Die Legenden von Andor

Neue Helden braucht das Land! In der fantastischen Welt Andor liegt einiges im Argen. Ungeheuer streifen durch die Wildnis, der König wird krank, fiese Zauberer sorgen für Unheil und unter der Erde lauern noch viel mehr Gefahren. Klar, das ist ein Fall für unermüdliche Kämpen, die in diesem Brettspiel für zwei bis vier Abenteurer losziehen, um das Übel zu besiegen.

von Frank Stein

„Die Legenden von Andor“, das Debütspiel von Illustrator Michael Menzel, gibt sich einsteigerfreundlich. Statt eines Regelwerks existiert eine Losspiel-Anleitung, die zusammen mit der ersten Legende, die es zu erleben gilt, als Tutorial dient. Das heißt, das man, während man spielt, immer wieder Legendenkarten und Spezialplättchen aufdeckt, auf denen die jeweils in diesem Moment relevante Regel erklärt wird. Das klingt anfangs nach einer witzigen Idee, wird jedoch im späteren Spielverlauf etwas nervig, denn es existiert ansonsten nur noch ein Begleitheft von vier Seiten, in dem man zwar einige Dinge nachschlagen kann, das jedoch bei Weitem nicht alle Spielregeln nochmal komprimiert wiedergibt. Wie genau das mit der Tagesleiste funktioniert, erklärt nur die Losspiel-Anleitung, ebenso das Sonnenaufgang-Feld. Brunnen und Händler erklären nur die Spezialplättchen. Und vor allem zum Timing (was darf ich im Vorbeigehen mitnehmen, was darf ich fallenlassen und gegebenenfalls wieder aufnehmen und wann zwingt mich eine Handlung dazu, meinen Zug zu beenden) würde man sich ein paar zusätzliche Infos wünschen. Sprich: Wenn man das Spiel eine Weile nicht gespielt hat, muss man sich seine Infos zum Teil mühsam zusammensuchen. Die Idee des Autors, seitenlanges Regelstudium durch lebendiges Learing-By-Playing zu ersetzen, finde ich im Prinzip lobenswert. Dennoch hätte man sich ein vollständiges Regelwerk zusätzlich gewünscht. (Edit: Dieses findet sich seit Kurzem auf der Website www.legenden-von-andor.de, zusammen mit FAQs und einer Bonus-Legende. Sehr lobenswert!)

Wie wird „Die Legenden von Andor“ denn nun gespielt? Zu Beginn bekommt jeder Spieler einen Helden (auch als Heldin jeweils vorhanden). Zur Auswahl stehen Kämpfer, Magier, Bogenschütze und Zwerg. Alle besitzen spezielle Fähigkeiten und unterschiedliche Mengen an sechsseitigen Kampfwürfeln. Die beiden Spielwerte Stärke (ein Bonus im Kampf) und Willenskraft (die Lebenspunkte) sind jedoch immer gleich, beginnen meist bei 1 und 7 und werden im Laufe der Legende durch Gold oder besiegte Gegner gesteigert. Als nächstes wird, anhand einer Checkliste (die wieder auf einer extra Karte zu finden ist) das riesige und wunderschön gestaltete Spielbrett vorbereitet. Dann wählen die Spieler eine Legende aus, die sie spielen möchten – neben dem Tutorial existieren noch vier weitere Legenden. Außerdem findet sich im Netz eine Bonuslegende auf der Website des Spiels. Das klingt zunächst nach nicht viel Stoff, aber erstens sind die Legenden so angelegt, dass man sie nicht im ersten Anlauf schaffen soll, und zweitens kommt ab Legende 3 noch ein Element des Zufalls ins Spiel, das für gewisse Abwechslung bei den Partien sorgt. Sehr schön ist, dass jede Legende sich spürbar anders spielt, unterstützt jeweils von speziellem Spielmaterial, wie Geröllplättchen, einem Turm, Monsterplättchen, einem Drachen, etc.

Gespielt wird reihum im Uhrzeigersinn. Jeder Spieler, der am Zug ist, darf entweder laufen, kämpfen oder den Prinzen, eine manchmal auftauchende Bonusfigur, die einen Kampfbonus verleiht, bewegen. Die „Bewegungspunkte“, die man pro Runde zur Verfügung hat, werden hier in Stunden bemessen und auf der sogenannten Tagesleiste protokolliert. Jeder Tag hat sieben reguläre Stunden, plus drei Stunden, die jeweils zwei Willenskraft kosten. Auch Helden legen offenbar wert auf ihren Feierabend. In diesen sieben Stunden können sich Helden etwa sieben Felder weit auf dem in 84 Felder unterteilten, doppelseitig bedruckten Spielplan bewegen. Oder sie könnten sich drei Felder weit bewegen und vier Kampfrunden ausfechten. Oder sie stehen einfach herum, was pro „Passen“ auch eine Stunde kostet. Wenn alle Helden ihre Stunden verbraucht haben, kehren sie auf das Sonnenaufgangsfeld zurück und es kommt zu einer Sonderphase, in der eine Ereigniskarte gezogen wird, alle Monster sich bewegen, Brunnen und Ausrüstung aufgefrischt werden und sich der Erzähler auf der Legendenleiste ein Feld Richtung N bewegt. Danach beginnt die nächste Runde. So geht es weiter, bis die Helden alle Aufgaben, die ihnen die jeweilige Legende gestellt hat, geschafft haben oder bis der Erzähler bei N angelangt ist. Dann endet das Spiel sofort, und alle haben verloren.

