Die Chronik der Weitseher 3: Der Erbe der Schatten

Fitz konnte König Listenreich nicht retten, und sein Mentor Prinz Veritas scheint ebenfalls tot zu sein. Unterdessen hat sich seine Nemesis Prinz Edel zum Herrscher der Sechs Provinzen gekrönt und entzweit das Reich, während die Roten Korsaren weiterhin das Land überfallen. – So viel zur gesicherten Zukunft bei Hofe. Ein guter Zeitpunkt, um für das Unrecht Rache zu nehmen und Edel zu ermorden.

von Lars Jeske

Durch eine glückliche Liste ist der königliche Bastard Fitz Chivalric-Weitseher den Fängen von Prinz Edel zumindest lebend entkommen. Jeder andere Plan ging jedoch schief. Nun muss er erst wieder an das menschliche Leben herangeführt werden und sich seiner neuen Realität stellen. – Ein sehr schöner Kniff, da durch dieses „Vergessen“ dem Leser, egal ob Neueinsteiger oder Weiterleser, die wichtigsten Fakten zu Geschehnissen, Orten und Personen noch einmal wie nebenbei in aller Kürze zusammengefasst werden. Somit ist der Leser des Abschlusses der Trilogie sofort auf dem Laufenden und die eigentliche Geschichte kann beginnen. Diese ist wiederum länger geworden, denn noch einmal ca. 200 Seiten wurden gegenüber dem 2. Teil an Erzähllänge raufgepackt.

Nachdem König Listenreichs Tod leider nicht verhindert werden konnte, hat es nunmehr Prinz Edel geschafft, den Thron an sich zu reißen und die Sechs Provinzen sehr egozentrisch zu beherrschen. Da er die Zerstörung der ihm nicht gewogenen Küstenprovinzen billigend in Kauf nimmt, spaltet er das Reich. Nicht zuletzt durch diese Einstellung entschließt sich Fitz zu einem einfachen, wenn auch nahezu unmöglich auführbaren Plan. Er will Edel umbringen, um dadurch vom Königreich zu retten, was zu retten ist. Also macht er sich mit seinem Wolf Nachtauge auf den Weg, um seine Heimat einer besseren Zukunft entgegenzuführen.

Unterdessen werden ihm seine Ausflüge mit der Alten Macht und die Benutzung der Gabe allerdings zum Verhängnis. Denn Edel wird dadurch durch seine Kordinale informiert, dass der Bastard noch lebt und zur Strecke gebracht werden muss. Nunmehr wird er von Edels Häschern im ganzen Lande gejagt. Einziger Lichtblick in dieser trostlosen Zeit, in der es für ihn sehr oft um das blanke Überleben geht, sind die Ausflüge durch die Gabe in die andere Welt zu Veritas. Denn Edel verbreitete Lügen, Veritas lebt noch. Wenngleich Fitz es nicht versteht, erreicht ihn dessen Gabenruf und brandmarkt ihn. „Komm zu mir“, wird der Antrieb all seiner Taten.

Der Weg ist weit, und er ist öfter einfach nur auf der Flucht, muss mit Entbehrungen, Verfolgung und immer neuen Bekanntschaften klarkommen. Als Teenager nicht immer einfach, auch ohne seine besonderen Fähigkeiten oder die unbedingte Mordlust. Immer hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Edel zu töten und seinem wahren König Veritas Folge zu leisten und diesen bei den Uralten zu finden, begibt sich Fitz auf seiner sehr langen Reise durch das Land. Er lernt dabei noch einiges über Nachtauge, sein Brudertier, die Stimmung im Land und auch über seine anderen Freunde. Denn auch seine Molly, die große Liebe seines Lebens, die ihn jedoch mittlerweile für tot hält, nachdem sie im Streit auseinandergingen, taucht immer wieder in seinen Gedanken und Gabenträumen auf. Somit setzt er sie ungewollt einer großen Gefahr aus; umso mehr ein Ansporn, seine beinahe unmögliche Mission, Prinz Veritas zu finden und diesem beizustehen, zu vollenden.

