von LarsB
Putzig geht es zu im „Everdell“-Universum. Wir schlüpfen in die Rollen von Schildkröte Paul Prachtpanzer und Häsin Holunda Sonnentau. Ziel ist es, ein tolles Dorf aufzubauen, das toller ist als das Dorf des Mitspielers. Soweit wie bekannt. Aber es gibt auch einen kooperativen Modus, in dem Sonnentau und Prachtpanzer als Bürgermeister-Duo ein Städtchen zusammen gestalten müssen. Bei Bedarf kann das in einer fünfzehn Episoden umfassenden Kampagne mit wechselnden Herausforderungen geschehen. Also doch Neues in „Everdell“.
Das Spielmaterial
Die Spieleschachtel von „Everdell Duo“ ist deutlich kleiner als die seiner großen Brüder. Und so überrascht es nicht, dass das Material insgesamt reduzierter daherkommt. Es gibt immer noch die wunderschönen Ressourcen – die knautschigen Beeren, die kieseligen Steine und den bernsteinartigen Harz. Die Arbeitereinsetzmeeple kommen als Hasen und Schildkröten daher. Stinktiere sollen uns in der kooperativen Variante das Leben schwer machen. Die Illustrationen von Andrew Bosley und Enggar Adirasa sind (wieder einmal) herzerwärmend. Die Ikonografie ist für Everdellisten eh kein Problem. Für Neulinge in der „Everdell“-Welt ist sie schnell erlernbar. Auf der Rückseite der Spielanleitung gibt es eine nützliche Übersicht. Die Spielhilfekarten erinnern einen an die Zugmöglichkeiten.
Wahrscheinlich um Platz zu sparen, platziert man beim Spielaufbau Errungenschaftsplättchen, Kartenstapel und Ressourcen neben dem kompakten Spielbrett. Wenn man kein notorischer Spielbrettumplatzierer ist, tut das der Funktionalität keinen Abbruch. Auf dem Spielbrett selbst ist Platz für eine 12 Karten umfassende Auslage und die Arbeitereinsetzfelder.
Das Regelheft ist ansprechend gestaltet. Der Spielablauf ist auf gerade einmal vier Seiten beschrieben, ohne dabei illustrierende Beispiele wegzulassen. Daher ergibt sich erst gar nicht das Problem, lange nach Regeln suchen zu müssen. Die Beschreibung des kooperativen Modus auf den folgenden vier Seiten fand ich hingegen fast schon unübersichtlich: ein Detail hier, eine Regeländerung dort, und Änderungen im Aufbau in den Punkten „1“, „2A“, „2B“, usw. Hier fehlt mir die Orientierungs-Unterstützung durch ein deutlicher gegliedertes Layout. Das ist aber kein Beinbruch.
Außerdem liegt dem Spiel das Kampagnenbuch bei, in dem die Geschichte unseres Dorfes in Everdell erzählt wird. Es sind Auszüge aus Zeitungsartikeln einer netten sowie einer reißerischen Zeitung (dem „BLATT“) abgedruckt, die uns in die Geschehnisse abtauchen lassen. Hier sind die besonderen Aufbauregeln und Spielziele übersichtlich auf jeweils einer Seite dargestellt. Auch gut: An wichtige Spielkonzepte wird per Stichpunktliste erinnert.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Komponenten auf das Wesentliche reduziert worden sind, ohne dass es dem Spiel schadet.
Der Spielablauf
Es geht wieder einmal durch die vier Jahreszeiten. Diesmal bleiben wir aber in der gleichen Jahres-Zeit(en)zone. Zu Beginn jeder Jahreszeit werden vom verdeckten Stapel frische Flussplättchen (die „tollen“ Arbeitereinsetzfelder) kredenzt, gegebenenfalls wird Einkommen in Form von Ressourcen ausgeschüttet und Karten sowie die Spielreihenfolge werden festgelegt. Sonne und Mond als Timing-Elemente wandern im Laufe der Jahreszeit einen Pfad an den Karten der Wiese entlang. Reihum darf nun jeder Spieler aus drei Alternativen wählen: einen der drei putzigen eigenen Meeple einsetzen, um in der Regel Rohstoffe herbeizuschaffen, eine Karte aus der Hand oder der Wiese (in Nachbarschaft zur Sonne oder zum Mond) ausspielen oder eine Karte aus der Wiese nehmen.
