H. P. Lovecrafts Schatten über Innsmouth

Der Horror-Manga vom japanischen Autor und Zeichner Gou Tanabe beruht auf einer der besten Geschichten von H. P. Lovecraft, dem bekannten US-amerikanischen Autor unheimlich-fantastischer Geschichten. Obwohl Lovecraft Horror-Autor war, handelt es sich bei dem Band über weite Strecken eher um Mystery, die aber zunehmend ins Horror-Genre übergeht. Wer den Originalautor kennt, weiß, dass dieser oftmals unblutige Szenarien beschrieben hat und der Grusel eher durch Wortwahl und Atmosphäre zustande kommt. Ob das auch bei diesem Manga so ist, soll diese Rezension aufzeigen.

von Markus Kolbeck

Der Manga ist 2021 im japanischen Original erschienen und wurde 2022 von Carlsen Manga als 442-seitiger Softcover-Band zum Preis von (dem Umfang angemessenen) 24,- Euro auf Deutsch veröffentlicht. Die Originalgeschichte wurde von Howard Phillips Lovecraft 1931 als Kurzroman („The Shadow Over Innsmouth“) geschrieben und 1936 veröffentlicht. Zu H. P. Lovecraft (1890-1937) und Gou Tanabe (geb. 1975) habe ich bereits in Rezensionen zu anderen Mangas der Reihe etwas geschrieben, ebenso der Leserichtung des japanischen Werks. Wer mehr dazu wissen will, der sei auf meine anderen Rezensionen verwiesen, etwa zu „H. P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns 1“ von Gou Tanabe.

Der Band ist fast komplett in Schwarz-Weiß gezeichnet. Lediglich insgesamt 11 Seiten im Vorwort und Mittelteil sind farbig. Auch wenn der Band als Manga vermarktet wird, handelt es sich doch eher um einen Comic im westlichen Zeichenstil; man sollte sich also nicht von vornherein vom Begriff „Manga“ abschrecken lassen! Man kann den Manga in rund Zweieinviertelstunden durchlesen. Er ist in zwei Teile mit insgesamt elf Kapiteln unterteilt.

Inhalt


Die Geschichte beginnt 1927 in Newburyport in Massachusetts in den USA. Der Student Robert Olmstead kommt auf seiner Suche nach genealogischen Informationen über seine Ahnenreihe bei seiner Reise durch Neuengland in die eigentümliche Stadt Innsmouth. Schon vorweg hat er Gerüchte gehört, dass merkwürdige Begebenheiten sich in der Ortschaft zutragen sollen. Die Stadt scheint teilweise verfallen und stellt für den Reisenden die Verkörperung von Tod und Niedergang dar. Er lernt den Trinker Zadok Allen kennen, der ihn in die schreckliche Geschichte der Stadt einweiht, rund um Kapitän Obed Marsh und dessen Anhänger. Wird die verfluchte Stadt zum Verhängnis für Olmstead und was hat es mit dem berüchtigten Innsmouth Look von dessen entstellten Bewohnern auf sich? Der Student kommt einem großen Geheimnis auf die Spur, das ihn einzuholen scheint und zu seinem eigenen Verderben führen könnte!

Kritik

Den Band als bildgewaltig zu bezeichnen, ist keine Übertreibung! Insbesondere die ganzseitigen, manchmal sich auch über zwei Seiten erstreckenden, Zeichnungen von Tanabe wissen zu beeindrucken. Dass diese in Schwarz-Weiß gehalten sind, tut dem Buch in keiner Weise einen Abbruch, sondern kommt vor allem der düsteren Atmosphäre, die über dem Schauplatz lastet, zugute. Außerdem kommt dadurch der künstlerische Anspruch des Werks besser zum Tragen. Tanabes Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind dem Grusel, meiner Meinung nach, deutlich zuträglicher als verschiedene andere, farbige Comic-Interpretationen, die zu Lovecrafts Werk auf dem Printmarkt erhältlich sind.

