Die Befreiung der Rietburg

Andor wird die Welt der Brettspiele noch viele Jahre bereichern. Das war meine Hoffnung, und so mag es auch sein. Ein Auftakt ist jedenfalls gemacht und wer weiß schon, wie es weiter geht.

von Kai Melhorn

Die Spielwelt, die Michael Menzel mit „Andor“ geschaffen hat, begeistert Kinder und Jugendliche genauso wie Erwachsene. Rund um das kooperative Spiel gibt es jede Menge Erweiterungen und Zusatzboxen, mit denen man viele, viele Stunden in dieser Welt verbringen kann. Zwar gilt dieser Zyklus inzwischen als offiziell abgeschlossen, das hat Kosmos und den geistigen Vater dieser Welt aber nicht davon abgehalten, etwas Neues in diesem Universum zu kreieren, was einem ganz anderen Spielprinzip folgt.

„Die Befreiung der Rietburg“ ist ein Spiel für bis zu vier Abenteurer ab 10 Jahren und dauert laut Angabe auf der Box in etwa 40 Minuten. Bei all der Unschärfe, die diese Angaben so mit sich bringen, kann ich dem in etwa zustimmen. Wie immer bin ich jedoch der Meinung, dass auch schon etwas jüngere Kinder hier mitspielen können. Für selbstständige Entscheidungen ohne die Einmischung Erwachsener sind die 10 Jahre aber mit Sicherheit gut gewählt. Nun ist es sicherlich keine einfache Aufgabe, dem geistigen Erbe einer Erfolgsgeschichte wieder gerecht zu werden. Aber der Autor Gerhard Hecht ist kein unbeschriebenes Blatt, denn er hat nicht nur „Kashgar: Händler der Seidenstraße“ erdacht und bei „Chadar & Thorn“ aus der „Andor“-Reihe mitgewirkt, sondern letztes Jahr neben „Die Befreiung der Rietburg“ auch „Steamopolis“ herausgebracht, welches man getrost als anspruchsvolles Kennerspiel bezeichnen kann.Man kann also gespannt sein, wie er sich ein kooperatives Abenteuer vorstellt und wie sehr es dem zweifellos hohen Anspruch von Fans der Reihe gerecht werden kann.



Wie der Name schon sagt, muss die Rietburg befreit werden, denn schlussendlich wurde sie dann doch von den Monsterhorden überrannt, so sehr es die Helden der „Legenden von Andor“ auch zu verhindern versucht haben. Die Ankunft des Drachen Tarok steht unmittelbar bevor, und hat dieser erst einmal die Kontrolle über die Burg erlangt, gibt es keine Hoffnung auf Rettung mehr. Genau an diesem Punkt startet das Abenteurer für die Spieler. Mitten im Schlachtgetümmel finden sie sich am Burgtor wieder und können nur erahnen, wie viele Monster sich schon vor Ort befinden. Sie müssen an vielen Fronten in der Burg einen anscheinend aussichtslosen Kampf führen und können nur versuchen, kleine Siege zu erringen, um die Horden schlussendlich doch noch aus der Burg zu jagen, bevor der Drache eintrifft. Dafür müssen sie die Monster an den sechs Orten besiegen, um dort Aufgaben erfüllen zu können, also eine symbolische Flagge zu hissen. Nur wie sie die Moral der Monster brechen können, ist nicht von Anfang an klar, dafür müssen die Orte erst erkundet werden.

Das Material

Von den Spielkarten über die Marker bis zum Spielbrett wurde solide gearbeitet. Die Illustrationen, die von Michael Menzel selbst vorgenommen wurden, lassen den Spieler sofort wiedererkennen, wo das Spiel angesiedelt ist. Auch die Symbole lassen den Spieler schnell eintauchen. Das Regelbuch lässt ebenfalls kaum Wünsche offen, denn es ist gut geschrieben und übersichtlich strukturiert. Die mitgelieferte Spielhilfe ist Gold wert und macht das Nachschlagen im Regelwerk schnell überflüssig. Zudem bekommen die Spieler Tipps mit, welchen Charakteren man sein erstes Spiel starten sollte und wie man die Schwierigkeit für Erfahrene oder Neulinge anpassen kann.



