Unendlicher Spaß

Der US-amerikanische Autor David Foster Wallace lieferte mit seinem Debütroman „Unendlicher Spaß“ (Originaltitel: „Infinite Jest“, 1996) auf Anhieb einen großen Erfolg. Der Near-Future-Roman wurde aufgrund seiner Komplexität lange Zeit nicht in die deutsche Sprache übersetzt. Der Übersetzer Ulrich Blumenbach, dessen Übersetzung sechs (!) Jahre benötigte, erhielt dafür den Preis der Leipziger Buchmesse 2010 in der Kategorie Übersetzung. Wallace avancierte vom Start weg zu einem der einflussreichsten Autoren seiner Generation!

von Markus Kolbeck

Das Buch erschien 2009 erstmals auf Deutsch beim Verlag Kiepenheuer & Witsch und ist seit 2011 im Rowohlt Taschenbuch Verlag als sehr dickes Softcover erhältlich. Es liegt mir in der 8. Auflage von 2020 vor und umfasst sage und schreibe 1550 Seiten. Die Seiten sind aus sehr dünnen Papier, man mag befürchten, dass die Seiten beim Umblättern einreißen. Das war aber bei mir nie der Fall. Allerdings knickt dann und wann eine Ecke von einer der Seiten um, und einzelne Seiten können – wenn auch sehr selten – leicht zerknittern.

David Foster Wallace (1962-2008) studierte Logik und Mathematik, dann Philosophie und Literatur. Vorher war er Tennisprofi – er gelangte bis auf Platz 17 der US-Rangliste. Seit 2002 lehrte Wallace als Professor für englische Literatur und Kreatives Schreiben am Pomona College in Claremont, USA. Er litt leider an Alkoholsucht und 20 Jahre an Depressionen. Der Autor nahm sich tragischerweise 2008 das Leben.

Inhalt

Harold Incandenza, mit Spitznamen Hal, ist einer der Protagonisten des Romans und der Eröffnungsszene. Der 18-jährige Junior-Tennisprofi, der bisher das Internat Enfield Tennis Academy besuchte, bewirbt sich für die University of Arizona. Die Bewerbung entgleitet Hal aufgrund seines Hangs zur Introvertiertheit und trotz seiner Begabung vehement. Mit vielerlei solcher Szenen entwirft Wallace ein kritisches Bild der amerikanischen Gesellschaft. Sein Roman spielt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Stichwort: Teleputer).

Ein wichtiger Handlungsfaden ist, dass ein ausländischer Geheimdienst auf einen Film (eine sogenannte Patrone) aufmerksam wird und danach sucht, denn das Anschauen des darauf gespeicherten Films lässt den Zuschauer in völlige Abhängigkeit vom Konsum dieses Films bis zum Verdursten und Verhungern geraten! Eine öffentliche Ausstrahlung dieses Films wäre katastrophal! Als Beispiel eines der vertretenen dystopischen Elemente mag dienen, dass der Staatspräsident experialistische Politik (im Gegensatz zur imperialistischen) betreibt, indem er Kanada einen großen, durch Müll und Umweltgifte völlig verseuchten Teil des Staatsgebietes aufzwingt.

Die Sprache des Autors ist dabei äußerst vielfältig! So mag man sich wundern, was von einem Roman zu halten ist, der als Kapitelüberschrift etwa „Jahr des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs“ benutzt. Wallace führt auf seiner Romanreise den Leser durch die verschiedensten Milieus und Themenbereiche der amerikanischen Gesellschaft. Es kommen zur Sprache: Drogenkonsum, Alkoholmissbrauch, Krankheiten, Medikamente, Psychiatrie, Leistungssport (konkret: Profitennis), Politik, Terrorismus, Geheimdienste, Gewalt, Kriminalität, Bildung, Karriere, Kindheitserinnerungen, Familie, Sex, Liebe, Alleinsein, Kommunikationstechnologie, Medien, Fortschritt und vieles mehr. Immer wieder hält der Schriftsteller dem*der Leser*in den Spiegel vor und entwirft so ein sehr kritisches Bild der US-amerikanischen Gesellschaft. Man darf wohl davon ausgehen, dass der Autor autobiographische Elemente in seinen Roman einfließen hat lassen, wie Alkoholismus, psychische Erkrankung (Depression), Medikamente, Psychiatrie, Profitennis usw.

