Descent – Legenden der Finsternis – Akt II: Der Krieg des Verräters (Erweiterung)

Seit 2005 gibt es bereits die Dungeon-Crawler-Reihe „Descent“ von Fantasy Flight Games. Im Herbst 2021 legte FFG dann die wegweisende 3. Edition vor, „Legenden der Finsternis“, eine große Box mit tollen Figuren, 3D-Gelände und umfangreicher App-Integration. Dabei war von Anfang an klar, dass das erzählte Abenteuer zu groß für nur ein Spiel sein würde. „Akt I“ hieß es entsprechend auf der Spielschachtel. Seit Herbst 2023 ist nun auch „Akt II“ erhältlich. Wir haben erneut die Schwerter geschärft und uns in die Finsternis gewagt ...

von Bernd Perplies

Die letzte Schlacht des ersten Aktes ist geschlagen, der Oberboss Xenith, eigentlich nur ein besserer Feldherr der Drachenfürstin Levirax, ist nach einem sehr zähen Kampf besiegt (und ich meine damit wirklich zäh; wir haben am Ende geschummelt, weil wir selbst auf einfacher Stufe kein Land sahen und nur noch fertig werden wollten – und wenn man sich im Internet umschaut, waren wir damit nicht die einzigen). Geholfen hat das nur wenig. Die Baronie Forthyn ist trotzdem gefallen, und die Drachen sind auf dem Vormarsch. Einzig die untoten Horden Waiqars des Unsterblichen – eigentlich ein Feind der Reiche, aber nun doch widerwillig als Verbündeter anerkannt – stellen sich der Armee von Levirax noch erfolgreich entgegen. Zugleich rappeln sich auch die besiegt geglaubten Barbaren der Uthuk Y’llan wieder auf. Es sieht düster aus für Terrinoth. Vermag unsere kleine Schar aus Unerschrockenen – Baronin Brynn, Galaden, der Elfen-Waldläufer, Vaerix, der Halbdrachen-Mystiker, Fortunis, der Hyrrlux-Dieb, Kehli, die Zwergen-Tüftlerin, und Syrus, der Feuer-Zauberer – die Welt zu retten? Eine gute Frage …

What’s in the Box?

Die violett gehaltene Spielschachtel der „Akt II“-Erweiterung hat etwa zwei Drittel der Größe der Grundbox, kommt also etwas kleiner daher. Das spiegelt sich auch im Inhalt wieder. Nur 3 (statt 18) Spielplanteile, nur 26 (statt 40) Miniaturen, nur 34 (statt 47) Geländeteile und auch deutlich weniger Karten und Spielmarker findet man – neben einer kurzen Spielanleitung und einer Bauanleitung – im Inneren. Wer jetzt ein wenig enttäuscht ist, darf jedoch eins nicht vergessen: Dies ist nur eine Erweiterung. Alles Material aus der Grundbox wird natürlich weiter genutzt, sodass die Fülle an Material und Optionen auf dem Spieltisch und innerhalb der Szenarien trotzdem merklich zugenommen hat. Das zeigt sich gleich im ersten Szenario – aber dazu gleich mehr.

Die Spielplanteile kann man vernachlässigen. Dabei handelt es sich bloß um drei kleine Verbindungsstücke. Unter den Geländeteilen entdeckt man schon Interessanteres, etwa einen kleinen Schrein, Leitern, eine an einem Steinbogen aufgehängte Glocke, eine Brücke, einen Karren und eine riesige, halb zerborstene Steinstatue, die sogar erklettert werden kann. Auch ein paar Lagerfeuer fallen ins Auge. Das sind schöne neue Elemente, die nicht nur gut aussehen, sondern – gerade mit der Brücke und den Leitern – neue Möglichkeiten der Spielplangestaltung eröffnen.

