Descent – Legenden der Finsternis

Terrinoth schwebt in Gefahr. Die Uthuk-Y'llan, eine Horde von Dämonen korrumpierter Barbaren, zieht plündernd durch das Land, und in den Nebellanden haben sich die untoten Vasallen von Waiquar, dem Unsterblichen, erhoben und erstmals seit Menschengedenken die Grenzen ihres Reichs überschritten. Der Rat der Barone ist wie gelähmt und weiß nicht, wie er auf diese Bedrohungen reagieren soll. In der Baronie Forthyn, im hohen Norden, wird das nächste Kapitel der Schlacht zwischen Terrinoth und den Mächten der Finsternis geschrieben.

von Bernd Perplies

So beginnt das große Abenteuer eines der meisterwarteten Genre-Brettspiele des Jahren 2021 (außerhalb von Kickstarter zumindest). Auch ich gehörte zu den Neugierigen, verbindet mich doch eine besondere Liebe mit „Descent“. Ziemlich genau 16 Jahre ist es her, dass mir der Paketbote die gewichtige und seinerzeit unfassbar groß empfundene Spiel-Box von „Descent: Journeys in the Dark“ von Fantasy Flight Games auf die Füße fallen ließ. Die daraufhin nötige Schonzeit wurde ausgiebig genutzt, um in zahlreiche Dungeons hinabzusteigen und mit schrägen Helden wie dem durchgeknallten Zauberer „Mad Marthos“ oder dem Ramm-Bock „Steelhorns“ Skelette, Riesen und sogar einen Drachen zu bezwingen. Das Spiel hatte seine Macken – die Spieldauer war ausufernd, das Regelwerk mitunter kleinteilig und nicht optimal strukturiert und das Balancing für mehr oder weniger Helden etwas unfair –, aber für mich war das Spiel eine echte Offenbarung, denn auch wenn kurz vorher bereits Spiele wie „DOOM – The Boardgame“ oder „Runebound“ erschienen waren, bedeuteten Brettspiele für mich als langjährigen Abstinenzler vor allem so etwas wie „Die Siedler von Catan“ oder „Monopoly“ (in meinen Augen kein sehr erstrebenswerter Zeitvertreib).

Was haben sich die Zeiten seitdem geändert! Mittlerweile sind meine Regale gut mit „Dungeon Crawlern“ und „Abenteuerspielen“ gefüllt. Nicht zuletzt die Crowdfunding-Plattform Kickstarter hat hier noch einmal vieles verändert, als sie vor ein paar Jahren mit schwergewichtigen, massiv teuren Brettspielen richtig durchstartete. Insofern hat es die dritte Inkarnation von „Descent“ diesmal durchaus schwerer, denn sie muss mit ihrem Spielkonzept in einem Umfeld bestehen, in dem schon ganz viel dagewesen ist. Und sie muss auch vom Spielmaterial her einiges aufbieten, um bei einem Handelspreis von 159,99 EUR die Spielenden von heute zu überzeugen.

What’s in the Box?

Die hübsch verzierte, blaue Box misst etwa 30x30x26 cm und ist damit gut dreimal so groß wie die typische Standard-Brettspielbox. Damit macht sie schon einiges her, wenn man sie nicht direkt neben Kickstarter-Schwergewichte wie „Solomon Kane“, „Time of Legends – Joan of Arc“ oder das Ungetüm „Assassin's Creed – Brotherhood of Venice“ stellt. Der Innenraum ist interessant genutzt. So ist die Box zweiteilig, die obere wird auf die untere aufgesetzt. Wenn man sie erhält, ist der untere Raum so gut wie leer, was nach Mogelpackung aussieht. Aber hat man erst das ganze 3D-Papp-Material zusammengebaut, braucht man den Platz tatsächlich dringend. Oben werden unterdessen die Miniaturen, Karten und Spielmarker aufbewahrt. Leider gibt es zumindest für letztere kein ordentliches Inlay, ein Problem, das FFG offenbar seit Jahren nicht willens ist, zu lösen. Hier muss man sich mit Ziplock-Beuteln und der kleinen Sortierkiste aus dem Baumarkt behelfen. Oder knappe 60 Euro für die Edel-Einlage von Feldherr hinlegen, die wirklich jedem Teil seinen festen Platz bietet.