Kritik

Als dystopische Gesellschaftskritik (zum Teil auch mit satirischem Ton) haut dann auch Wallaces Werk voll rein! Äußerst wortgewandt und scharfzüngig seziert er die US-amerikanische Gesellschaft und ihre Probleme. Man kann also davon ausgehen, dass nichts unter den Teppich gekehrt wird! Schon allein deshalb ist der Roman sehr lesenswert. Dazu kommt noch die fulminante Sprachvielfalt und das hohe Sprachniveau des Autors. Mancher mag die häufige Verwendung von Fremdwörtern beklagen. Auch wenn man nicht alle kennt, ergeben sich viele Wortbedeutungen aus dem Kontext. Ansonsten kann man Wallaces Formulierungspotenz einfach genießen. So habe ich es jedenfalls gehandhabt; man sollte sich nicht unbedingt damit aufhalten, Fremdwörter nachzuschlagen. Damit ist der Sprachaspekt des Buches aber noch nicht vollständig behandelt: Der Autor benutzt auch neue, von ihm erfundene Begriffe wie das bereits erwähnte „Teleputer“. Dabei handelt es sich um einen Computer der Zukunft.

Der Roman spielt eine erhebliche Zeit in der näheren Zukunft, was auch durch die Verwendung neuer Begriffe durch den Autoren wie die bereits erwähnten „Teleputer“ oder „(Interlace-)Patronen“, die Datenträger (vor allem für Videos) darstellen. Es wird angedeutet, dass im Film möglicherweise eine Sirene dargestellt wird, die das Verderben für den Konsumenten verkörpert. Somit enthält das Buch nicht nur Near-Future-SF-Elemente, sondern auch einen Begriff aus der Fantasy oder Mythologie. Diesem Fantasy-Element wird aber leider nicht weiter durch den Autoren nachgegangen. So bleibt für den Phantastik-Fan vor allem die Near-Future-SF-Details, die sich auch auf politischer Ebene in Form einer Dystopie darstellen. Allerdings wird dieser Romanbestandteil nicht ausreichen, auch nicht zusammen mit den genannten neuen technischen Ideen und einigen weiteren Zukunftselementen, um für reine Phantastik-Fans interessant genug zu sein. „Unendlicher Spaß“ ist auf keinen Fall ein herkömmlicher SF-Roman! Wer hier über den sprichwörtlichen Tellerrand schaut, bekommt einen Augenöffner, was das Leben so alles beinhalten kann.

Das Buch wird die Leserschaft spalten in solche, die es vehement wegen seines sprachlichen Niveaus und seines kritischen Inhalts befürworten, und solche, die es entschieden als zu anspruchsvoll, wirr und lang ablehnen. Ein Roman, der kontrovers diskutiert wurde und wird! Ungefähr in der Mitte des Romans wird dem*der Leser*in deutlich, worauf es am Schluss eigentlich hinauslaufen sollte. Dieser wahrgenommenen Logik der Entwicklung der Geschichte wird der Autor nicht gerecht; viele Handlungsfäden kommen zu keinem wirklichen Ende. Auch wenn ein solcher Schluss innerhalb der künstlerischen Freiheit des Autors anzusiedeln ist, bleibt er wohl für viele Leser*innen unbefriedigend!

Die Vielfalt des sprachlichen Ausdrucks, vor allem in der Verwendung von Fremdwörtern, hat seinen Reiz, ist aber gleichzeitig der größte Nachteil des Werks. Es schränkt nämlich die Leserschaft auf solche ein, die eine gute Allgemeinbildung haben. Außerdem ist der Roman wirklich lang, manche  Leser*innen werden an der Länge scheitern. Das Episodenhafte des Buchs wird auch nicht jedem*r zusagen. Der Band ist mit zahlreichen Anmerkungen ausgestattet, die teilweise rund 20 Seiten lang sind. Manchmal fragt man sich da schon, wozu diese große Detailfülle. Wer aber bis zum Ende durchhält, wird mit einem intellektuellen Vergnügen belohnt, wie es einem selten zuteil wird, bis auf den – bereits erwähnten – unbefriedigenden Schluss!

Fazit: Der Roman „Unendlicher Spaß“ ist definitiv ein Must-Read für Leser*innen, die kein Problem damit haben, dass ein Near-Future-Stoff zugleich bissige Satire und intellektuelle Herausforderung ist. Sprachniveau und -vielfalt sind auf einem sehr angenehmen Niveau. David Foster Wallaces Fabulierkunst zieht den*die Leser*in in den Roman regelrecht hinein. Er ist ein Beispiel für große Lebenserfahrung und -weisheit eines Autoren. Er richtet sich vor allem an Leser*innen mit guter Allgemeinbildung, sonst hat man vielleicht doch zu viele Probleme mit den Fremdwörtern.

Unendlicher Spaß
Science-Fiction-Roman
David Foster Wallace
Rowohlt (rororo) 2020
ISBN: 978-3-499-24957-0
1550 S., Paperback, deutsch
Preis: 28,00 EUR

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