Die Miniaturen schließlich sorgen einmal mehr für große Augen. Vor allem die riesige Drachenfigur, die viel Platz in der Schachtel einnimmt, ist ein echter Hingucker. Darüber hinaus findet man vierbeinige Panzerechsen, glockenschwingende Drachenpriester, Vampire, Ritter, untote Axtkrieger und gehörnte Bogenschützinnen. Interessanterweise erhalten auch die sechs bekannten Helden neue Inkarnationen, die ihre weiterentwickelte Persönlichkeit widerspiegeln. Dazu passend gibt es auch sechs neue Heldentafeln mit einer neuen Optik, die mir deutlich besser gefällt als die aus dem Grundspiel, weil sie mit nicht ganz so groben Gesichtszügen arbeitet.

Über die Qualität muss kaum ein Wort verloren werden. Alles entspricht exakt dem Grundspiel. Die Miniaturen sind knackscharf (und gelegentlich schmerzhaft spitz) gegossen und extrem detailliert, ein wahres Fest für malfreudige Naturen. Die Spielplanteile und Geländeteile sind hinreichend robust, alle Karten mit hübschen kleinen Zeichnungen versehen. Das alles macht auf dem Tisch ordentlich was her.

Neue Regeln

Im Wesentlichen funktioniert „Decent – Legenden der Finsternis“ auch mit der Erweiterung noch genauso wie das Grundspiel zuvor. Mithilfe der App wird die Kampagne vorangetrieben, Szenarios werden sukzessive mit Spielplan- und Geländeteilen entwickelt und man bewegt sich mit seinen Figuren rundenweise über die Felder, um mit Gegenständen zu interagieren oder Gegner zu bekämpfen, während man wechselnde Missionsziele verfolgt. Dazwischen liegen Stadtphasen, in denen Beute verkauft, Ausrüstung verbessert und die Charaktere ausgestattet werden können.

Hinzugekommen sind vor allem eine Menge Kleinigkeiten, die in Form eines praktischen, alphabetisch sortierten Regel-Ergänzungsteils auf 5 Seiten präsentiert werden. Auffällig ist dabei, dass nicht wenige Regeln speziell einem Charakter zugeordnet sind. So bekommt der Zauberer Syrus endlich seine Phönix-Begleiterin Indris, die sich eigenständig übers Spielfeld bewegen kann. Kehli vermag nun Maschinen zu konstruieren, sie auf dem Spielfeld zu platzieren und sie sogar zu stapeln (wodurch sie effektiver werden). Fortunis bekommt einen eigenständig bewegbaren Umbra-Marker (Schatten), mit dem er einige Tricks durchziehen kann, etwa die Position wechseln. Und bei Brynn taucht das Schlüsselwort „Kampfstil“ auf, das ihr besondere Effekte erlaubt, wenn sie mit einem bestimmten Kampfstil – etwa „Wucht“ oder „Hieb“ – angreift.

Zum Zweiten werden durch einige Geländeteile neue Regeln eingeführt. Mit Leitern kann man für 2 Bewegungspunkte Höhenunterschiede überwinden. Feuer sorgt für Vorteile im Kampf (Extraschaden), kann aber auch Nachteile haben, die von der App festgelegt werden. Große Geländeteile gelten jetzt als blockierendes Gelände, die auch die Sichtlinie stören. Und „Die Statue“ kann über drei Felder erklommen werden – sofern es die App erlaubt.

Zuletzt kommen ein paar neue Zustände hinzu. So können Helden von nun an „belastet“ werden und müssen dann einen Erschöpfungsmarker platzieren, bevor sie Zustände von Karten ablegen können. Gegner können „geblendet“ werden, was zu einer veränderten Aktion bei ihrer nächsten Aktivierung führt. Im Gegenzug gesellen sich zu den Schwächen der Gegner Resistenzen, die den Schaden bestimmter Waffenarten reduzieren. Und schließlich können sich Helden „verbergen“, um zu verhindern, dass sie ein aktivierter Gegner als Ziel auswählen kann. Dafür können diese dann aber auch ungehindert die sich verbergenden Helden passieren – sie werden also nicht aufgehalten.

Nicht alle Regeln hätte es meines Erachtens gebraucht. Manches, wie „geblendet“ oder „belastet“, macht das Spiel nur komplizierter. Aber gerade die Optionen, die zur Individualisierung der Charaktere beitragen, sind natürlich sehr willkommen. Die Resistenzen sorgen dafür, dass man noch genauer hinschauen muss, mit welcher Waffe man wen angreift. Und die Möglichkeit, sich zu „verbergen“ ist eine nette Option, um geschwächte Kameraden kurzzeitig aus der Schusslinie zu nehmen.

