Soylent Green

Es gibt ein paar Zitate, die sind einfach ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt. „I am your father!“ oder „He?s dead, Jim.“ sind zwei so Beispiele, ebenso wie „Soylent Green is people!“. Diese grausige Erkenntnis, dass das Lebensmittel hungernder Massen in der dystopischen Zukunft aus Menschenfleisch besteht, steht am Ende des Films „Soylent Green“ – zu Deutsch „… Jahr 2022 … die überleben wollen“ –, einem US-Science-Fiction-Film von 1973 mit Charlton Heston, der als Detektiv einem Mord nachgeht und dabei auf eine grausige Verschwörung stößt. Die Vorlage lieferte der Roman „Make Room! Make Room!“ (1966) von Harry Harrison. Wie skandalös mag das Original wohl sein?

Soylent Green

von Frank Stein

New York, 1999. Bei brütender Hitze vegetieren 35 Millionen Menschen in den Straßenschluchten des Molochs, der einst die Hochburg des Kapitalismus und der Ressourcenverschwendung war, dahin. Es gibt kein Öl mehr und Wasser, Lebensmittel und Wohnraum sind so knapp, dass es die meisten Bewohner unter erbärmlichen Verhältnissen leben müssen und es regelmäßig zu Ausschreitungen kommt. Die Polizei ist praktisch machtlos. Nur die Reichen führen weiterhin ein Leben in Saus und Braus, haben gutes Essen und ständig genug Wasser, allerdings alles zu horrenden Preisen. Und obwohl der Erzählfokus auf New York bleibt, scheint es auf der ganzen Welt so zu sein. 7 Milliarden Menschen haben den Planeten Erde heruntergewirtschaftet. Was bleibt, ist ein Dasein unter wahrhaft dystopischen Bedingungen.

Vor diesem Hintergrund kommt ein Mann um, ein hohes Tier in Verbrecherkreisen, eigentlich ein Mistkerl, um den es nicht Schade ist, aber er hatte Freunde an den richtigen Stellen und darum wird die Polizei unter Druck gesetzt, zu ermitteln. Der Job fällt Andy Rusch zu, einem Idealisten, möchte man sagen, denn er macht seinen Job, obwohl widerwillig, absolut zuverlässig. Vielleicht hat er aber auch einfach nur Angst, ihn zu verlieren – in dieser Umwelt wäre das für ihn das Ende. So jagt er monatelang einem Phantom nach, lernt dabei eine Frau kennen und verliert einen Freund. Und am Ende feiert ein wahnsinniger Big Apple das Silvester der Jahrtausendwende.

Moment mal, mag sich mancher denken. Wo bitte ist denn hier das Menschenfleisch. Tja, das gibt es nicht. Denn der Film von Richard Fleischer hat mit dem Roman außer dem Hintergrund nicht viel gemeinsam. Die Story ist eine völlig andere. In der ursprünglichen deutschen Ausgabe hieß der Roman auch „New York 1999“, ein spröder Titel, aber deutlich passender. Der Mantikore Verlag hat sich für seine Neuausgabe am Film orientiert, sowohl was den Titel betrifft als auch das Cover, das einen grausigen Menschenschädel in giftgrün zeigt, auf dessen Stirn das Markenlogo SG prangt. Total atmosphärisch – und völlig irreführend. Denn auch wenn Harry Harrisons Roman ein wirklich düsteres und schonungsloses Bild der (damaligen) Zukunft zeichnet, ist er weit davon entfernt, auf eine Weise reißerisch zu sein, wie es der Film ist. Soylent ist nur eins von zahlreichen billigen Ersatznahrungsmitteln, das in drei Nebensätzen erwähnt wird.

Im Grunde ist die Handlung eigentlich eher unspektakulär. Harrison beschreibt in unaufgeregtem Stil vor allem den Alltag in einer vollkommen heruntergekommenen Millionenstadt. Weder aus dem Kriminalfall um den Mord noch aus der Liebesgeschichte zwischen Andy und dem Mädchen des Schurken, Shirl Greene, zieht er viel Dramatik. In diesem Sinne ist „Soylent Green“ weniger ein Unterhaltungsroman, als eine 300-seitige Mahnung an die Leser, was mit der Welt passieren könnte, wenn man nicht ein wenig auf sie aufpasst. Einen der ersten Öko-Science-Fiction wurde der Roman daher auch im Nachhinein genannt, ein Label, das durch die moralischen Monologe des alten Solomon Kahn, Ruschs Mitbewohner, unterstrichen wird.

An der vorliegenden Ausgabe ist leider das mangelnde Lektorat zu kritisieren. Es finden sich mehr als nur ein paar Rechtschreibfehler, wobei die fehlenden Worte den Lesefluss am meisten stören. Zusammen mit dem irreführenden Cover, das Unwissende ein wenig enttäuscht zurücklässt, kann daher trotz des Textes, der sicher ein Klassiker des Genres ist, keine uneingeschränkte Empfehlung ausgesprochen werden.

Fazit: In „Soylent Green“ geht es nicht um Menschenfleisch. Es geht um Überbevölkerung und den ökologischen Kollaps, um ein unmenschliches Leben in einer Millionenstadt der Zukunft (zumindest aus Sicht des Autors). Die Gegenwart mag den Text längst überholt haben, aber die grundsätzlichen Mahnungen bleiben bestehen und das Beschriebene mag nach wie vor eintreten (was nicht zu hoffen ist). Die Mantikore-Verlag-Ausgabe verwirrt leider durch eine Verpackung, die etwas verspricht, das nicht eingehalten wird. Außerdem weist der Text einige Mängel auf. So lobenswert es ist, den alten Text erneut verfügbar zu machen: Diese Ausgabe ist nicht ganz gelungen.

Soylent Green
Science-Fiction-Roman
Harry Harrison
Mantikore Verlag 2013
ISBN: 978-3-939212-36-2
319 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 13,95

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