Das Spiel

Sechs verschiedene Helden stehen zur Verfügung und können beliebig zu Spielbeginn kombiniert werden. Jeder Held verfügt über ein kleines Kartendeck und teilweise über zusätzliches Material. Im Spielaufbau bekommen alle Spieler ihre Karten und die passende Figur. Zudem werden zufällige Karten gezogen und die Burg mit Monstern bevölkert. Dann kann es auch schon losgehen. Ist ein Held an der Reihe, wählt er eine seiner Handkarten aus und muss sich wiederum für eine der Optionen darauf entscheiden. Ist die Aktion abgehandelt, kommt die Karte vorerst aus dem Spiel und steht in der nächsten Runde nicht mehr zur Verfügung. Dann ist der nächste Spieler an der Reihe und wählt seinerseits eine Handkarte beziehungsweise Aktion aus. Erst wenn ein Held entscheidet zu rasten, werden die Karten alle wieder auf die Hand genommen. Dann hat man zwar wieder alle Optionen zur Verfügung, aber auch die Monster nutzen die Verschnaufpausen der Helden aus, um sich wieder in der Burg auszubreiten und die Soldaten zu bedrängen.

Jeder Held spielt sich unterschiedlich, hat seine eigenen Stärken und Schwächen und erfordert eine individuelle Taktik. Das erfordert eine gute Absprache unter den Spielern, denn unnötige Züge fördern nur das Voranschreiten der Zeit und die Ausbreitung der Horden. Im Laufe der Zeit können die Helden zwar Unterstützer und auch Ausrüstung finden, aber eine Entwicklung des Helden findet nicht statt. Viele Hilfen sind nur einmalig oder nur temporär von Nutzen. Es gilt also von Anfang an, voranzustreben und keine Zeit zu verschwenden, denn es wird nicht leichter, die Ziele zu erreichen.



Die Motivation für erfahrenere Spieler erreicht der Autor durch die verschiedenen Helden, die man alle mal ausprobieren möchte, und den skalierbaren Schwierigkeitsgrad. Zudem gibt es eine Menge verschiedene Aufgaben zu erledigen, die mit jeder Partie wieder zusammengestellt werden. Es wird keine Geschichte oder ähnliches geboten, die die Entdeckungslust der Fans wecken könnte. So gesehen, ist „Die Befreiung der Rietburg“ ein normales Spiel und kann auch immer wieder gespielt werden. Denn anders als beim großen Bruder gibt es keinen idealen Weg, den man beschreiten kann, um jedes Spiel zu gewinnen. Dafür sind die verschiedenen Helden besonders wichtig, denn hier sind die Unterschiede zueinander schon sehr viel deutlicher als bei den „Legenden“.

Fazit: Das Spiel ist schnell erlernt und ganz anders als das Original verzeiht es den einen oder anderen Fehler der Spieler. Zwar gibt es vielleicht etwas mehr Regeln, aber dennoch würde ich es als Einstieg in die Welt von „Andor“ sehen, denn es ist einfacher zu gewinnen und eine Partie ist schneller aufgebaut und gespielt. Wer also beispielsweise seine Familie oder eine Spielerunde mit weniger Erfahrung nach Andor bringen möchte, kann mit diesem Spiel einen Auftakt wagen. Für Puristen und Fans der Reihe rate ich zur Vorsicht und warne vor allzu viel Euphorie. Es ist ein komplett anderes Spiel mit anderem Fokus und daher nicht als Weiterentwicklung von den Legenden zu verstehen.

Die Befreiung der Rietburg

Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Gerhard Hecht, Michael Menzel
Kosmos 2019
EAN: 4002051695064
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 22,99

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