Das Spielmaterial ist FFG-typisch von hoher Qualität. Die modularen Papp-Spielplanteilen zeigen keine Neigung zum Verziehen, die Spielkarten sind nett illustriert, die Spielmarker gut zu unterscheiden. Ein echter Hingucker sind die Miniaturen, die aus festem Plastik bestehen (da biegt sich keine Schwertspitze). Sowohl die sechs Helden als auch ihre Gegner – tobende Fanatiker, wilde Wölfe, flinke Banditen und psychedelisch interpretierte Feenwesen, um nur ein paar zu nennen – sind fantastisch detailliert und gewiss eine Freude für jeden, der gern Figuren bemalt. Durch das sehr harte Plastik haben sie aber auch ein paar gemeine Spitzen, die gern in unbedachte Finger piken.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist die ganze Optik, wobei vor allem das Charakterdesign hervorsticht. Der Comic-Stil der Figuren dürfte nicht jedermanns Sache sein. So gehört der hagere Elf Galaden zweifellos zu den hässlichsten Vertreter seiner Spezies. Und der Helm der Kriegerin Brynn dürfte als das überladenste Stück Rüstzeug überhaupt in die Geschichte mittelalterlicher Fantasy-Gewandungen eingehen. Es kommt einem Wunder gleich, dass sie sich nicht beim Kopfschütteln das Genick bricht. Expressiv würde ich den Stil nennen, mit spürbar eigener Note. Schön finde ich persönlich ihn eher nicht.

Das Regelwerk zählt mit 32 Seiten eher zu der kurzen Sorte, zumindest für ein FFG-Spiel – zumal es sehr luftig im Layout ist, reich bebildert und einige Beispiele enthält. Das liegt zum einen daran, dass das Spielprinzip nicht sehr kompliziert ist. (Dazu kommen wir gleich.) Und zum anderen daran, dass etliche Regeln gar nicht mehr ausgesprochen werden, sondern von der zwingend nötigen Begleit-App gemanagt werden.



Der digitale Dungeon-Crawl

Damit kommen wir zu einem extrem wichtigen Merkmal der neuen „Descent“-Inkarnation: der App. Die App ist allgegenwärtig im Spiel. Sie bietet Missionen an, deckt den Spielplan auf, erzählt die Geschichte, lässt Gegner und Schätze erscheinen und steuert Spezialfähigkeiten, etwa von aufgewerteten Waffen. Sie führt Buch über die erbeuteten Goldstücke und Rohstoffe und bietet zwischen Abenteuern eine Stadtphase an, in der man die Rohstoffe verkaufen oder zum Bau von Waffenaufwertungen nutzen kann. Das ist auf der einen Seite super, denn es erspart eine Menge Papierkram und Rechnerei. Früher hätte man beispielsweise Waffenaufwertungen vermutlich als Karten erworben, die man an die Waffenkarten unten anlegt. Die Fülle an möglichen Effekten wäre dann irgendwann einfach unübersichtlich geworden. Das passiert hier nicht mehr. Auf der anderen Seite fühlt sich „Descent“ grenzwertig wie ein Videospiel an, dem bloß zur Visualisierung noch ein paar Miniaturen und Geländeteile beigelegt wurden. Das muss man mögen, sonst ist man hier völlig falsch. Außerdem sollte man besser einen Laptop zur Verfügung haben, denn auf einem Smartphone wirkt alles Dargebotene doch sehr klein.

Zwei Sachen an der App stören mich. Zum einen kann man keine Speicherslots festlegen. Wenn man eine Kampagne gestartet hat, wird immer über dieselbe Stelle gespeichert. Ja, es gibt Speicherpunkte. Die kann man auch abrufen. Aber sie beziehen sich immer nur auf die letzten paar Minuten einer Partie, das heißt, man kann damit gegebenenfalls kapitale Fehler im Spielverlauf einer Mission rückgängig machen. Man kann aber nicht beispielsweise eine angefangene Kampagne splitten (falls man solo weiterspielen möchte, ohne aber der Gruppe die Option zu nehmen, später am gemeinsamen Schlusspunkt wieder einzusteigen). Diese Funktion wäre hübsch. So besteht die einzige Möglichkeit darin, für jede Gruppe eine neue Kampagne zu starten, auch wenn das heißt, dass man unter Umständen die Anfangsmissionen mehrfach spielen muss.

Ebenfalls fehlt der App leider eine Art „Chronik“ oder ein „Was bisher geschah“. Die Geschichte des Spiels ist zwar in groben Zügen einfach gehalten, aber fügt man die persönlichen Charaktergeschichten hinzu, wird es schon komplizierter und man kann nach 2 Wochen Spielpause leicht vergessen, worum es genau ging. Hier wäre es nett, wenn in einem Update eine Funktion hinzugefügt würde, die nach jeder erfolgreichen Mission und jedem Erzählteil einen 3- bis 5-Zeiler an Text freischaltet, der einer Chronik der Kampagne hinzugefügt wird. So könnte man vor einer weiteren Partie oder auch mal zwischendurch reinschauen, was die Helden bisher erreicht haben (oder nicht, falls eine Mission gescheitert ist).