Der zweite Akt des Dramas

Zu Beginn des Spiels muss man sich entscheiden: Beginnt man ein neues Abenteuer oder setzt man das alte einfach fort. Setzt man es fort, ist man natürlich bereits super ausgestattet, kein Vergleich mit den ersten Schritten in Terrinoth im Grundspiel. Fängt man neu an, erhält man eine „Was bisher geschah“-Zusammenfassung (und danach ebenfalls eine mehr als solide Menge an Ausrüstung von Seiten des Spiels), sodass man nicht völlig unvorbereitet in die doch zunehmend komplexe und gefährliche Welt hineinstolpert. Doch auch wenn man weiterspielt, beginnt das Ganze mit einer umfangreicheren Zwischensequenz. Die Baronie Forthyn ist gefallen. Die Helden begleiten einen Flüchtlingstreck zur Zitadelle von Archaut, die als festes Bollwerk gilt und sicherer Hafen für Notleidende.

Doch der Feind ist dicht hinter ihnen, und auch Waiquars Untote können nicht verhindern, dass es direkt wieder zu Kampfhandlungen kommt. Inmitten des Chaos in der Zitadelle versucht jemand, ein seltenes Buch zu stehlen. Diesen Raub gilt es zunächst zu verhindern, danach müssen die Eindringlinge zurückgeschlagen werden. Und das war nur der Prolog (der übrigens auf einem ausufernd großen Spielfeld erzählt wird; hier merkt man direkt, dass die Macher zeigen wollten, wie sich „Descent“ mit zwei Boxen voll Material anfühlt). In einer zweiten längeren Sequenz wird geklärt, dass Archaut alleine nicht bestehen kann. Auch das Untotenheer reicht nicht aus, um Levirax und ihre Drachenkrieger zu stoppen. Gebraucht wird ein großes Bündnis aller wichtigen Fraktionen von Terrinoth. Derer gibt es sechs: die Loyalisten (die an Waiquars Seite kämpfen), die Rebellenbarone (die sich von dem einstigen Verräter abgewandt haben), die Zwerge, die Waldläufer, die Freien Städte und die Wildlinge. Sie alle muss man überzeugen, in den Krieg einzutreten.

Hierzu wird in der Stadtphase eine neue Übersicht eingefügt, die zeigt, wie sehr die Fraktionen den Helden als Bindeglied von allem zugetan sind. Durch Missionen – vor allem natürlich erfolgreiche – lassen sich hier Punkte gutmachen. Mit genug gutem Willen kann man die Kämpfer dann auf seine Seite ziehen. Das beschäftigt die Helden eine ganze Weile und in einer ganzen Reihe sehr unterschiedlicher Missionen. So muss beispielsweise ein Attentäter aufgehalten werden. Dann wieder gilt es, ein terrorisiertes Dorf zu befreien. Oder der Zwist zwischen Loyalisten und Rebellen muss beilegt werden. Dabei verläuft natürlich keine Mission am Ende ganz so, wie man es sich gedacht hat. Mit Überraschungen muss man hier jederzeit rechnen. Das macht die Handlungen so spannend. Ich will an dieser Stelle nicht viel mehr erzählen, nur so viel sei gesagt: Wer mit dem Grundspiel und den dortigen Missionen seine Freude hatte, der wird auch hier voll und ganz zufrieden sein und viel Spaß haben.

Immer noch so gut?

