Endless Winter

So mancher Sommer hat sich schon nach einem endlosen Winter angefühlt und auf der anderen Seite ist Schnee im Norden Deutschlands schon fast zu einer Seltenheit geworden. Wer mal wieder richtig frieren möchte, kann aber auch einfach 10.000 Jahre in die Vergangenheit springen und seinen Stamm durch die letzte Eiszeit führen. Dabei sollte man darauf achten, während des Spiels nicht zu erstarren.

von KaiM

Als noch Säbelzahntiger und Mammuts durch die Landschaften der Welt streiften, muss es für Menschen ziemlich ungemütlich gewesen sein. Sie zogen von Ort zu Ort und waren darauf angewiesen, von dem zu überleben, was sie vorfanden. Egal was die Natur auch zu geben bereit war, es musste reichen. Und manchmal, davon kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgehen, reichte es eben auch nicht. Doch schließlich entschied die Menschheit, sich weniger auf das Glück der Suchenden zu verlassen und wurde sesshaft. Möglich wurde dies unter anderem durch Ackerbau und Viehzucht und all dies geschah in etwa mit dem Ende der letzten Eiszeit vor ca. 12.000 Jahren.

Genau in dieser Zeit schlüpfen wir in die Rollen von Stammeshäuptlingen, die ihren Klan in eine glorreiche Zukunft führen wollen. Über viele Jahre vergrößern wir unseren Stamm, durchstreifen die Landschaften, um geeignete Siedlungsplätze zu finden, jagen Tiere, um sie als Nutzvieh zu halten, und widmen uns primitiven Arten von Forschung und Religion. Wer am Ende von vier Zyklen am erfolgreichsten war, gewinnt das Spiel.

Dieser von manchen Fans heiß ersehnte Titel war ein Kickstarter und wurde von Frosted Games lokalisiert und wird in etwa seit der Messe in Essen letzten Jahres von Pegasus Spiele vertrieben. Es beschäftigt 1 bis 4 Stammesführer für mindestens eine, bei voller Besetzung auch mal mehr als zwei Stunden und ist für Kinder ab 12 Jahren geeignet. Mit diesen Angaben auf der Verpackung kann ich durchaus mitgehen, auch wenn eine Partie, wie immer je nach Gruppe, auch mal mehr als drei Stunden dauern kann.

Der Autor Stan Kordonskiy ist kein unbekannter Autor, denn zumindest „Dice Hospital“ erfreut sich eines ordentlichen Bekanntheitsgrades und auch einige weitere mindestens solide bis gute Titel stammen von ihm. „Endless Winter“ ist sein neuestes Werk und bietet, ohne das Rad neu zu erfinden, ein wahres Feuerwerk an Mechanismen, von A wie Area Control bis W wie Worker Placement, um nur zwei zu nennen. Lasst uns herausfinden, was es kann.
 
Das Material

Doublelayer-Boards, Miniaturen, bedruckte Holzmarker und ein durchdachtes Inlay. Hier hat man aus den Vollen geschöpft und beinahe alles umgesetzt, was ein Spielerherz höher schlagen lässt. Beinahe muss man bedauern, dass es keine Währung gibt, denn in diesem Fall wären bestimmt auch Metallmünzen in der Box enthalten. Die Illustrationen von The Mico runden das Bild ab. Sein unvergleichlicher, farbenfroher Stil zieht sich durch alle Elemente und erweckt das Spiel zum Leben. Ich stelle zwar auch immer wieder fest, dass Gesichter, insbesondere Frauengesichter, nicht unbedingt zu seinen Stärken zählen, da sie mit ihrer Verkniffenheit jedenfalls meinen Geschmack meistens nicht treffen, aber in Summe gefallen mir die Illustrationen dennoch sehr gut.