Nach getaner Arbeit werden dann je nach Aktion der Sonnen- oder der Mondmarker ein Feld weitergeschoben. Damit können andere Karten direkt aus der Wiese heraus gebaut werden. Sind Sonne und Mond am Ende des Pfades angelangt, ist die Jahreszeit vorüber. Gleichzeitig bestimmt der Fortschritt der Marker die möglichen Aktionen. Ist die Sonne am Ende des Weges angelangt, dürfen keine Arbeiter mehr eingesetzt werden. Für den Mond gilt am Wegesende, dass keine Karten mehr in die Auslage gespielt werden dürfen.
So bauen wir uns mit Karten, die mit Ressourcen bezahlt werden, unsere eigene bezaubernde Auslage auf. Auch in „Everdell Duo“ gibt es Gebäude und Tiere. Und auch hier dürfen die Tierchen in ein passendes Gebäude einziehen. Nur ist das nicht wirklich gratis. Das entsprechende kleine Türchen, das ein besetztes Gebäude markiert, muss erstmal besorgt werden und fällt eben nicht einfach so aus dem nächsten OBI. Dafür sind die Kreaturen in „Everdell Duo“ nicht so wählerisch wie die im Original. Es reicht der passende Gebäudetyp, es muss nicht das passende Gebäude sein.
Es gibt fünf verschiedene Kartentypen: Bewegungskarten mit Einmal-Effekten, Produktionskarten mit wiederkehrenden Einkommens-Effekten, Verwaltungskarten mit dauerhaften Bonus-Effekten, Wohlstandskarten mit Endwertungs-Effekten und Zielkarten mit zusätzlichen (mächtigen) Arbeitereinsetz-Orten, die beiden Spielern fortan (gegebenenfalls gegen Gebühr) zur Verfügung stehen.
Oben an das Spielbrett sind Ereignisse angelegt. Das sind Aufgaben, die die Spieler um die Wette zu erledigen haben. Da muss man etwa eine bestimmte Anzahl von Gebäuden oder Tieren einer Art erreichen, Mehrheiten erzielen, gewisse Karten auf der Hand haben usw. In jeder Partie kommt nur eine kleine, wohl zusammengestellte Auswahl dieser zahlreichen Plättchen ins Spiel.
Am Ende dreht sich auch in „Everdell Duo“ alles um die Siegpunkte. Die bekommen wir über die eigene Kartenauslage, erreichte Ereignisse und Punktemarker, die wir uns im Laufe der Partie über die ausgespielten Karten gehamstert haben.
Das Spielgefühl
„Everdell Duo“ spielt sich flotter als die anderen „Everdell“-Geschwister. Damit sind Aufbauzeit und die Spielzüge an sich gemeint, aber auch die Gesamtspielzeit. Für geübte „Everdell Duo“ Spieler ist eine Partie in 30 Minuten durchaus machbar. Länger als 60 Minuten dauern Partien nicht – inklusive Aufbau.
Durch die in jeder Partie unterschiedliche Kartenauslage und die immer neuen Ereignisse gibt es nicht die eine Siegstrategie. Wir sollten uns taktisch ausrichten: Welche Möglichkeiten bietet mir die aktuelle Kartenauslage? Welche Fluss-Felder stehen in dieser Runde zur Verfügung? Und wie passt das zu den ausliegenden Ereignissen, die mich am Spielende mit Punkten versorgen, sofern ich sie mir als erster gesichert habe?
Besonders hat mich aber die Timingfrage fasziniert: Wann setze ich meine Arbeiter ein, wann spiele ich Karten aus? Es sind nämlich nicht drei Arbeitereinsetz- und drei Kartenausspielzüge pro Jahreszeit garantiert. Der Sonnenaufsteller wird nicht nur nach dem Nutzen eines Workerplacement-Feldes vorrückt, sondern (optional) auch nach dem per se erstmal nicht so mächtigen Nehmen einer Karte aus der Wiese. Damit können dann gar nicht mehr alle sechs Meeple beider Spieler eingesetzt werden. Durch das Vorziehen der Sonne verknappe ich damit die Rohstoffsituation und die Möglichkeiten, Ereignisse abzuschließen. Entscheide ich mich hingegen nach dem Nehmen einer Karte, den Mond vorzurücken, können in dieser Jahreszeit entsprechend weniger Karten ausgespielt werden. Gerade gegen Ende der Partie ist das schmerzhaft – idealerweise für meinen Gegenspieler. Das mit dem Vorrücken der Aufsteller ist so eine Sache, an die man eben auch denken muss. Klar, das ist Gewöhnungssache. Aber das fügt sich irgendwie nicht so glatt in den Spielablauf ein, der sonst eben total rund ist. Hier ist die Erinnerung auf der Spielhilfekarte von Pegasus mehr als angebracht.