Das Gute an der App ist jedoch: Mängel können ausgemerzt werden, ohne dass ärgerliche Errata-Dokumente für Szenarios nötig wären. Einfach Update einspielen und schon ist eine neue Funktion freigeschaltet, ist der Schwierigkeitsgrad einer Mission angepasst oder ein neues Abenteuer hochgeladen. Das ist echt praktisch – für Macher wie Spieler gleichermaßen.

Wie spielt sich das Ganze?

Trotz aller digitaler Gimmicks ist „Descent – Legenden der Finsternis“ im Kern ein Dungeon Crawler mit Zwangskampagne. Einzelne Abenteuer lassen sich nicht auswählen, auch wenn man sie bereits gespielt hat. Man startet (ab Mission 2 zumindest) immer in der Stadt Frostgate. Von dort kann man meist zwei bis drei mögliche Missionen auf der Landkarte der Baronie Forthyn auswählen. Oft wird hierbei ein Held vorgegeben, der mit von der Partie sein muss. Ansonsten ist man frei, 1 bis 3 Gefährten hinzuzuwählen. Anfangs stehen die Kriegerprinzessin Brynn, der Zauberer Syrus, der Halbdrachen-Freigeist Vaerix und der Elfen-Jäger Galaden zur Verfügung. Nach 2 Missionen kommen zudem das katzenartige Schlitzohr Fortunis und die Zwergen-Erfinderin Kehli dazu. Jeder Held hat seine eigenen Waffen, Spezialfertigkeiten und Fähigkeiten, aber unterm Strich funktionieren sie alle, um Abenteuer zu bestehen.

Nachdem die Helden ausgerüstet wurden, wird die Mission gestartet. Ein Stimmungstext dient der Einleitung, danach deckt die App erste Spielplanteile auf, setzt Geländeteile drauf und Erkundungs- oder Sichtungsmarker. Das 3D-Gelände ist reiner Luxus. Für das Spiel wäre es nicht nötig gewesen, aber es sieht natürlich hübsch aus, wenn man Wälder mit einzelnen Bäumen und einem Brunnen und Verliese mit Gittertoren, Schatztruhen und Bücherregalen zum Leben erwecken kann. Alle Gegenstände haben dabei Funktionen, die man durch interagieren erfahren kann. So kann man Früchte an Bäumen pflücken, Tore aufbrechen, Schatztruhen plündern, Bücherregale durchsuchen und mehr.



Gespielt wird in Runden, die in eine Heldenphase und eine Finsternisphase unterteilt sind. Während der Heldenphase erhält jeder Held Bewegungspunkte in Höhe seines Bewegungswertes (Manöveraktion). Dazu darf er zwei weitere Aktionen durchführen: Angriff, Erkundung, Bereitschaft oder Spezial.

Mit einem „Angriff“ – klar – geht man auf Feinde los, die von der App platziert worden sind. Reichweite und Sichtlinie wollen überprüft werden, dann wirft man den farbigen Spezialwürfel, der auf der Heldenkarte angegeben ist. Dieser zeigt entweder Erfolge, Vorteile (die man durch Erschöpfung in Erfolge umwandeln kann) oder Energie (Blitze), die Spezialfähigkeiten auslösen. Das kennt man bereits  aus früheren „Descent“-Versionen. Die Summe an Erfolgen wird einfach in der App eingegeben, die multipliziert dann die Treffer mit dem Schaden der jeweiligen Waffe, verrechnet Panzerung und berücksichtigt Aufwertungen sowie Schwächen der Feinde gegenüber bestimmten Waffenarten. So kann ein Angriff mit 3 Erfolgen ebenso leicht 3 Schaden erzeugen wie 15. Alles eine Frage von Glück und geschickter Kombination von Effekten. Es gibt 4 Schwierigkeitsstufen in „Descent“; in der Normalstufe haben Gegner oft 20-30 Lebenspunkte.