Auch die Ikonographie ist hübsch und klar gestaltet, sodass die Anweisungen, zum Beispiel auf einigen Karten, ohne weitere Erklärungen auskommen. Die Anleitung lässt sich gut lesen und ist auch als Nachschlagewerk geeignet. So muss man dem Spiel auf jeden Fall zu Gute halten, dass es kaum Fragen offen lässt. Es war kein einziger Blick in die typischen Foren notwendig, was sicherlich auch der guten Arbeit bei der Lokalisation zu verdanken ist. Einziges Manko am gesamten Material ist, dass man bei einem Spiel in voller Besetzung auch einen sehr vollen Tisch bekommt und dass der Spielaufbau wie -abbau jede Menge Zeit in Anspruch nimmt. Durch die vielen verschiedenen Elemente muss man schon ein wenig puzzeln, bis man für alles einen guten Platz gefunden hat und selbst dann kann nicht jeder immer alles immer so gut sehen, wie man es sich wünschen würde.  

Link zur Anleitung

Das Spiel – Wie funktioniert es?

Alle haben drei Arbeiter, die über vier Runden jeweils einmal eingesetzt werden dürfen. Mit diesen insgesamt zwölf Aktionen können fünf verschiedene Orte aufgesucht werden, um eine Kette von Dingen erledigen zu können. Bei jeder Aktion müssen aber auch Karten ausgespielt und Ressourcen ausgegeben werden, sonst kann man mit der Aktion nichts anfangen. Jeder Ort steht dabei im Wesentlichen für einen Kernmechanismus des Spiels. „Einweihen“ und „Entwickeln“ werden genutzt, um das eigene Kartendeck mit stärkeren Karten auszustatten. Entweder werden neue Stammesmitglieder oder aber Forschungskarten hinzugefügt, die man in vielen Fällen direkt in der Runde nutzen kann, in der man sie bekommen hat.

Mit der Aktion „Weiterziehen“ lässt man Teile seines Klans über eine Landschaft aus Hexfeldern ziehen, um die Natur zu nutzen und Einkommen zu generieren. Das funktioniert aber nur, wenn kein Gegner die alleinige Kontrolle über ein Gebiet hat, man muss die Möglichkeiten des Gegners also immer im Blick behalten. Und geht man schließlich „Jagen“, versucht man Sets aus gleichen Tieren zu sammeln, damit man am Ende des Spiels jede Menge Punkte dafür einstreichen kann. Weitere Elemente sind eine gemeinsame Kultstätte, wo sogenannte Megalithen aufgebaut werden können, und die Götzentafel, die man mit seinen Götzen um die Wette erklimmen muss, um kleinere Boni und ebenfalls Punkte am Spielende zu erhalten.



Am Ende jeder der vier Runden werden verbleibende Handkarten eingesetzt oder für die nächste Runde auf der Hand behalten. Setzt man sie ein, bekommt man Aktionen oder Ressourcen und außerdem bringt man sich durch ihre Arbeitskraft in eine bessere Position für die Spielerreihenfolge. Nun werden noch die Rundeneinkommen verteilt und dann geht es schon mit der nächsten Runde und damit den nächsten drei Aktionen weiter.  

Wie fühlt es sich an?

Bei all den vorgenannten Aktionen benötigt man Nahrung, Werkzeuge und Arbeitskraft, die man sich zu Beginn jeder Epoche irgendwie ansammeln muss. Dabei helfen das Einkommen aus den Landschaften, Fertigkeiten von Stammesmitgliedern oder auch Tiere, die geschlachtet werden können. Die beschränkten Ressourcen möchte man liebsten gleich mit der ersten Arbeiteraktion ausgeben und nicht nur deshalb, damit sich der Zug dann richtig gut anfühlt, die Mitspieler schauen oft auch voller Neid auf das Geschaffte. Leider ist die Freude oft nur kurz, denn die verbleibenden beiden Aktionen einer Epoche fallen dann unter Umständen mehr als mager aus. An dieser Stelle helfen Fortschrittskarten, die Fähigkeiten von Stammesmitgliedern oder das Oberhaupt mit seiner Spezialfertigkeit. Daher muss man manchmal auch eine Ruhepause einlegen, um die Kräfte für die letzte Aktion der Runde zu sammeln, und überhaupt möchte man auch Karten auf der Hand behalten, weil man diese am Ende der Runde einsetzen kann, um die Spielerreihenfolge der nächsten Runde zu beeinflussen und Fähigkeiten zu nutzen, die nur in dieser Phase zur Verfügung stehen. Erwähnte ich schon, dass man auch gerne als erster eine der vier Hauptaktionen nutzen möchte, weil man dadurch einen Bonus bekommt, der den Kontrahenten dann verwehrt bleibt?

