Die Chronik der Weitseher 2: Der Bruder des Wolfs

Knapp mit dem Leben davongekommen, gelangt der königliche Bastard Fitz Chivalric aus dem Bergreich zurück an den Königshof in Bocksburg. Durch seine Freunde wird er gesundgepflegt und sieht sich fortan noch stärker den Gängelungen von Prinz Edel ausgesetzt. Zudem will Fitz dessen Machtergreifung verhindern. Es kommt zum offenen Konflikt und Fitz muss sich entscheiden: sein Leben, seine Liebe oder sein König.

von Lars Jeske

Für die die Fortsetzung der Roman-Reihe rund um den Jungen Fitz Chivalric schrieb dessen Autorin Robin Hobb gleich ein paar hundert Seite mehr gegenüber dem Eröffnungsroman. Die abermals überarbeitete Neuauflage des zweiten Bandes (das amerikanische Original erschien 1996) geht nun unter dem Titel „Der Bruder des Wolfs“ an den Start. Sinnvollerweise werden am Anfang des Romans die wichtigsten inhaltlichen Geschehnisse kurz zusammengefasst. Dies ist als Wiedereinstieg sinnvoll, oder falls man bisher noch keine Gelegenheit hatte „Die Gabe der Könige“ zu lesen. Wen es jedoch um eine schön geschriebene Geschichte mit einer hervorragend hochwertigen Übersetzung geht, dem sei „Die Gabe der Könige“ wärmstens empfohlen.

Beinahe ohne Pause wird in „Der Bruder des Wolfs“ die begonnene (Lebens)Geschichte fortgesetzt. Der Bastardsohn Fitz Chivalric kommt mehr tot als lebendig zurück nach Bocksburg, um sich anschließend erneut der Sticheleien Prinz Edels erwehren zu müssen. Eines Tages befreit er den Wolf Nachtauge aus dessen Knechtschaft und verbrüdert sich mit ihm. Das ist insofern von Bedeutung, als dass Fitz durch die Gabe der Weitseher und der Alten Macht eine ganz spezielle Bindung zu ihm aufbauen kann. Wie alle, die die verbotene Alte Macht benutzen können, sind beide in der Lage, gegenseitig per Gedankenübertragung mit einander zu kommunizieren. Ähnlich funktioniert zwar auch die Gabe, jedoch ausschließlich zwischen Menschen. Somit hat Fitz nach einigem Hin und Her eine neue Art von Freund gefunden, der ihm so manche einsame Stunde vergessen lässt. Dies ist selbstverständlich ein weiteres Geheimnis, welches er zu hüten hat.

Allerdings wird er durch den häufigen Gebrauch dieses Gedankenaustauschs auch intensiv mit der animalischen Seite seiner selbst konfrontiert und droht in das tierische Dasein abzudriften. Im täglichen Leben versucht er mit seiner großen Liebe Molly zu koexistieren, wenngleich sie sein Schwachpunkt wäre. Prinz Edel nutzt bekanntermaßen jede Möglichkeit, seine Gegner mundtot oder gefügig zu machen. Denn nach allem sind sich beide noch immer spinnefeind. Fitz, mittlerweile ein Halbwüchsiger, hat immer weitere Indizien dafür, dass Edel sogar den Tod des eigenen Vaters König Listenreich plant, um endlich dessen Position einnehmen zu können. Günstig dafür ist der angeschlagene Gesundheitszustand des alten Königs. Ihm geht es von Tag zu Tag schlechter und er wird immer unpässlicher und unempfänglicher für die Gefahren, die sein Reich und sein eigenes Leben bedrohen. Zusammen mit der mittlerweile schwangeren Prinzessin Kettricken, dem Narren, Chade und Burrich heckt Fitz schlussendlich einen waghalsigen Plan aus, um Edels Pläne doch noch durchkreuzen zu können …

Mittlerweile ist dem Leser der Reihe das Ensemble der handelnden Personen vertraut und man kann diese auch besser einschätzen. Wie bislang verfolgt man alle Geschehnisse an der Seite von Fitz Chivalric, lässt sich eben jedoch nicht mehr von allen Aktionen und Interaktionen überraschen, was der inhaltlichen Logik zu Gute kommt. Das Lob dafür gebührt natürlich der Autorin, da diese es sehr gut versteht, die Charaktere so zu beschreiben, dass man sich in Bocksburg bereits heimisch fühlt. (Ob man in so einer Welt leben wollen würde, steht auf einem anderen Blatt. Fitz kann es sich jedenfalls nicht aussuchen, für den Leser ist es nur ein Buch, welchem man sich jedoch schwer entziehen kann.)

Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso schwerwiegender und auch weitreichender werden die Entscheidungen, die Fitz zu treffen hat. Das gilt auch für die Ereignisse, die er durch seine Taten (oder Untätigkeit) ausgelöst werden. Wie auch beinahe jeder andere auf der Welt hat er nur einen gewissen Einblick in alle Vorgänge und die zu erwartenden Konsequenzen. Zudem will er sich als Heranwachsender mit eigenem Willen und Sturkopf wie jeder Teenager positionieren und agiert dadurch mitunter unüberlegt, impulsiv oder hormongesteuert. Anderes kann man von ihm nicht erwarten, jedoch ist er dadurch umso leichter ein Ziel für seine Gegenspieler am Hof. Wenngleich er mittlerweile Beweise hat, dass der Königssohn Edel hinter dem Anschlag im Bergreich steckt und nun auch den Thron der Sechs Provinzen an sich reißen will, verschließt dessen Vater davor die Augen. Fitz hingegen ist durch seinen Schwur an den König und zur Lehenstreue verpflichtet. Der König ringt ihm dadurch sogar das Versprechen ab, nicht gegen Edel vorzugehen; trotz der Beweislage und der drohenden Gefahr. Dadurch hätte er genügend Zeit für Molly, Burrich, den Unterricht bei Chade und um Informationen über die Alten zusammenzutragen. Oder sich weiter mit den Entfremdeten zu beschäftigen und Strategien gegen die roten Schiffe zu entwickeln, Prinz Veritas zu helfen oder seine Position am Hofe auszubauen.

Fazit:
Robin Hobb gelingt es in „Der Bruder des Wolfs“ die Lebensgeschichte von Fitz glaubhaft weiterzuerzählen. Mit knapp 900 Seiten ist die Fortsetzung wahrlich kein Leichtgewicht, doch der Leser wird eindeutig belohnt. Durch die Vorgeschichte weiß man um die Gegebenheiten und je weiter die Geschehnisse voranschreiten, desto bedrohlicher und auswegloser wird die Situation für diejenigen, die Edel ein Dorn im Auge sind. Die Geschichte bleibt unaufgeregt spannend und ist trotz der vielen Nebenkriegsschauplätze sehr logisch aufgebaut und nachvollziehbar, ohne sich zu verzetteln. Erneut rundum gelungen und zurecht mit einer überarbeiteten Neuauflage versehen.

Die Chronik der Weitseher 2: Der Bruder des Wolfs
Fantasy-Roman
Robin Hobb
Penhaligon Verlag 2017
ISBN: 978-3-7645-3184-3
890 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 15,00

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