Will man „erkunden“, zieht man das Heldenporträt in der App auf den entsprechenden Marker oder das 3D-Gelände. Dann erhält man eine Auswahl, was man tun kann. Oft sind Aktionen mit Proben verbunden. Beispielsweise muss eine Schatztruhe durch eine Intelligenzprobe geknackt werden. Vier Attribute besitzen die Helden: Stärke, Gewandtheit, Intelligenz und Wille. Die Modifikatoren reichen dabei von -1 bis +2 Erfolgen auf den Würfelwurf. Dieser wird mit 2 schwarzen Spezialwürfeln ausgeführt, die besonders viele Erfolge aufweisen. Manchmal weiß man, welches Ergebnis man erzielen muss (etwa 7 Erfolge), manchmal ist das auch geheim und es braucht mehrere Aktionen, um die nötige Erfolgsmenge zusammenzubekommen (zum Beispiel beim Aufbrechen eines Tors).

Die Aktion „Bereitschaft“ zollt einem zentralen Spielmechanismus Tribut. Denn bei „Descent“ sind alle relevanten Karten (Heldenkarten, Angriffskarten, Fähigkeitenkarten) doppelseitig bedruckt. Sie immer wieder in sinnvollen Momenten umzudrehen, ist ein wesentlicher Teil der Spieltaktik. Mit dem Umdrehen kann man nicht nur die Kartentexte der Rückseite verfügbar machen, man entfernt auch alle Spielmarker – wie Erschöpfung oder negative Zustände –, die sich während der Runden recht schnell auf den Karten sammeln. Natürlich ist „Bereitschaft“ eine dieser Aktionen, für die man in der Hitze des Gefechts selten eine Aktion übrig hat. Zum Glück gibt es hierfür auch eine Markerart, die einem erlaubt, Karten kostenlos zu drehen.

Die „Spezial“-Aktion bezieht sich einfach auf alle Kartenfähigkeiten, die ein Aktionssymbol aufweisen. Das kann ein besonders mächtiger Angriff sein, ein Zuteilen positiver Marker, Heilung von Wunden oder Erschöpfung und mehr.



Nachdem alle Helden agiert haben, werden in der Finsternisphase erst ein paar Effekte ausgelöst, dann kommen die Gegner zum Zug. Die App steuert ihr Angriffsziel und wie weit sie sich bewegen. Außerdem wird der angerichtete Schaden angegeben, gegen den Spieler mit dem Verteidigungswürfel ihres Helden würfeln. Erlittener Schaden wird vom Lebensrad abgezogen. Ist man bei null, wird der Held verwundet. Hierbei gibt es leichte und schwere Wunden, die als Karten mit negativem Spieleffekt zugeteilt werden. Ausgeschieden ist man erst, wenn man auf eine schwere Wunde eine weitere Wunde erleidet. Das gibt durchaus Spielraum, allerdings ist die Partie bereits beim ersten ausgeschiedenen Helden verloren, wie so oft bei kooperativen Spielen.

Wann genau man gewonnen hat, lässt sich derweil nicht so leicht abschätzen. Da sich eine Mission erst nach und nach entwickelt und Aufgaben für die Helden durchaus wechseln, weiß man erst, dass es vorbei ist, wenn die App einem sagt, dass es vorbei ist. Allerdings zeigt die App die Grenzen des Spielfelds an, was ein Hinweis ist, wie weit man noch vom Ziel entfernt ist. In der Regel dauert eine Mission etwa zwei Stunden.

Empfehlung oder nicht?

Man muss ein paar Einstiegshürden überwinden, wenn man „Descent“ spielt. Das Charakterdesign reißt nicht so recht mit, die App will installiert und akzeptiert werden und außerdem beginnt das Ganze auch noch recht schwatzhaft, sodass man sich fragt, wann es denn endlich losgeht. (Zumal die Präsentation der Erzählsequenzen eher statisch und überwiegend ohne Vertonung abläuft.)

Nach den ersten Zügen über das modulare Gelände entwickelt das Spiel jedoch mehr und mehr einen beachtlichen Sog. Obwohl die 3D-Elemente auf dem Tisch für einen etwas fragilen Spielplan sorgen, sehen sie einfach gut aus und unterstützen die Atmosphäre vortrefflich. Man zieht gern von Kartenteil zu Kartenteil weiter, immer neugierig, was hinter der nächsten Ecke lauern mag. Toll ist dabei, dass die Teile mitunter durchaus kreativ genutzt werden. Da bricht zum Beispiel ein auf Stützen aufgestellter Raum zusammen und endet auf einem Kartenteil voller Stacheln. Lichtungen in einem dichten Wald sind frei übers Spielfeld verstreut und können nur via Sichtungsmarker betreten und verlassen werden. Feuer breitet sich aus, indem Spielplanteile entfernt werden und darunter Lava-Unterlagen zum Vorschein kommen. Und eine Traumebene wird durchwandert, indem ein zweiter Spielplan neben dem ersten parallel verläuft.



