adlige ebenfalls seinem blutigen Hobby frönt. Immerhin durchbricht das abschließende „Der Wacholderbaum“ diesen Handlungsbogen. Die Geschichte eines Jungen „rot wie Blut und weiß wie Schnee“, der von seiner Stiefmutter getötet wird und später ungewöhnliche Rache nimmt, ist aber nicht minder drastisch.
Wie auch schon bei der letzten Ausgabe, lässt mich die thematische Gestaltung dieser Folge ein wenig zwiespältig zurück. Vielleicht war es längst überfällig, auch einmal klassische Märchen, gerade solche mit einer eher grausigen Handlung, in dieser Reihe zu vertonen. Ich persönlich bevorzuge allerdings die klassische Gruselgeschichte. Auch bin ich ein wenig irritiert von der Auswahl der vertonten Märchen, gleichen sich „Fitchers Vogel“ und „Das Mordschloss“ doch frappierend und sind darüber hinaus doch nur Variationen des in der 190. Folge zu findenden Märchens „Blaubart“. Ich bin allerdings auch in der Thematik nicht sattelfest genug, um zu beurteilen, ob es nicht noch andere grausige Märchen im Fundus der Gebrüder Grimm gegeben hätte.
Technisch gibt es jedenfalls auch an dieser Ausgabe des „Gruselkabinetts“ nichts auszusetzen. Die Sprecher, welche oftmals in unterschiedliche Rollen in den einzelnen Märchen schlüpfen, arbeiten souverän. Die Toneffekte sind von gewohnt hochwertiger Qualität. Bodo Primus gibt einen hervorragenden Erzähler. Und auch wenn einen das Thema der Ausgabe verwundern mag, so kann man Marc Gruppe nicht vorwerfen, an Drastik gespart zu haben. Hier dürfen wir dem Meucheln und Schlachten lauschen, dass es eine wahre Qual ist. Ertugrul Edirnes Cover, das die Schlüsselszene aus „Der Wacholderbaum“ aufgreift, ist wieder einmal hervorragend gelungen. Technisch gibt es damit erneut nichts zu meckern.
Fazit: Auch „Schauermärchen 2“ bietet eine qualitativ absolut überzeugende sowie drastische Vertonung einiger Grimm’scher Märchen. Und wer Märchen mag, vielleicht sogar sammelt, der wird mit dieser Vertonung sicherlich keinen Fehlkauf tun.
Gruselkabinett 191: Schauermärchen 2
Hörspiel nach Jacob und Wilhelm Grimm und Ludwig Bechstein
Marc Gruppe
Titania Medien 2024
ISBN: 978-3-7857-8691-8
1 CD, ca. 65 min., deutsch
Preis: 9,29 EUR
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