Die Aufhebung der Kopplung von spezifischem Gebäude mit spezifischer Kreatur ist aus meiner Sicht gut. Damit ist es deutlich weniger ein Glücksspiel, ob man denn das passende Tierchen respektive das passende Gebäude jemals auf die Hand bekommen wird. Zugriff auf den passenden Typen (Einkommen, Einmalaktion, …) wird man definitiv im Laufe der Partie haben. Nur ist eben die Tür für den Einzug jetzt nicht mehr umsonst. Plus eins Taktik, minus eins Glück, aber fairerweise auch minus eins episches Gefühl, wenn genau das passende Tier einziehen kann.
Es macht wieder einmal einfach Spaß, sein kleines Dorf aufzubauen. Das geschieht größtenteils friedlich nebeneinander her. Dem Mitspieler kommt man nur über die oben beschriebene Sonnen- und Mondaufsteller-Fortbewegung in die Quere, durch das Blockieren von Arbeitereinsetzfeldern und das Wegschnappen von Karten. Damit ist „Everdell Duo“ schon ein Hauch interaktiver als das große „Everdell“. Spielern, denen viel Interaktion und mehr „in die Suppe spucken“ wichtig ist, wird aber auch „Everdell Duo“ wahrscheinlich zu harmonisch sein. Erst recht in der …
… kooperativen Variante
In dem kooperativen Modus von „Everdell Duo“ bauen wir gemeinsam ein einziges Dorf. Das machen wir manchmal mit mehr, manchmal mit weniger strikter Rohstoff-Kontentrennung. Ist der Rohstoffaustausch erlaubt, heißt es aber nur ein Rohstofftausch pro Spielzug.
Grundsätzlich macht uns die „skrupellose Stinktierdame Lilly Lästermaul“ das Leben schwer. Sie arbeitet beim „BLATT“ und versperrt uns mit ihren Reporter-Kollegen den Zugang zu Arbeitereinsetzfeldern, verringert die Anzahl unserer Züge und schränkt den Zugriff auf Karten in der Wiese ein. Je nach Szenario werden uns unterschiedlich viele Möglichkeiten genommen.
Neben einer Mindestpunktzahl, die es in jedem Szenario zu erreichen gilt, werden auch andere Siegvoraussetzungen serviert. Anfangs gilt es, eine Mindestanzahl an Ereignissen zu erledigen. Dann kommen mit Sonderregeln noch weitere durchaus abwechslungsreiche Ziele hinzu. Da müssen wir mal eine Brieftaube heilen, mal Hochwasser beseitigen und manchmal haben wir einen riesigen Haufen unterschiedlicher Dinge zu tun. Im letzten Szenario, hätte man das nur vorher gewusst, ist dann die Punktzahl … Nein, ich spoilere nicht.
Uns hilft in jeder Partie mindestens ein Gezwitscher. Das ist eine Karte, auf der ein besonderer Bonus für diese eine Partie vermerkt ist. Zum Beginn der Partie wird eine von drei zur Auswahl stehenden Gezwitscher-Karten ausgesucht. In der Kampagne und bei mittlerem Schwierigkeitsgrad dürfen wir ungenutzte Gezwitscher-Karten mit in die nächste Partie nehmen. Aber keine Sorge, Normalsterbliche werden diese Karten früher oder später dringend brauchen. Genauso wie die Taschenuhr, die es uns erlaubt, einen Sonnen- oder Mondanzeiger einen Schritt zurück zu setzen – für einen zusätzlichen Zug und eventuell Direktzugriff auf eine Karte aus der Wiese.
Die einzelnen Szenarien lassen sich als 15-teilige Kampagne spielen. Dabei erleben wir das Auf und Ab und schlüpfen in die Rollen von Bürgermeisterin Holunda Sonnentau und Bürgermeister Paul Prachtpanzer, die als Führungsduo das Dorf sicher durch alle Herausforderungen steuern sollen.