Die Reise von Olmstead beginnt mit fast schon malerischen Landschafts- und Meeresansichten, wechselt dann zu heruntergekommenen Häuserschluchten und bildhaften Eindrücken von verfallenen Gebäuden – kurz: Innsmouth hat schon bessere Tage gesehen. Tanabe fängt diese Eindrücke des Reisenden in seinen Bildern hervorragend ein. Die Darstellungen der Tiefen Wesen im Comic ist so gut gelungen, dass man schon fast von Bildern aus der Hölle sprechen kann! Der Autor und Illustrator hat sich im Wesentlichen an Lovecrafts Darstellungen und Handlungen in der Originalgeschichte gehalten, geht aber in der Interpretation auch etwas eigene Wege. Vor allem die Abbildungen der Tiefen Wesen weicht etwas vom Gewohnten ab (Kenner*innen der Materie erkennen sie aber als solche), so werden diese Kreaturen manchmal fast doppelt so groß dargestellt als Menschen. Wenn man die Tiefen Wesen aus dem Horror-Rollenspiel „Cthulhu“ kennt, wird man so schon etwas überrascht werden.

Die eingangs aufgeführte Frage nach Wortwahl und Atmosphäre kann also eindeutig mit „ja“ beantwortet werden. Der Stil der Beschreibungen lässt schon Grusel aufkommen, außerdem ist die hier dargestellte Geschichte obendrein noch deutlich blutiger wiedergegeben, wenn auch nur streckenweise. Diese punktuell reißerische Herangehensweise an die Geschichte entspricht hier nicht dem Geiste von Lovecraft! Es stellt sich noch die Frage, ob es sich für Kenner*innen von Lovecrafts Kurzroman eine Lektüre des Mangas lohnt. Ob man die Geschichte kennt oder nicht, die Bilder sind ein Genuss für das Auge und wissen auch durch Detailgrad und Realismus hervorzustechen. Natürlich geht etwas von der Spannung verloren, wenn man „Schatten über Innsmouth“ bereits gelesen hat, aber es lohnt sich für alle an Horror-Comics und an H. P. Lovecrafts Werk Interessierten!

Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei diesem sehr dicken Band gut. An Rechtschreibfehlern ist mir praktisch nichts aufgefallen, was prima ist! Jedoch gibt es eine auffällige Besonderheit in der Übersetzung. Und zwar heißt es an der ein oder anderen Stelle, dass Tiefen Wesen „schlürfende Geräusche“ machen würden. Mir ist bekannt, dass mit „schlürfend“ an erster Stelle der Vorgang beziehungsweise das Geräusch gemeint ist, das man macht, wenn man eine Flüssigkeit mit dem Mund einsaugt. Auf der anderen Seite sind die Tiefen Wesen für ihren watschelnden und schlurfenden Gang bekannt, der ja auch Geräusche verursachen kann. Ob hier „schlurfend“ mit „schlürfend“ verwechselt wurde, weiß ich in der Schlussfolgerung nicht, merkwürdig wirkt die Wortwahl aber schon auf mich.

Fazit: Zusammenfassend lässt sich schreiben, dass der Manga „H. P. Lovecrafts Schatten über Innsmouth“ von Gou Tanabe für Erstleser*innen spannend, gruslig und eindrucksvoll ist. Für Kenner*innen der Materie bleibt immer noch ein bildgewaltiger Band mit künstlerisch anspruchsvollen Zeichnungen. Er setzt neue Akzente im Bereich Comic und Manga! Wer mit punktuell brutalen Darstellungen zurecht kommt, sollte einen Versuch wagen. Wer Gou Tanabe bereits kennt, weiß woran er*sie ist und wird sich dieses Werk von ihm nicht entgehen lassen wollen!

H. P. Lovecrafts Schatten über Innsmouth
Horror-Manga
Gou Tanabe
Carlsen 2022
ISBN: 978-3-551-76717-2
442 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 24,00

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