Die Tavernen im Tiefen Thal

„Zwei Bier für die 18 Adligen an Tisch vier!“

von Kai Melhorn

„Das Gasthaus zum goldenen Löwen hat schon wieder aufgerüstet. Nur, weil die jetzt eine festangestellte Kellnerin haben, ist die Herzogin Mimi gleich ganz angetan und schwärmt den ganzen Tag vom tollen Service. Aber mir soll es egal sein. Nicht mehr lange, und mein Lieferant wird sein Bier exklusiv an mich liefern. Dann kommen die hohen Herren und Damen endlich auch bei uns vorbei. Sowieso habe ich die viel besseren Gäste, sie benehmen sich ausgezeichnet und geben immer gutes Trinkgeld.“

So oder so ähnlich könnte der Monolog eines genervten Tavernenbesitzers sein, der tellerwaschenden Aushilfen erklärt, wie hart das Leben eines Gastronomen ist. Im beschaulichen Tiefen Thal gibt es nämlich jede Menge Tavernen und sie alle buhlen um die Gunst der Gäste. Leider ist das Leben eines Tavernenbesitzers voller Höhen und Tiefen und längst nicht jeder Tag läuft gut. Stattdessen ist es schwer, gute Mitarbeiter zu finden, die zuverlässig ihren Dienst tun, und die Gäster kommen auch manchmal schneller, als man das Bier heranschaffen kann.

Im neusten großen Brettspiel von Wolfgang Warsch übernimmt jeder Spieler die Rolle eines Wirts, der eine Taverne betreibt. Diese versucht er möglichst gut zu am Laufen zu halten, indem er die Kundschaft mit dem besten Bier versorgt, Mitarbeiter anstellt oder Ausbauten vornimmt, um die Attraktivität zu steigern oder eine Fachkraft dauerhaft zu beschäftigen.

Das Material


Es geht los mit dem Spieltableau, das jeder Spieler vor sich liegen hat. Dieses wird zu Anfang recht minimalistisch aufgebaut. Es gibt zwar einen Platz für den Tellerwäscher, aber ob dieser am jeweiligen Abend Lust zu arbeiten hat, steht noch in den Sternen. Das Bierlager ist klein, der Tresor ebenso. Es gibt zu wenig Tische und die Kellnerin ist auch nur ab und zu verfügbar. Dieses modular aufgebaute Tableau kann im Laufe des Spiels durch einfaches umdrehen einzelner Elemente ausgebaut werden. Das Design und die Details sind dabei wunderbar stimmig und toll gestaltet.



Die Spielkarten, die zum Deckbau verwendet werden, sind ein wenig zu klein für meinen Geschmack, ich kann die Entscheidung für die Größe aber durchaus nachvollziehen, da mit Sicherheit nicht noch mehr Platz auf dem Tisch benötigt werden sollte. Denn an einem kleinen Küchentisch wäre heute schon eine Partie zu zweit oder gar zu viert ziemlich eng.

Die Karten sind gut und übersichtlich gestaltet, ebenso wie das meiste restliche Materieal. Es gibt Bierdeckel, ein Klosterspielplan mit Rundenanzeiger, Schnapsmarker, Thekengäste mit besonderen Fertigkeiten, den Startspielermarker in Form eines dreidimensionalen Bierkrugs und noch unendlich viel mehr. Einzig die beigelegten Würfel sind ganz normale sechsseitige Würfel und fallen damit etwas vom Gesamteindruck ab, denn ansonsten gibt es kein Teil im Spiel, dass nicht seinen thematischen Zweck erfüllt.

Die Spielanleitung führt den Leser übersichtlich von Spielphase zu Spielphase und erläutert genau, was zu tun ist. Bei einigen Regeldetails ist es mir zwar schwer gefallen, die fragliche Stelle im Heft zu finden, aber in Summe gibt es auch dort nichts zu meckern.

Das Spiel


In jeder der acht Runden eines Spiels wird versucht, das Beste aus dem zusammengestellten Kartendeck zu machen. Alle starten mit denselben Grundvoraussetzungen (nicht immer, aber dazu später mehr) und Runde für Runde verbessern wir Teile unserer kleinen Schänke. Dazu werden Teile des eigenen Decks in die Taverne gelegt, bis alle Tische von Gästen belegt sind. Dann werden Würfel geworfen, um zu bestimmen, welche Aktionen diese Runde durchgeführt werden können. Das ist der interaktivste Teil des Spiels, da wir uns jeweils einen unserer Würfel nehmen und die restlichen an den nächsten Spieler weitergeben. Man muss sich also genau anschauen, was die anderen gewürfelt haben, bevor man sich entscheidet. Es handelt sich also um einen offenen Drafting-Mechanismus.



Diese Würfel setzt man dann im Stile von Arbeitern auf dem eigenen Tableau ein und bestimmt auf diese Weise die Möglichkeiten, die man in dieser Runde hat, um Gäste in die Taverne zu locken, Arbeiter anzuheuern oder Ausbauten vorzunehmen. Am Ende der achten Runde werden alle Siegpunkte des Kartendecks zusammengezählt, und natürlich gewinnt derjenige, der am meisten davon verbuchen kann.

Das spielt sich flott und vermittelt sehr gut das Gefühl, wirklich und wahrhaftig eine Taverne am Laufen zu halten. Insbesondere das modular aufgebaute Spielertableau ist super durchdacht und unterstützt die Illusion gewaltig. Besonders nett sind die Module, die dem Spiel von vornherein beiliegen. Wem das Grundspiel schon nicht mehr ausreicht, kann sich noch Gaukler in die Taverne holen, die gerne mit Schnaps bezahlt werden und dafür diverse Vergünstigungen einbringen. In weiteren Modulen arbeitet man kontinuierlich am exzellenten Ruf der eigenen Kneipe oder führt ein Gästebuch. Zudem kann man die Startbedingungen noch variieren, indem jeder Spieler zu Beginn eine Startkarte zieht und damit jeder mit einem etwas anderen Kartendeck startet.

Im Großen und Ganzen ein tolles Spiel, was uns von Herrn Warsch und Schmidt Spiele hier präsentiert wird. Dennoch gibt es ein paar Dinge, die ein wenig wie Wasser in einem sehr stimmigen Wein wirken.

Zunächst ist da die fehlende Interaktion. Abgesehen vom Weiterreichen der Würfel und den Gästen, die man sich theoretisch vor der Nase wegkaufen kann, haben die Spieler quasi nichts miteinander zu tun. Das Spielende ist von vornherein fix, es gibt kein Rennen auf bestimmte Elemente, und auch sonst werden keine Elemente verwendet, die ein ansonsten eher selbstbezogenes Spiel einfach in ein etwas interaktiveres verwandeln. Die Einsatzfelder für die Würfelwerte sind auch immer so aufgebaut, dass man schon ziemlich genau weiß, welche die anderen Spieler wohl nehmen werden. Damit dient der Mechanismus eher dazu, Pech auszugleichen, anstatt wirklich Spannung und Wettbewerb zu erzeugen. Auch das Rennen um die besten Gäste ist nicht dramatisch, denn es fühlt sich nicht sonderlich niederschmetternd an, einen Gast an einen anderen Spieler zu verlieren. Die Auslage hat meist gute Alternativen zu bieten.



Doch kommen wir nun zu meinem größten Kritikpunkt: dem hohen Glücksfaktor beim Finale. Bitte nicht falsch verstehen, denn mir ist schon klar, dass Würfel und ein gemischtes Kartendeck immer auch Glück verlangen. Das Problem ist aber die hohe Bedeutung von ein wenig Glück in der letzten Spielrunde. Obwohl die Gäste Geld in die Taverne spülen, möchte man sie eigentlich so spät wie möglich an den Tischen sehen. Denn sind erst alle Tische belegt, muss man den Kartenstapel beiseite legen und mit dem arbeiten, was man hat. All die Tellerwäscher, Kellnerinnen, Bierlieferanten und Barden können dann erst in der nächsten Runde wieder zum Einsatz kommen und müssen vorerst abwarten. Im Spiel hat man dadurch immer wieder gute und weniger gute Runden. Das macht es spannend, aber gerade am Ende des Spiels kann sich diese Tatsache dramatisch auswirken. Da auch in diesem Spiel die meisten Punkte in den letzten Runden gemacht werden, ist ein schlecht gemischter Kartenstapel manchmal der Unterschied zwischen 80 und 100 Punkten. Alleine, weil dieser eine Gast nun weiter oben im Stapel lag, als die Kellnerin und der Tellerwäscher. Zwar bietet das Spiel die Möglichkeit, sein Glück nochmal zu versuchen, aber auch das ist keine Garantie und bringt wieder andere Nachteile mit sich.

Fazit: Trotz der aufgezählten, nicht unerheblichen Probleme gefällt mir das Spiel sehr gut. Natürlich ist es nichts für eine Runde, die sich am liebsten in Wirtschaftsschach für zwei bis vier Spieler vertiefen würden. Aber gerade für gehobene Familienspieler halte ich das Spiel für extrem gelungen. Zudem garantieren die Module auch nach mehreren Partien noch genügend Abwechslung und erhöhen zumeist auf gewinnbringende Art und Weise die Spieltiefe.

Die Tavernen im Tiefen Thal
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Wolfgang Warsch
Schmidt Spiele 2019
EAN: 4001504493516
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 37,99

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