Es gibt also viele Baustellen und noch mehr zu beachten. Eigentlich darf man auch keine Sektion wirklich vernachlässigen, denn alles ist irgendwie wichtig und man kann kaum gewinnen, wenn man nicht ausgewogen agiert.



Aber glücklicherweise fühlt sich jede Aktion belohnend an und eröffnet neue Möglichkeiten. Außerdem konkurriert man zwar an vielen Fronten, aber es bleiben immer genug Optionen, sodass auch die zweite und dritte Wahl noch sinnvoll funktionieren. So besteht das Spiel, wie von Genreverwandten bekannt, aus planen, planen und umplanen. Am Ende hat man jede Menge geschafft und die Entwicklung reicht vom eigenen Zoo über stattliche Siedlungen bis hin zur religiösen Kultstätte. Wer das Geschäft mit den Jonglierbällen der Eiszeit besonders gut beherrscht hat, entscheidet die Partie für sich.   

Der Mix aus verschiedenen Mechanismen ist ausgewogen und macht Spaß, aber auf der anderen Seite sticht auch kein Aspekt heraus, um aus „Endless Winter“ ein überragendes Spiel zu machen. Das Sammeln von Tieren ist ein klein wenig mehr als das reine Ansammeln von Sets, weil man die Tiere auch schlachten, also in Ressourcen umwandeln kann, dadurch aber Siegpunkte verliert. Aber wirklich interessant ist dieser Teil nicht. Auch Deckbuilding hat man schon interessanter gesehen. Abgesehen von den Forschungskarten, die helfen, eine Maschine aufzubauen, ist die Auslage von den fünf verschiedenen Stammesmitgliedern immer gleich und die Effekte der Stammesmitglieder nicht sehr abwechslungsreich. Es geht immer um Arbeitskraft und manchmal um die Effekte am Rundenende. Den Siedlungsbau kann man durch den Area Control Mechanismus auch konfrontativ spielen, was aber meistens nicht sehr viel bringt. Man sucht sich lieber eine sichere Alternative anstatt sich auf einen Kampf einzulassen. Das verhindert Frust, bietet aber dennoch ein hohes Maß an Interaktion.

In Summe fehlt durch diese kleinen Schwächen ein Stück weit Variabilität, sodass man sich relativ schnell fragt, was die Erweiterungen wohl alles zu bieten haben, die im Rahmen der Kickstarterkampagne direkt mit angeboten wurden. Dadurch wird „Endless Winter“ nicht zu unterdurchschnittlichen oder gar einem schlechten Spiel. Es ist super produziert und bietet von der Solo-Variante bis zur größeren Runde mit vier Spielern eine Menge Spaß. Aber die Produktion hat eben auch ihren Preis, und selbst wenn man einiges dafür bekommt, wäre es toll, wenn es auch spielerisch noch etwas mehr zu bieten hätte.

  

Fazit: Endlosen Spielspaß in endloser Kälte bekommt man hier nicht, aber immerhin viel davon mit einer außergewöhnlichen Materialqualität. Ein wenig mehr Abwechslung wäre wünschenswert, aber je nach Spielertyp sind dann doch einige Partien und damit diverse Stunden Spielspaß garantiert.

Endless Winter
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Stan Kordonskiy
Pegasus Spiele 2022
EAN: 4250231729553
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 79,99

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