Dazu kommt eine Handlung, die nun keine Preise für Innovation gewinnen mag, aber trotzdem gut unterhält. Geschickt werden dabei in jedem Abenteuer genug neue Fragen aufgeworfen, dass man zum Erlangen der Antworten am liebsten sofort weiterspielen will. Schön ist auch, dass den Charaktere vergleichsweise viel eigene Story gewidmet wird. Sie sind mehr als nur eine Illustration und ein Haufen Werte. So hadert die Zwergin Kehli etwa mit den Traditionen der Zwerge. Der taube Elf Galaden sucht einen Dämon, der seine Sippe ausgelöscht hat. Und der Dieb Fortunis möchte mehr sein als der Verbrecher, zu dem man ihn in jungen Jahren geformt hat. Das sind interessante kleine Lebensgeschichten, die auch zwischen den Missionen in Erzählmomenten weitergetrieben werden.

Zuletzt ist das Crafting System, so sehr es an Videospiele erinnern mag, irgendwie schon reizvoll. Schatzkisten knacken und Regale plündern übt gleich doppelten Reiz aus, wenn man dabei nicht nur Gold, sondern Rezepte und Rohstoffe (mit teils echt absurden Namen – fünf Krempel von altem Leder –, was haben die Macher nur geraucht?) finden kann. Die dann zu taktisch möglichst sinnvollen und sich ergänzenden Waffenaufwertungen zu schmieden, ist eine kleine Wissenschaft für sich und braucht zwischen den Missionen durchaus Zeit. Aber gut gewählte Ausrüstung macht durchaus ihren Unterschied – ebenso wie die Reihenfolge, mit der man Gegner bekämpft, aber das ist eine andere Geschichte.

Fazit: „Descent – Legenden der Finsternis“ ist relativ kostspielig. Es braucht zwingend eine App, die auch sehr das Spielgeschehen beherrscht. Und das 3D-Gelände sowie der nur zusammengelegte, nicht gesteckte, Spielplan sorgen für eine etwas fragile Umgebung, die häufiger mal zurechtgerückt werden muss. Wer sich damit arrangieren kann, der bekommt mit diesem Spiel einen wirklich eindrucksvollen Dungeon Crawler, dem es geschickt gelingt, fitzelige Management-Aspekte wie das Craften und Kampfsonderfähigkeiten in die App zu verlagern, ohne dabei die Action vom Spieltisch zu nehmen. Die Haupthandlung ist unterhaltsam und die Figuren erfreulich divers und mit eigener Geschichte. Dadurch, dass dieser Teil komplett im virtuellen Raum stattfindet, können die Macher Missionen und Abenteuer auch nach Belieben ergänzen. Vielleicht gibt es ja irgendwann mal mehr als bloß die Hauptkampagne (für das ähnlich geartete „Villen des Wahnsinns“ ließ sich zusätzlicher Download Content erwerben). Obwohl es auf dem Gebiet der missionsbasierten Abenteuerspiele heutzutage nicht wenig Konkurrenz am Markt gibt, ist FFG unterm Strich das Kunststück gelungen, sich erneut als Vorreiter zu erweisen und – gerade in Sachen App-Integration – noch eine Schippe draufzulegen. Unterm Strich kann ich „Descent – Legenden der Finsternis“ jedem empfehlen, der Dungeon-Crawler-Kampagnen mag. (Auch wenn man nicht schon seit vielen Jahren Fan der Produktlinie ist.)

P.S.: Die Alterseinstufung von 14 Jahren halte ich übrigens für übertrieben. Ein erwachsener Mitspieler vorausgesetzt, haben selbst 10-Jährige kaum ein Problem mit dem Spielprinzip. Und so brutal ist das erzählte Abenteuer nicht, auch wenn Dämonen und versuchte Blutopferrituale darin vorkommen.

Noch ein P.S.: Die Spieldauer von 3 bis 4 Stunden, die auf die Box aufgedruckt ist, ist absolut irreführen. Gemeint ist vermutlich „pro Partie“, denn inklusive Auf- und Abbau sowie der Stadtphase kann eine Mission schon 3 bis 4 Stunden dauern. Die ganze Kampagne benötigt jedoch eher das 10- bis 20-fache, je nach Zielstrebigkeit der Spielgruppe.

Descent – Legenden der Finsternis
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Kara Centrell-Dunk, Nathan Hajek u. a.
Fantasy Flight Games/Asmodee 2021
EAN: 4015566029842
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 159,99

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