„Der Krieg des Verräters“ ist kein neues Spiel, es ist eine Erweiterung. Und es macht aus „Descent – Legenden der Finsternis“ auch nichts Neues. Sowohl vom Material her als auch den Regeln oder der Handlung fühlen sich Kenner sofort zuhause, denn es geht nahtlos da weiter, wo man zuletzt aufgehört hat. Das betrifft auch die App-Nutzung, die nach wie vor Pflicht ist und sehr elementar für das Spielgeschehen. Mir hat dieses digital geführte Dungeon-Crawling nach anfänglicher Skepsis im Grundspiel sehr gut gefallen, denn es nimmt einem eine Menge Mikromanagement ab, sodass man sich ganz auf den echten Spielspaß – die Handlung, die taktischen Entscheidungen, das Entdecken und Kämpfen – konzentrieren kann. Abgesehen davon hat man mit dem Überblicken der zahlreichen Effekte auf den Waffen-, Trank- und Fähigkeitskarten der Charaktere schon genug auf dem Spieltisch zu tun.

Also nochmal: Wer das Grundspiel bereits mochte, der bekommt mit „Akt II“ von allem mehr – und teilweise auch verbessert, siehe die schöneren Charaktertafeln oder die individuellen Heldenregeln. Auch die Kampagne macht Spaß, sie bleibt allerdings so schwatzhaft wie die im Grundspiel, was ungeduldigeren Naturen zu viel Fluff sein mag. „Wann geht’s denn nun los?“, war eine Frage, die durchaus am Tisch gestellt wurde, wenn mal wieder Brynn, Syrus, Vaerix und Co Planungsgespräche abhielten oder gefühlvoll ihren Charakterplot weitertreiben wollten. Mir war das egal. Ich habe jede Story-Textzeile gelesen und ausgekostet!

Was ich persönlich vermisst habe, ist ein Neuzugang in der Heldenriege. Nun kann man sagen, dass es doch schön ist, dass die sechs Charaktere so intensiv bespielt werden, dass sie nicht nur „irgendwelche Helden“ sind, sondern DIE Protagonisten in ihrem ganz eigenen Abenteuer, inklusive spürbarer Charakterentwicklung. Dennoch hätten ein bis zwei gänzlich neue Gesichter, die im Laufe der Kampagne hinzukommen, für weiteren frischen Wind gesorgt und die Option geboten, das bestehende Ensemble noch ein wenig durcheinanderzuwirbeln.

Ebenfalls etwas grenzwertig ist der Preis von ca. 140-150 Euro. Das Grundspiel, das von allem doch etwas mehr bot, war schon ursprünglich nur 10 bis 20 Euro teurer. Mittlerweile bekommt man es für unter 100 Euro, also sogar um einiges billiger als die Erweiterung. Gut, diese ist neu und wird auch entsprechend vermarktet. Aber im direkten Vergleich wirkt sie schon eher teuer – wobei man allerdings nicht nur auf das reine Material schauen darf, denn bei einem Spiel wie „Descent – Legenden der Finsternis“ müssen ja auch Dinge wie die komplett neue Kampagne und die App-Verbesserungen eingepreist werden.

Fazit: „Akt II“ von „Descent – Legenden der Finsternis“ macht genau da weiter, wo „Akt I“ aufgehört hat. Tolles Spielmaterial erweitert die Optionen beim Szenarioaufbau und den Gegnerscharen, und eine erneut spannende Geschichte mit abwechslungsreichen Missionen macht Lust, am Ball zu bleiben. Die zusätzlichen Regeln sind überwiegend sinnvoll und ergänzen das Bestehende auf nette Weise. Vor allem macht es die Helden noch individueller. Wirklich gebraucht hätte es sie freilich nicht. Unterm Strich kann ich „Der Krieg des Verräters“ wirklich jedem empfehlen, der bereits Freude am Grundspiel hatte. Und all jenen, die noch gar keinen Fuß in die Welt von Terrinoth gesetzt haben, möchte ich sagen: Probiert es aus! „Descent – Legenden der Finsternis“ macht richtig Spaß, sofern man sich nicht daran stört, nebenbei einen Laptop oder Tablet-PC am Tisch zu haben. Und die Grundbox ist derzeit preiswerter denn je zu kriegen.

Descent – Legenden der Finsternis – Akt II: Der Krieg des Verräters (Erweiterung)
Brettspiel-Erweiterung für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Philip D. Henry, Brooks Flugaur-Leavitt, Aaron Haltom u. a.
Fantasy Flight Games/Asmodee 2023
EAN: 0841333123529
Sprache: Deutsch
Preis: 149,99 EUR

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