Mit „Der Erbe der Schatten“ hat Robin Hobb einen perfekten (Wieder)Einstieg in die Geschichte um das Geschlecht der Weitseher und ihrer Gabe im Allgemeinen geboten. Im Speziellen vor allem bezüglich des Protagonisten und jüngsten Sprosses, der zudem über die Alte Macht verfügt. Ein erstes Highlight ist gleich die zu Beginn dieses Wälzers stehende notwendige emotionale Auseinandersetzung mit der eigenen Gesamtsituation. Dazu zählen auch die entscheidenden Gespräche mit seinen Freunden Chade und Burrich, welche die Richtung für die Handlung der noch folgenden knapp 900 Seiten vorgeben.

Wer als Leser mit langen Fantasy-Büchern kein Problem hat und für wen es nicht immer nur knallharte Action geben muss, ist hier genau richtig. Im finalen Teil der Trilogie werden alle offenen Handlungsstränge soweit abgeschlossen, dass man als Leser nicht noch mit Fragen zurückbleibt. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg, nicht nur für den Protagonisten. Nach einem sehr schönen Beginn zieht sich die Geschichte etwas, da es zu wiederholenden Selbstreflexionen kommt. Selbstzweifel, Selbstfindung und Selbstüberwindung stehen im Vordergrund, sodass es auch eine Coming-of-Age-Geschichte ist. Also alles wie bisher, jedoch weiterhin auf hohem sprachlichem Niveau. Auch bei dieser vollständig überarbeiteten Neuauflage hat Eva Bauche-Eppers sehr gut gearbeitet und nach dem Lektorat sind keine fünf Wortfehler mehr in diesem echt dicken Roman von knapp 1.200 Seiten. Beeindruckend.

Ob der Roman etwas zu lang geraten ist, ist schwer zu beantworten. Auf der einen Seite werden durch die einführenden Worte pro Kapitel noch mehr Informationen zur Weltenlage, einzelnen Personen oder der Magie der Alten Macht oder der Gabe kundgetan, um sich besser zurechtzufinden. Auf der anderen Seite ist es für den Leser aller drei Teile (und wer würde schon mit dem dritten Band anfangen?) alles bekannt und hat keinen echten Mehrwert. Allerdings wird man allein dadurch aus der Geschichte gerissen und bekommt dann erst mit, wie gut die Geschichte pro Kapitel zu fesseln vermag und man in dieser Welt versinkt. Da freut man sich über jede weitere Seite, durch die man wieder in diese Welt abtauchen kann. Der Chronist meldet sich jeweils zu Wort, wodurch dem Leser wieder einmal klar wird, dass alles gut ausgehen wird. Oder zumindest ein Teil von Fitz irgendwie überlebt.

Die Rahmenhandlung der langen Reise von Fitz bis zu den finalen 300 Seiten ist sehr ausführlich und die Intention der Autorin Robin Hobb. Auch seine Reisebekanntschaften werden gut integriert und die Charaktere in ihrer Vielschichtigkeit als vollständige Individuen dargestellt, die nicht nur Stereotypen verkörpern. Vor allem bei Merle Vogelsang, dem Narren und der Krähe sieht man, wie gut Robin Hobb es bereits seit Beginn ihrer Schriftstellerlaufbahn versteht, Charakteren Leben einzuhauchen. Und dann geht auch nicht zuletzt darum, das Wesen von Fitz allumfassend auszuleuchten, was wiederum mehr als gelungen ist.

Fazit: Mit „Der Erbe der Schatten“ gelang es Robin Hobb, einen würdigen Abschluss der Geschichte um die Jugend von Fitz Chivalric-Weitseher zu verfassen. Durch die mitunter repetitiven Auswüchse wird die zwischenzeitige Euphorie zur Kakophonie und der Leser emotional mitgenommen und unmittelbar am Geschehen beteiligt. Durch die Überraschungen im letzten Drittel wird man mit einem schönen, wenn auch bezüglich der Haupthandlung überraschend knapp geschildertem Ende belohnt und kann nach über 2.600 Seiten zufrieden die Sechs Provinzen verlassen. – Aber wer noch mehr über Fitz und die Sechs Provinzen erfahren will, für den gibt noch weitere Bände, die in naher Zukunft im besten Fall ebenso eine deutsche Neubearbeitung erfahren.

Die Chronik der Weitseher 3: Der Erbe der Schatten
Fantasy-Roman
Robin Hobb
Penhaligon Verlag 2017
ISBN: 978-3-7645-3186-7
1119 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 15,00

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