Das Weinen der Frau aus den Hügeln

Die 1920er Jahre sind schon länger nicht mehr das einzige Setting für das „Cthulhu“-Rollenspiel. In die Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs haben sich die Investigatoren bisher allerdings noch nicht verirrt. In der dreiteiligen Kampagne reisen sie nun von Europa nach Virginia, um sich den Truppen der Südstaaten anzuschließen. Dieser Konflikt war zwar auch ohne Mythos-Aktivitäten schrecklich genug, doch wir wollen mal schauen, was ihnen hier blüht.

von Michael Wilhelm

Der vorliegende Abenteuerband „Das Weinen der Frau aus den Hügeln“ ist etwas wirklich besonderes. Darauf weist der „Cthulhu“-Chefredakteur aus dem Hause Pegasus, Heiko Gill, auch schon im Vorwort hin: Wer sich vor historischen Simulationen scheut, den amerikanischen Bürgerkrieg als Hintergrund ablehnt oder generell nicht bereit für ein experimentelles Setting ist, sollte hiervon die Finger lassen.

Andererseits kann es sich für aufgeschlossene Geister wirklich lohnen, sich auf „Das Weinen der Frau aus den Hügeln“ einzulassen. Die Autoren haben offensichtlich keine Mühen gescheut, den Hintergrund gründlichst zu recherchieren. Das fängt beim Zeitablauf der Kampagne an, die in drei Kapiteln von Januar 1862 bis Juli 1864 über eine längere Periode des Bürgerkriegs reicht. Aber auch die Handlungsorte und zahlreiche Nichtspieler-Charaktere sind detailliert wiedergegeben. So hat man beim Lesen der Kampagne manches mal den Eindruck, ein spannend geschriebenes, interaktives Geschichts-Sachbuch in Händen zu halten.

Am besten spielt sich die Kampagne mit den fünf vorgefertigten Investigatoren (Abenteuer, Arzt, Erfinder, Anwalt, Militärberater) oder mit nach den Regeln für die Gaslicht-Periode aus dem Grundregelwerk erschaffenen Investigatoren. Allerdings gibt es eine wesentliche Einschränkung, was die Führung weiblicher Investigatoren betrifft: Da sich die Handlung über weite Strecken auf militärischem Terrain bewegt und die aktive Teilnahme an Kampfhandlungen beinhaltet, wären diese nur mit starken Anpassungen an den Ablauf der Kampagne spielbar. Passend wäre auch das Wildwest-Setting „Down Darker Trails“, das bisher allerdings nur auf Englisch erhältlich ist.

Zu Beginn der Handlung, im Kapitel „Graue Segel“, befinden wir uns in Gibraltar und wollen uns auf einen Blockadebrecher einschiffen, der die Südstaaten ansteuert. Jeder der Investigatoren hat dabei seine eigenen Beweggründe, sich den Konföderierten anzuschließen. Das erste Problem ist allerdings, dass die CSS Alabama ihre Ladung Baumwolle noch nicht gelöscht und insbesondere die dringend benötigt Kohle noch nicht an Bord hat. Schon hier können sich die Investigatoren nützlich machen. Die Überfahrt selbst ist ebenfalls alles andere als ungefährlich. Denn in den Gewässern vor der amerikanischen Küste kreuzen Kriegsschiffe der Union. Dafür haben sich die Autoren Kampfregeln für Seegefechte einfallen lassen. Und netterweise können auch hier die Investigatoren aktiv eingreifen. Und noch etwas anderes hat in diesem Gefecht einen ersten Auftritt: Mythos-Magie …

Im zweiten Kapitel „Rebellenschreie“ haben sich die Investigatoren einem Südstaaten-Regiment angeschlossen und dürfen nach kurzem Training auch schon bald an Kampfhandlungen teilnehmen. Und die haben es in sich. Nicht nur, dass neben dem Grauen des Krieges auch schon bald ganz andere grauenhafte Dinge passieren. Auch bekommt der Titel des Kapitels schon bald eine ganz neue Bedeutung. Aber auch spielerisch ist das Kapitel eine ganz neue Herausforderung, denn die detaillierte Simulation der Kampfhandlungen stellt praktisch eine historische Konfliktsimulation dar. Spätestens hier dürfte sich dann die Spreu vom Weizen trennen und zeigen, wer sich wirklich auf eine experimentelle Herausforderung einlassen möchte.

Das dritte Kapitel „Der Krater“ stellt dann vor dem Hintergrund der Krater-Schlacht um Petersburg im Juli 1864 einen fulminanten Abschluss der Kampagne dar.

Der 88 Seiten starke Band bietet mal wieder ein unschlagbares Preis-Leistungsverhältnis. Neben einer ausführlich beschrieben dreiteiligen Kampagne finden wir zahlreiche stimmungsvolle Illustrationen, historische Fotos, Karten und Handouts. Der Hintergrund ist vorzüglich recherchiert und wird spannend geschildert. Allein dafür ist „Das Weinen der Frau aus den Hügeln“ schon lesenswert.

Fazit: Für gerade mal 9,95 Euro hat die deutsche „Cthulhu“-Redaktion alle Register gezogen, um die Community mit einem wirklich ungewöhnlichen Szenario zu versorgen. Für Spielergruppen, die bereit sind, sich auf ein ungewöhnliches Setting einzulassen und auch vor historischer Konfliktsimulation nicht zurückschrecken, wird „Das Weinen der Frau aus den Hügeln“ eine spannende Mythos-Reise bieten.

Das Weinen der Frau aus den Hügeln
Abenteuerband
Nils Gildhoff, Florian Witt
Pegasus Spiele 2020
ISBN: 978-3-95789-322-2
88 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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