Die Optimierer

Wenn auch das kleinste Rädchen im System genau das tut, was es soll, läuft das System fehlerlos und einwandfrei. Jeder an seinem Platz. Alles an seinem Platz. Jeder Mensch hat in dieser Zukunftsvision den perfekten, um nicht zu sagen optimalen Platz gefunden. Wenn nicht, helfen einem die Lebensberater – ob man will oder nicht.

von Lars Jeske

Für die einen ist eine es Dystopie, für die anderen wäre es die größte Errungenschaft seit dem WWW. Theresa Hannig zeichnet in ihrem Debütroman „Die Optimierer“ eine Zukunftsvision, die durch die Einflechtung aktueller Themen und technischer Tendenzen umso realer erscheint. Diese Weiterentwicklung der Demokratie, gepaart mit Kommunismus, einem Schuss Sozialismus und „Star Trek“-Ethik nennt sie Optimalwohlökonomie. Die Autorin entwirft in ihrem Science-Fiction-Roman eine so realistische Welt, das dieser sogar mit dem Stefan-Lübbe-Preis 2016 ausgezeichnet wurde.

Zum Inhalt: Wir schreiben das Jahr 2052. Die BEU – die Bundesrepublik Europa besteht unter anderem aus Deutschland, Frankreich, Dänemark und Polen – ist das Paradebeispiel für Wohlstand und Effizienz innerhalb der Gesellschaft. Computer und Roboter nehmst der totalen Überwachung sind allgegenwärtig. Im Staatenbund um Deutschland ist alles wunderbar optimiert. Frei nach Kennedy: „Fragen Sie nicht, was Ihr Land für Sie tun kann – fragen Sie, was Sie für Ihr Land tun können.“

Damit das alles wunderbar für jeden Einwohner klappt, gibt es die optimierende Berufsgruppe der Lebensberater. Einer von ihnen ist Samson Freitag, im Rang eines Konsultationsrats und der Protagonist dieses Romans. Mit seinen durchnummerierten Lächeln, seiner allwissenden Linse (quasi die Weiterentwicklung von Google Glass) und seinem generell optimierten und optimistischen Auftreten ist Samson ein Teil des Systems und auf der Sonnenseite des Lebens. Der Parole „jeder an seinem Platz“ hat er sich total verschrieben. Ebenso schreibt er gern und häufig seine kleinen Korrekturvermerke, sammelt dadurch fleißig Sozialpunkte und steht dadurch schon sehr dicht vor seiner Beförderung. Alles an seinem Platz.

Leider ist auch er bei aller Optimierung nicht unfehlbar. Seine jüngste Beratung zum Beruf beziehungsweise der Berufung der Kontemplation (staatlich verordnetes Nichtstun, um zum Allgemeinwohl optimal beizutragen) war laut seinen Daten zwar richtig, das heißt optimal, jedoch muss er sich alsbald mit der Schattenseite des Systems auseinandersetzen. Aufgrund unglücklich verketteter Umstände, sind plötzlich alle gegen ihn und er bekommt mehr und schneller Sozialpunkte abgezogen, als man „jeder an seinem Platz“ sagen kann. Und wenn es schon mal nicht so richtig läuft, häufen sich die Probleme und seine allererste Beratung damals an Ercan Böser, der entweder Schauspieler oder Politiker hätte werden können (ein Schelm wer dabei Böses denkt), geht ihm immer öfter durch den Kopf; nicht nur in seinen Träumen. Die Wahlen stehen kurz bevor und Böser ist Chef der Optimierungspartei und liegt in der Wählergunst weit vorn. Hatte er einen Beratungsfehler gemacht?

Vegeterroristen, Blockwart, Indoktrination, salopper Datenschutz, Zentralüberwachung, Politik, Kommunalautos, Optimierungspartei, bedingungsloses Grundeinkommen, Haushaltsroboter und Flüchtlinge. Fast alle aktuellen Buzzwords kommen in „Die Optimierer“ vor, aber mir fehlt dennoch etwas mehr Beschreibung zu dieser konstruierten Welt. Da hätte Frau Hannig dem Roman noch gute 50 bis 100 Seiten spendieren können. Oder falls das Ganze als Novelle gemeint ist, wäre eine Straffung des Anfangs und das Kürzen der letzten Seiten idealer gewesen. So bleibt das Werk irgendwie zwischendrin. Und es ist nicht ganz klar, wie es zu verstehen ist. Ironische Übertreibung, Gesellschaftsentwicklungskritik oder Ratgeber? Dystopie oder Utopie, das darf jeder für sich entscheiden, unabhängig vom persönlichen Freiheitsgradewunsch und Nonkonformistentum. Die wohlwollende Parole „Jeder an seinem Platz!“ wirkt auf alle Fälle nach und verändert im Verlauf es Romans für den Leser auch die Bedeutung bis hin zu einer Drohung, umso mehr man sich in den Bann der Geschichte ziehen lässt.
 
Was George Orwell mit dem Meisterwerk „1984“ damals schon andeutete, bekommt in „Die Optimierer“ eine an den technischen Fortschritt angepasste Neufassung. Auffällig ist auch eine sehr ähnliche Struktur der Geschichte, ebenso sind auch von der Aufteilung des Romans und dem Handlungsverlauf sehr viele Ähnlichkeiten gegeben. Auch bei „Die Optimierer“ wird der Leser nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Schlechtigkeit dieser Welt oder das Ende der individuellen Menschlichkeit hingewiesen. Es steht vielmehr jedem frei, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Im besten Fall bleibt es nicht bei Traumsequenzen, sondern schürt das eigene Feuer, sich mehr Gedanken über die Gegenwartsentwicklung zu machen. Oder wie es Samsons Eltern vermutlich getan hätten: Hannes Waders „Talking-Böser-Traum-Blues“ ihrem Sohnemann auf Vinyl vorspielen und dazu als Essen 100% kein Synthfleisch.

Fazit: Lächeln Nummer 15. Big Brother war gestern, heute ist es medial gestreamlined die Optimalwohlökonomie. „Die Optimierer“ ist wirklich ein Taschenbuch. Klein, kurz und schnell zu lesen, aber hoffentlich mit Langzeitwirkung. Jedem zu empfehlen, der „1984“ (noch) nicht kennt und gern einen Blick in eine Zukunftsvision / Dystopie werfen mag. Eine Zukunft, die leider viel plausibler ist, als man es in seinem tiefsten Inneren befürchtet. Gut, besser, jeder an seinem Platz.

Die Optimierer
Science-Fiction-Roman
Theresa Hannig
Bastei Lübbe 2017
ISBN: 978-3-404-20887-6
300 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 10,00

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