Auf den ersten Blick klingt das ein wenig wie die vielen anderen Fantasy-Spiele, in denen Helden über einen Spielplan wandern, Aufgaben lösen, Monster kloppen, Schätze sammeln und Aufsteigen. Dennoch spielt sich „Die Legenden von Andor“ deutlich anders, weil es als kooperatives Spiel einige knackige Spielmechanismen aufweist, die die Helden unter Druck setzen und zu schnellem, konzentrierten Handeln zwingen. So ziehen alle Monster, die auf den Spielplan kommen (kleine Gors, größere Skrale, ganz große Trolle und hundeartige Wardraks), jede Sonderphase auf die Burg oben links zu. Wenn, je nach Spielerzahl, zwei bis vier Monster die Burg erreicht haben, wir diese überrannt und man hat verloren. Das kann ganz schnell gehen, vor allem, wenn Monster nah beieinander stehen, denn es dürfen nie zwei Monster ein Feld besetzen. Stattdessen wird das eintreffende Monster gleich auf das nächste Feld in Zugrichtung gestellt. Auch der Erzähler auf der Legendenleiste sorgt für Druck, denn er zieht nicht nur jede Sonderphase eins nach oben (und löst damit unter anderem neue Effekte der Legende aus), sondern auch, wenn ein Monster getötet wurde. Greifen die Spieler also zu viele Monster an, ist das Spiel sofort vorbei, weil der Erzähler N erreicht. Greifen sie zu wenige an, ist es vorbei, weil die Burg überrannt wurde. Und während sie noch an dieser Nuss zu knacken haben, gilt es gleichzeitig, die Aufgaben zu erfüllen, die die Legende von ihnen fordert. Das ist eine mitunter enorme bis nicht zu schaffende Herausforderung!

Und hier setzt meine Kritik an. Ich habe nichts gegen kooperative Spiele, die es einem schwer machen. Das ist ja zumeist der Sinn dieser Spiele. Man soll sie nicht sofort schaffen, sondern vielleicht erst nach dem dritten Mal, wenn man die Kniffe des Szenarios begriffen hat. Aber durch seine Mechanismen fühlt sich „Die Legenden von Andor“ trotzdem nicht ganz ausbalanciert an. Legende zwei beispielsweise ist für zwei Spieler enorm schwer, weil es mit zwei Helden kaum zu machen ist, die Aufgaben zu lösen und die komplett geskriptet jederzeit gleich auftauchenden Monster zu bezwingen. Vier Helden haben deutlich weniger Probleme mit dem Szenario – zwei widmen sich den Monstern (geht im Doppel eh viel besser), zwei lösen die Aufgaben. (Ähnliches gilt für Legende vier.) Legende drei wiederum wird durch zufällige Aufgaben und Monsterkarten beherrscht. Das kann zu einer Gegnerschwemme führen, die einfach nicht besiegt werden kann, denn entweder tötet man zu viele Monster (Spiel vorbei) oder zu wenige (Spiel vorbei). Wenn einen dann noch eine unglückliche Aufgabenkombination über das ganze Spielfeld jagt, ist die Legende praktisch zum Scheitern verurteilt. Das sieht man meist schon Spielzüge vorher – und dann kann man die Partie auch abbrechen. Je nach Spielmentalität führt das dann zu Frust – oder man fühlt sich zu einer weiteren Partie herausgefordert.

Fazit: Obwohl sich „Die Legenden von Andor“ mit seinem Learing-By-Playing betont einsteigerfreundlich gibt, ist es ein Spiel das doch nicht ganz simpel ist. Glück und Taktik müssen beide stimmen, um einen Sieg davonzutragen. Und mit Glück meine ich nicht nur Würfelglück, sondern auch bereits Glück beim Aufbau einer Legende. Dadurch, dass sich die Aufgaben und die Monsterstärken je nach Spieleranzahl kaum bis gar nicht ändern, ist das Spiel zu zweit übrigens spürbar schwerer als zu viert. Kritisch ist noch anzumerken, dass der Box kein vollständiges Regelwerk beiliegt – für Abhilfe sorgt allerdings ein Dokument im Netz. Auf der Habenseite ist das wunderschöne und üppige Spielmaterial zu verbuchen, das zum Spielen reizt. Auch die Mechanismen an sich – die den Druck auf die Spieler aufrechterhaltenden Monster, die Legendenleiste, anhand derer sich die Geschichte entwickelt – wissen zu gefallen. Und die fünf mitgelieferten Legenden bieten auch genug Anreiz, „Die Legenden von Andor“ mehrfach aus dem Schrank zu holen. Unterm Strich: Vier von fünf geifernden Gors.

Die Legenden von Andor Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahre Michael Menzel Kosmos 2012 EAN: 4002051691745 Sprache: Deutsch Preis: EUR 39,99 bei amazon.de bestellen

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legenden-von-andor.de