Geh nicht in den Winterwald – Verlorene Pfade

„Geh nicht in den Winterwald“ ist wohl das erfolgreichste Erzählspiel der sogenannten „Kleinen Reihe“ im System-Matters-Verlag. Mit „Verlorene Pfade“ löst der Verlag nun das zweite Versprechen aus der Vorfinanzierungsaktion ein und verlegt den Winterwald in europäische Gefilde.

von André Frenzer

Im Rahmen der Vorfinanzierungsaktion für die deutsche Ausgabe von „Geh nicht in den Winterwald“ wurde ein Abenteuerband angekündigt, der grausige Geschichten ganz abseits des Winterwaldes präsentieren sollte. Zu diesem Zweck wurde der Winterwald in verschiedene europäische Schauplätze verlegt. Wie auch schon im Vorgängerband „Grausige Festtage“ wurden fünf neue Abenteuer in diesem Band versammelt. Jedem Abenteuer wurde aber noch ein kleiner Quellenteil spendiert, sodass dieser Band deutlich mehr Seiten erhalten hat – gleich 84 an der Zahl. Das war nötig, denn entgegen den ersten Abenteuern spielen diese Geschichten nicht im „klassischen“ Winterwald irgendwo im puritanischen Neuengland.

Als Schauplätze der Geschichten wurden Griechenland, Frankreich, Deutschland, Russland und Norwegen gewählt. Jedes Land wird mit einigen knappen Allgemeinplätzen vorgestellt, bevor die regionale Inkarnation des Winterwaldes näher vorgestellt wird. Dabei ist nicht jede Geschichte in einem Wald angesiedelt: In Frankreich müssen die unerschrockenen Reisenden eine finstere Moorlandschaft betreten, im alten Griechenland den Hades. In Russland wiederum ist es eisiger Nebel, der das einsame Dorf umgibt. Wie auch schon in den anderen Abenteuerbänden basieren die Szenarien auf lokalen Volkssagen und -mythen und interpretieren sie neu.

Mit dem Verlegen des Winterwaldes in andere Regionen und auch andere Zeiten eröffnen sich dem Erzählspiel „Geh nicht in den Winterwald“ ganz neue Möglichkeiten. So wird nicht nur geschickt mit den einfachen Regelmechanismen des Spiels gespielt – beispielsweise starten die Charaktere im antiken Griechenland-Abenteuer nicht mit einem Kältemarker, sondern mit sechs Münzen und müssen als erstes den finsteren Fährmann über den Styx bezahlen. So funktioniert die Abwärtsspirale einmal anders herum, während der Fährmann eine Münze nach der anderen als Wegzoll verlangt. Daneben werden auch ganz neue Geschichten möglich gemacht und auch Adaptionen moderner Werke, wie des Spielfilms „Trollhunter“, fügen sich erstaunlich gelungen in das Gesamtbild ein.

Einziger Wermutstropfen dabei ist wohl, dass ein wenig des ursprünglichen Charmes des „Winterwald“-Settings bei der Transponierung auf der Strecke bleibt. Das puritanische Neuengland mit seinen ewigen Wäldern lässt sich eben dann doch nicht ohne Weiteres ersetzen. Somit gibt es zwar viel Neues zu erleben, doch mit dem ursprünglichen Spiel hat das weniger zu tun.

Lobend erwähnen muss ich aber ein weiteres Mal die Aufbereitung des Materials. Ganz wie es die Regeln des Spiels vorsehen, sind alle Abenteuer in der Vergangenheitsform erzählt. Was zunächst etwas ungewöhnlich erscheint, erleichtert später die Handhabung am Spieltisch ungemein. Ein besonderes Lob geht wiederum an die von Axel Weiß erstellten Illustrationen. Sein Stil unterscheidet sich zwar von den oft skizzenhaften Andeutungen im Grundregelwerk, fügt sich aber hervorragend in die Stimmung des Bandes ein und ist auf qualitativ absolut hochwertigem Niveau. Der konsequente Einsatz der Farbe Grün als einziger Farbtupfer im Band trägt zu der unnatürlichen Grundstimmung bei.

Fazit: Abwechslungsreich und voller interessanter Ideen, so präsentiert sich „Verlorene Pfade“. Wer einmal den urtümlichen Winterwald Neuenglands verlassen möchte oder gar der Meinung ist, hier bereits alles erlebt zu haben, der erhält mit „Verlorene Pfade“ eine qualitativ hochwertige Sammlung neuer Abenteuer.

Grausige Festtage
Abenteuerband
Verena Busch, Ralf Sandfuchs u. a.
System Matters Verlag 2018
ISBN: 978-3963780127
84 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

bei System Matters Verlag bestellen