Gruselkabinett 139: Der Rabe

Und wieder widmet sich die Reihe „Gruselkabinett“ einem Werk – oder besser zwei Werken – von Edgar Allan Poe. Folge 139 verbindet das wohl berühmteste Gedicht Poes, „Der Rabe“, mit der frühen, eher obskuren, Kurzgeschichte „Ligeia“. Darin lernt der englische Protagonist und Erzähler auf einer Reise nach Deutschland die geheimnisvolle, unglaublich reiche und an den dunklen Wissenschaften interessierte Ligeia kennen und lieben.

von Michael Wilhelm

Die Geschichte beginnt etwas skurril in einer alten, verfallenen Stadt am Rhein. Welche damit gemeint sein könnte, hat sich mir nicht erschlossen. Es wird vermutet, dass Poe die ganze Kurzgeschichte vielmehr als Satire auf Mitte des 19. Jahrhunderts beliebte Schauerliteratur meinte und sich darin einfach üblicher Klischees bediente.

Der Erzähler lernt in dieser verfallenen Stadt eine mysteriöse Frau kennen und verliebt sich schnell in sie. Erst nach der raschen Hochzeit erfährt er, wie unglaublich reich sie ist. Außerdem ist sie auch in den dunklen Wissenschaften bewandert, dichtet und schreibt. Der Erzähler selbst bleibt eher farblos und scheint kein besonders starker oder interessanter Charakter zu sein. Vielmehr scheint er sich über seine Beziehung zu ihr zu definieren. Umso schlimmer, dass sie schwer krank wird und ihm auf dem Sterbebett ein geheimnisvolles Gedicht diktiert, in dem der namensgebende Rabe die zentrale Rolle spielt.

Nach dem tragischen Ende der Ehe driftet der Erzähler zunehmend in den Wahnsinn ab, schafft es aber, dies lange genug vor der Umwelt zu verbergen, um nicht nur ein verfallenes Kloster zu beziehen, sondern auch wieder zu heiraten.

Für den Hörer wird es dann auch zusehends unangenehmer. Wirklich gegruselt habe ich mich zwar nicht, dafür wird der Bericht des Erzählers mit fortschreitendem Abgleiten auf die dunkle Seite immer widerlicher. An die Altersempfehlung von 14 Jahren sollte man sich definitiv halten, da für jüngere Leser die mehr als nur angedeutete sexuelle Gewalt schwer zumutbar ist. Besonders die unbeteiligt scheinende Schilderung des Erzählers selbst trägt dazu bei.

Auch in Folge 139 sind die bekannten und bewährten Sprecher von der Partie. Die Tonqualität ist einwandfrei, die etwas spärliche Musik stimmungsvoll und passend. Das Cover-Motiv mit dem titelgebenden Raben erinnert an die alten „John Sinclair“-Gruselheftchen.

Es ist durchaus eine interessante Idee, aus zwei Quellen von Edgar Allan Poe ein Hörspiel zusammenzustellen. Auch ist das Raben-Gedicht passend in die Handlung der umschließenden Kurzgeschichte integriert und ersetzt dort das ursprüngliche Gedicht „Erobererwurm“; das lenkt aber nicht von der unangenehmen Handlung und dem unsympathischen Protagonisten ab.

Fazit: „Der Rabe“ hätte meiner Meinung nach eine bessere Behandlung verdient. Das Hörspiel ist, wie von der Reihe „Gruselkabinett“ gewohnt, professionell gemacht. Aber auch die unbestrittene Qualität des Raben-Gedichtes macht das wesentliche Manko nicht wett. Vielleicht sollte man auch das Hörspiel, ebenso wie Poes Kurzgeschichte, als satirisches Werk ansehen. Und das tut halt manchmal weh.

Gruselkabinett 139: Der Rabe

Hörspiel nach Edgar Allan Poe
Marc Gruppe
Titania Medien 2018
ISBN: 978-3-7857-5719-2
1 CD, ca. 66 min., deutsch
Preis EUR 8,99

bei amazon.de bestellen