Der Außenseiter und andere Geschichten

Gou Tanabe (geb. 1975) als Zeichner und Texter von Mangas dürfte vielen Leser*innen selbiger bereits bekannt sein. Die Autoren der umgesetzten Originalgeschichten dürften aber auch vielen ein Begriff sein. Es sind da vor allem Lovecraft, Tschechow und Gorki zu nennen. Die sieben Manga-Storys sind alle im westlichen Comic-Stil gehalten, sodass sich niemand allein durch die Bezeichnung „Manga“ abgeschreckt zu fühlen braucht.

von Markus Kolbeck

„Der Außenseiter und andere Geschichten“ ist 2023 bei Carlsen Manga als 208-seitiges Softcover erschienen. Das zum Taschenbuchpreis von 14,- Euro angebotene Werk ist komplett in Schwarz-Weiß gezeichnet. Neben der Umsetzung der Kurzgeschichte „Der Außenseiter“ des US-amerikanischen Horror-Autors Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) gibt es noch Adaptionen von zwei Klassikern der Weltliteratur: „Das Haus mit dem Mezzanin“ des russischen Erzählers und Dichters Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904) sowie „Sechsundzwanzig und eine“ des russischen Schriftstellers und Dramatiker Maxim Gorki (1868-1936). Außerdem findet man im Band noch die Geschichte „Der Straßenmusiker auf der Pont Neuf“ nach einer Erzählung von Manga-Autor Carib Song (1947-2018) sowie „Kasane – Der Mord an Soetsu, Episode 1“ nach Autor und Rakugo-Künstler Sanyutei Encho (1839-1900).  Ferner gibt es noch die zwei Storys „Juga“ und „Juga II“ aus einer Reihe abgeschlossener Geschichten. Die vertretenen literarischen Gattungen sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von Horror über Romantik, Sozialkritik und Science-Fiction zu Krimi und wieder zu Horror in Form von Geistergeschichten. Die Adaptionen sind Frühwerke von Gou Tanabe und reichen teilweise bis ins Jahr 2002 zurück.

Weitergehende Informationen zu den Originalautoren und Illustrator Tanabe kann man im Band selbst nachlesen. Außerdem steht auf der ersten Seite ein Hinweis dazu, wie man Manga zu lesen hat, nämlich von hinten nach vorne.

Inhalt

Um nicht zu viel zu verraten, halte ich die Inhaltsangaben zu den einzelnen Geschichten knapp.

„Der Außenseiter“: In dieser Horror-Kurzgeschichte lebt ein Mann isoliert im Untergrund. Er kennt das Leben und die Menschen nur aus Büchern. Er steigt zur Oberfläche auf und trifft in einem Ballsaal auf Tanzende, die schreiend vor ihm flüchten. Im wird eine grauenhafte Offenbarung zu seiner Existenz zuteil.

„Das Haus mit dem Mezzanin“: Diese Kurzgeschichte handelt von zwei Menschen, die sich kennen und lieben lernen. Etwas politisch angehaucht.

„Sechsundzwanzig und eine“: Junge Männer schuften monoton in einer Bäckerei, und eine junge Frau ist ihr einziger Sonnenschein im Leben. Ihre Verehrung nimmt ein jähes Ende.

„Der Straßenmusiker auf der Pont Neuf“:
Ein Mann mit sonderbarer Sprache und Kleidung spricht von der Zukunft und sagt mathematische Formeln von sich. Später stellt sich heraus, wer er wirklich ist.

„Kasane – Der Mord an Soetsu, Episode 1“: Soetsu fordert von einem Schuldner Geld ein, das er ihm geliehen hat. Es kommt zum Konflikt in dieser krimiähnlichen Episode.

„Juga“ & „Juga II“: In diesen japanischen Geistergeschichten stellt sich ein Mönch den Schrecken der Untoten und bannt sie mit seinem Malpinsel auf Pergament.

Kritik

„Der Außenseiter“: Dieser auf ein Horror-Frühwerk von H. P. Lovecraft zurückgehende Klassiker ist nicht eine der besten von Lovecraft, aber die beste im vorliegenden Band. Insbesondere der zur Originalgeschichte abgewandelte Schluss hat es in sich. Wie ich es in Erinnerung habe, wird in Lovecrafts Geschichte am Ende nur angedeutet, wie es um den Protagonisten bestellt ist. Hier sieht der*die Leser*in das Grauen voll und ganz.

„Das Haus mit dem Mezzanin“: Diese Story ist irgendwie fehl am Platz mit ihrer Romantik nach der vorhergehenden Horror-Geschichte. Es passiert doch wenig, trotz Ausflügen in die Politik. Jedenfalls ist dies die schwächste der Geschichten, aber auch die poetischste.

„Sechsundzwanzig und eine“: Hier kann man am ehesten von einer Sozialkritik sprechen. Sie ist besser als die vorhergehende, aber auch nicht überragend in ihrer Merkwürdigkeit. Vielleicht gefällt das aber gerade dem*der ein oder anderen Leser*in und vielleicht ist auch die Wirkung der Originalgeschichte besser.

„Der Straßenmusiker auf der Pont Neuf“: Diese Science-Fiction-Geschichte ist interessant, aber zu kurz, um sich richtig zu entwickeln. Man hätte gern mehr davon gelesen.

„Kasane – Der Mord an Soetsu, Episode 1“: Auch von dieser Geschichte hätte man gerne mehr gelesen, aber eine Fortsetzung gibt es bislang nicht.

„Juga“ & „Juga II“: Dieser Gespenster-Horror wartet mit überraschenden Wendungen und guten Ideen auf. Insofern sind diese beiden thematisch verwandten die zweitbesten im Band.

Alle Storys sind handwerklich einwandfrei und solide umgesetzt und bieten einen guten Überblick über das Frühwerk und das stilistische Können des Zeichners und Texters.

Fazit: Wer einen möglichst vielfältigen Eindruck von Gou Tanabes Werk machen will, ist hier richtig. Insgesamt gesehen ist der Band „Der Außenseiter und andere Geschichten“ aber der schwächste von Tanabe. Die in der „H. P. Lovecraft“-Reihe von Carlsen Manga erschienen Horror-Mangas sind einfach besser und thematisch einfacher einzuordnen für den*die Leser*in. Ich kann den Band aufgrund der drei gelungenen Horror-Geschichten, des tollen Stils und des handwerklichen Könnens des Zeichners noch empfehlen, wenn man nicht nur Horror-Storys von Tanabe sucht!

Der Außenseiter und andere Geschichten
Manga-Anthologie
Gou Tanabe
Carlsen Manga 2023
ISBN: 978-3-551-76718-9
208 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,00

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