Was macht denn nun die kooperative Art besonders? Ohne Absprachen läuft hier nicht wirklich erfolgreich was zusammen. Es gibt in der Koop-Variante kein Optimieren nebeneinander her. Wer braucht welche Rohstoffe dringender? Welche Karten sollten zuerst in die gemeinsame Auslage gespielt werden. Wie bekommen wir das zusammen hin – am besten vor dem Ablauf der Jahreszeit, damit wir in der nächsten Jahreszeit direkt vom Einkommen profitieren können? Auf welche Siegpunktmaschine gehen wir? Wie erledigen wir die punkteträchtigen Ereignisse? Welche Ereignisse ignorieren wir bewusst? Und wie sorgen wir dafür, dass wir beide handlungsfähig bleiben? Ach ja, die Sonderziele in jedem Kapitel dürfen wir auch nicht vergessen.
Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg. Und hier liegt auch die Alpha-Leader-Gefahr von „Everdell Duo“. Für gute Entscheidungen braucht man möglichst viel Transparenz. Man darf sich die Handkarten nicht zeigen, okay. Aber man darf den Kartentyp nennen und sagen, welche Rohstoffe man benötigt, um sie zu bauen. Und für eine gemeinsame Entscheidung sagt man dann auch noch, welchen Vorteil es in der Situation hätte, das Gebäude zu bauen (das verbietet die Regel nicht). Und spätestens damit ist der erfahrenere, stärkere „Everdell“-Spieler in die Lage versetzt, seinem Mitstreiter zu empfehlen, was zu tun wäre. Und sei es, eine Karte aus der Wiese zu bauen. Womöglich fühlt sich also ein Spieler bevormundet und gesteuert.
Nach unserer Erfahrung sind alle bisherigen Partien sehr knapp ausgegangen. Das ist super von der Spielbalance her. Damit kommt man dann gegen Ende der Partie in die Situation, schon mal genau nachzählen zu müssen, ob man denn die Mindestpunktzahl im Sack hat. Oder braucht man eventuell noch die Taschenuhr oder eine Gezwitscher-Karte? Das ist irgendwie nicht richtig rund und fügt sich nicht in den sonst hervorragenden Spielfluss ein.
Den Fortschritt der Kampagnen hält man auf (etwas befremdlich lose in die Schachtel beigelegten) Kampagnenzetteln fest. Man gibt dort dem Kind, sorry, dem Dorf, äh, der Stadt einen Namen und wählt einen Schwierigkeitsgrad. Auf der Rückseite wird dann jede Partie vermerkt und auf diese Weise schließlich eine Gesamtpunktzahl bestimmt. Diese entscheidet dann über die Farbe der Medaille. Oder bleibt nur die Teilnahme-Urkunde?
Die Kampagne bietet zwei Schwierigkeitsgrade, die ich mit „ambitioniert“ und „Gott-Modus“ betiteln würde. Die Kampagne ist übrigens auch offiziell im Solo-Modus spielbar. Darüber hinaus kann man sich allein oder zu zweit in sogenannte Herausforderungen stürzen. Hier spielen wir direkt gegen Lilly Lästermaul, die wir in drei Schwierigkeitsgraden besiegen müssen und dabei Extremstrategien fahren müssen (die Herausforderungen): keine Produktionsgebäude, mindestens 25 Punktemarker, 7 oder mehr Handkarten am Spielende, usw. Es gibt bei „Everdell Duo“ viel zu entdecken.
Fazit: Bei „Everdell Duo“ steckt erstaunlich viel „Everdell“ in der kleinen Spieleschachtel – zwar reduziert, aber nicht schlechter, sogar an einigen Stellen polierter und flotter als seine großen Geschwister. Der Langzeitspielspaß des Spiels ist geblieben, und in meinen Augen sogar ausgebaut: Durch die kooperative Kampagne bekommt das Spiel viele neue Geschmacksrichtungen. Das Kampagnenbuch setzt das alles sehr charmant in Szene. Vielfältige und anspruchsvolle Rätsel sind nur in Teamleistung mit viel Absprache zu bestehen. Aber Achtung, es lauert Alpha-Leader-Gefahr. Für „Everdell“-Profis gibt es direkt den saftigen Kampagnen-Schwierigkeitsgrad. Für Neulinge ist „Everdell Duo“ ein gelungener und nebenbei mit einem UVP von ca. 35 Euro kostengünstiger Einstieg in die Welt von „Everdell“.
Everdell Duo
Brettspiel für 1 bis 2 Spieler ab 10 Jahren
James A. Wilson, Clarissa A. Wilson
Pegasus Spiele 2025
EAN: 4250231742002
Sprache: Deutsch
Preis 34,99 EUR
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