De Vermis Mysteriis

Geheimnisvolle und schreckliche Bücher gehören zu „Cthulhu“ ebenso wie tentakelbewehrte Große Alte und messerschwingende Kultisten. Das „De Vermis Mysteriis“ – benannt nach einem dieser grauenvollen Folianten – stellt nun eine ganze Fülle dieser finsteren Machwerke vor. Wie gelungen ist der Nachfolger des „Necronomicon“?

von Jens Krohnen

Bereits für die Vorgängeredition gab es mit dem „Necronomicon“ eine schwergewichtige Publikation, die sich Mythosbüchern widmete. Denn schon Lovecraft erschuf einige finstere Folianten, welche nicht nur einen Haufen blasphemischen Wissens in sich vereinten, sondern auch dazu neigten, ihre Besitzer in den Wahnsinn zu treiben. Ganz ähnlich den Kreaturen sind diese Bücher damit zu einem Sinnbild des Cthulhu-Mythos geworden und haben seit jeher eine gewichtige Rolle auch im Rollenspiel eingenommen. Kaum ein Abenteuer, in dem nicht irgendwelche Informationen aus wurmstichigen, alten Büchern herausgefiltert werden müssten.

Das „De Vermis Mysteriis“ beginnt – ähnlich seinem Vorgänger – mit einem Kapitel über den Umgang mit Mythosbüchern und ihren Einsatz im Spiel. Ein umfangreicher Text charakterisiert anschließend die Entwicklung von Schriftzeichen und Schriftsprache, stellt verschiedene Sprachen unterschiedlichster Epochen vor und macht vor allem darauf aufmerksam, dass nicht jedes Buch auch ein Wälzer mit vielen Seiten sein muss, wie wir es heute gewohnt sind. Vergangene Zeitalter kannten Papyrusrollen, Steintafeln, gewebte Teppiche, Knoten- und Fadenschriften – die Art und Weise, auf die ein Mythostext die Zeiten überdauert haben könnte, ist vielfältig. Das nächste größere Kapitel widmet sich dann einem Mythosbuch-Generator. Mithilfe dieser Tabellen lassen sich Hintergrundgeschichte, Inhalte und Auswirkungen des Umgangs mit dem Buch ermitteln. Der Generator ist wirklich gut gelungen, kreativ und liefert interessante Ergebnisse.

Anschließend erfolgt die Vorstellung unterschiedlichster Mythoswerke. Bereits im Grundregelwerk wird eine ganze Reihe unterschiedlicher Mythosbücher beschrieben. Doch die hier aufgeführte Sammlung dürfte die aktuell vollständigste Auflistung aller bekannten Mythosbücher sein. Dabei sind bekannte Werke – wie das Buch Eibon, das Necronomicon, das Cthaat Aquadingen oder die Pnakotischen Manuskripte – ebenso aufgeführt wie unbekanntere Werke, die aus Sekundärgeschichten anderer Autoren oder gar Rollenspielpublikationen stammen. Die Fülle angesammeltem Material ist damit höchst beeindruckend und es ist schön, dass nun auch von Lovecraft nur am Rande erwähnte Unikate nun als Mythosbuch gelten. So haben nun auch Kapitän Obed Marshs Logbuch oder Herbert Wests Notizbuch eigene Spielwerte erhalten. Eine Sammlung okkulter Bücher, welche kein Mythoswissen beinhalten, runden diesen Band (wie auch schon das „Necronomicon“) ab.

Während mich die schiere Materialfülle überwältigt und die Einleitung wirklich neugierig macht, so weiß mich das Konzept des Buches als Ganzes aber nicht zu überzeugen. Wie Chefredakteur Heiko Gill im Vorwort ausführt, wurden weite Teile der Beschreibungen der Mythosbücher gekürzt. Dies betrifft sowohl die Hintergrundgeschichte und Anekdotentexte, als auch die Beschreibungen der Auswirkungen mit dem Umgang des Buches. Diese sollen nun aus den entsprechenden Tabellen im Mythosbuch-Generator selbst ausgewählt werden. In meinen Augen hat das „De Vermis Mysteriis“ damit seine Aufgabe, ein interessantes Quellenbuch zu sein, komplett verfehlt. Ohne die dem jeweiligen Buch zugewiesenen Auswirkungen und Umgebungseffekte gibt es überhaupt keinen Grund, bestimmte Bücher an den Spieltisch zu bringen. Sicher findet sich immer noch die eine oder andere interessante Information wieder, aber die Ideendichte ist deutlich niedriger als im Vorgänger. Ein weiteres Manko: durch die schmale Beschreibung und die unglaubliche Materialfülle verliert die alphabetische Sortierung der Bände zunehmend an Sinn. Stattdessen wäre eine Sortierung nach Inhalt – oder wenigstens ein entsprechender Index – sinnvoller gewesen. Immerhin suche ich als Spielleiter ja selten ein Buch mit „C“, sondern vielmehr ein Buch, dass über Tiefe Wesen, Azathoth oder die finsteren Hexenkulte Neuenglands berichtet. Immerhin: Durch den gelungenen Mythosbuch-Generator kann ich ein stimmungsvolles Buch rasch selbst erstellen, ohne rätselratend durch den weiteren Quellenteil zu irren.

Optisch ist „De Vermis Mysteriis“ recht gut gelungen. Der Band erscheint als farbiges Hardcover mit Lesebändchen. Viele der alten Foliant-Illustrationen wurden aus dem Vorgängerband übernommen; diese sind schlicht, aber stimmungsvoll. Das Layout ist ordentlich und aufgeräumt. Kurze Wertekästen runden die einzelnen Beschreibungen mit übersichtlichen Spielwerten ab. Auch das Korrektorat hat eine ordentliche Arbeit geliefert – technisch ist einmal mehr alles in Ordnung.

Fazit: Das „De Vermis Mysteriis“ ist wohl die kompletteste Sammlung von Mythos-Folianten und enthält einen spannenden, interessanten Mythosbuch-Generator. Leider fehlt dem Band die Tiefe des Vorgängers, sodass sich die meisten Buchbeschreibungen in Beliebigkeit verlieren. Die schiere Materialfülle macht zudem eine spieltischgerichtete Orientierung schwierig. Damit ist „De Vermis Mysteriis“ einer der schwächeren Quellenbände, trotz des Themas.

De Vermis Mysteriis
Quellenband
Stacy Clark, Heiko Gill, Daniel Harms, u. a.
Pegasus Press 2021
ISBN: 978-3-96928-028-7
224 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,95

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen