von Jens Krohnen

Wie auch bei den anderen Spielen der Kleinen Reihe liegt „Die Liebe in den Zeiten des Seidr“ als ungewohntes A5-Querformat im Softcover vor. Ähnlich wie „Kagematsu“ ist das Büchlein vollfarbig gedruckt und äußerst großzügig illustriert. Und auch der Seitenumfang ist mit 68 Seiten recht überschaubar geworden.

„Die Liebe in den Zeiten des Seidr“ ist eine Blutoper. Die beiden Autoren Jason Morningstar und Matthijs Holter haben ein Setting geschaffen, dass sich vor einer Tragödie von den Ausmaßen eines Hamlet nicht zu verstecken braucht. Die Spieler schlüpfen in die Rollen von fünf vorgefertigten Charakteren, die am Hofe des Königs um die Macht buhlen. Zunächst wäre da der König, ein alter, traditionalistischer Herrscher, dessen Reich vor dem Niedergang steht. Der Jarl, Anführer des benachbarten Reiches, besucht den Hof, um die Tochter des Königs, die Prinzessin (ebenfalls ein Spielercharakter) zu ehelichen. Die Seidkona, eine Zauberin und Beraterin mit uralter Macht, und ein verschlagener, aber tapferer Ritter des Königs komplettieren das Quintett. Gespielt wird „Die Liebe in den Zeiten des Seidr“ an bestimmten Orten, wie dem „Garten der Königin“, „Die Grenze“ oder „Die Halle des Königs“.

Die Autoren verzichten bei „Die Liebe in Zeiten des Seidr“ komplett auf einen Würfelmechanismus. Stattdessen entwirft jeder Spieler abwechselnd eine Szene, in der seine Figur die Hauptrolle spielt. Die übrigen Spieler erhalten in jeder Szene bestimmte Einflussrechte – einige können Eigenheiten des Ortes, an dem die Szene spielt, in die Szene einbringen, andere die Hintergründe der Figuren anspielen. Jeder kann aber jederzeit in die Erzählung des gerade aktiven Spielers eingreifen, indem er eine von sechs vorgefertigten Phrasen (wie „Ich will etwas einwerfen!“ oder „Beschreib das genauer!“) nutzt, um die Erzählung in eine andere Richtung zu lenken.

Morningstar und Holter haben bei den vorgefertigten Figuren alle wesentlichen Klischees erfüllt und bei den großen Tragödien aus dem Vollen geschöpft. So gelingt es den beiden, ein interessantes Konfliktgeflecht unter den Figuren zu entwerfen, das weit über die offensichtliche Konkurrenz zwischen dem König und dem Jarl hinausgeht. So wird manches Geheimnis gelüftet werden müssen und mancher Bund gebrochen, bevor sich am Ende zeigt, wer diese Blutoper tatsächlich überleben wird und sich vielleicht sogar als Sieger fühlen darf.

Lobend erwähnen möchte ich das umfangreiche Spielmaterial, das ungefähr die Hälfte des Buches einnimmt. So gibt es Kopiervorlagen für Tischaufsteller, Ortskarten und Entscheidungskarten sowie zahlreiche hilfreiche Übersichten, um die verschiedenen erzählerischen Optionen der Spieler jederzeit im Auge zu behalten.

Der große Wermutstropfen ist sicherlich der kaum vorhandene Wiederspielwert des Ganzen. Denn wenn einmal die Geheimnisse der fünf Figuren gelüftet und die geheimen Bündnisse der Parteien enthüllt wurden, dann gibt es hier schlicht nur noch wenig zu entdecken. Zwar gibt es einige Vorschläge für unterschiedliche Stimmungen zumindest auf den Ortskarten, doch steht und fällt das Spiel mit dem Ausloten der Charaktere. Immerhin ist der Erzählmechanismus simpel genug, um ihn im Zweifel auf ein anderes Setting zu übertragen – die Hauptarbeit, ein interessantes neues Figurengeflecht zu erstellen – bliebe dabei aber natürlich noch übrig.

Fazit: „Die Liebe in den Zeiten des Seidr“ erledigt seinen Job souverän. Es ist ein Spiel für Gruppen, die Spaß an Tragödien und am Erzählen an sich haben, ohne viele Würfel werfen zu wollen. Die Aufmachung ist sehr gelungen, das Spielmaterial weiß zu gefallen. Leider wird es wohl nur einmal in dieser Konstellation zu spielen sein.

Die Liebe in den Zeiten des Seidr
Grundregelwerk
Matthijs Holter, Jason Morningstar, Daniel Neugebauer u. a.
System Matters Verlag 2017
68 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

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