von Ansgar Imme
Mit dem Crowdfunding zu „Rohals Erben“ wurde ein umfangreiches Paket von Publikationen rund um das Thema Gildenmagie geschnürt. Neben dem bereits rezensierten Hauptband gab es wie üblich Mysterien, Geschichten und vieles mehr sowie diesen Abenteuerband. Ulisses Spiele ging mit dem Abenteuerband dabei einen neuen Weg, der sich auf eine spezielle Heldengruppe – Zauberschüler, die sogenannten Scholaren – spezialisierte. Auch wenn die Bände und Filme um „Harry Potter“ schon einige Jahre her sind, ist das Thema noch in vielen Köpfen vorhanden und bietet hier die Möglichkeit, dies durchaus ähnlich nachzuerleben.
Themenbände sind sowohl bei „DSA“ als auch in anderen Systemen seit Jahren nicht unüblich, aber im Abenteuerbereich findet man diese eher sehr selten. Bei einer Betrachtung muss man also diese Besonderheit ein wenig außer Acht lassen beziehungsweise kann vorab konstatieren: Wem ein Themenabenteuer mit starker Eingrenzung der Auswahl der Helden und ihrer Fähigkeiten oder gar das Spielen eines Jugendlichen nicht gefällt, der ist hier auf jeden Fall falsch aufgehoben und sollte die Finger davon lassen. Lässt man diesen offensichtlichen Kritikpunkt außer Acht, haben die Autoren gute Arbeit geleistet.
Auf 64 wie immer vollfarbigen Seiten stellen der Hauptautor Kilian Lieb (Mitautor der „Winterwacht“-Spielhilfe sowie einiger Abenteuer) und weitere Mitautoren verschiedenes Material für eine Kampagne an Magierakademien zur Verfügung. Schwerpunkt ist dabei das Spiel an der Magierakademie in Punin, für die auch umfangreiche Bodenpläne mit einzelnen Raumbeschriftungen am Ende des Bandes enthalten sind. Die Pläne sind wie immer exzellent und bieten einen tollen Mehrwert auch für weitere Abenteuer.
Auf wenigen Seiten wird zu Beginn das Vorgehen für die Zusammenstellung einer Gruppe von Zauberschülern – der Scholarengruppe – vorgestellt. Hier werden Grundvoraussetzungen wie Alter und Erfahrungsgrad thematisiert, aber auch wie man durch den Hintergrund Unterschiede in der Helden- beziehungsweise Scholarengruppe schaffen kann. Beispielsweise geht es um Fragen der Herkunft, des Aussehen oder der Charaktermerkmale des Zauberschülers. Man merkt hier deutlich das Bemühen der Autoren, schon auf der inhaltlichen Seite eine Unterscheidung der Schüler auch von einer Akademie zu schaffen. Speziell bei der Herkunft hätte man aber – etwa durch kurze Tabellen – noch etwas mehr Hinweise und Ideen geben können.
Genauer wird dazu die Heldenerschaffung begleitet: welche Eigenschaften und Fähigkeiten ein Scholar zu Beginn besitzt, welche er steigern kann und wie sich vor allem die Kenntnisse über die Jahre der Ausbildung verbessern und angepasst werden können. Auch wenn dies auf die Magierakademie von Punin ausgerichtet ist, kann man dies recht gut auf andere Akademien übertragen (natürlich mit etwas Aufwand). Für den Spielleiter finden sich zudem Hinweise, wie die Geschichten und Abenteuer auf jüngere Helden anzupassen sind und wo man Handlungen ausweiten oder straffen sollte. Insgesamt wirkt dieser Bereich ausreichend genau gestaltet, ohne Tiefe an Regeln vermissen zu lassen.
Fast 20 Seiten werden dann der Akademie der Hohen Magie zu Punin gewidmet, welche als nahezu ständiger Ort der Geschichten einer genaueren Beschreibung bedarf. Neben kurzen Fakten zu Beginn bekommt man einen fast zweiseitigen Geschichtsabriss, der sich gut liest und interessant ist. Für das Spiel und Abenteuer bietet er aber eher weniger Funktion, da die Scholarenhelden dies kaum wissen und auch nicht nutzen können. Ebenso findet sich ein umfangreicher Rundgang durch die Akademie mit Beschreibung des Hauptbaus sowie der Akademietürme mit ihren Räumlichkeiten und deren Zwecken wie Lehrräumen, Arbeitszimmern der Magister, Tinkturenlagern, Bibliothek und vieles mehr. Dieser bietet immer wieder kleine Zusatzinfos und Anekdoten, die man gut einbauen kann, wenn die Spieler beziehungsweise Helden die Räume besuchen. Einzig die Struktur als Fließtext erschwert die Suche nach Informationen.
Neben der Akademie als Ort selbst wird auch das Leben an und in ihr beschrieben: Hier bekommt man einen Einblick, wie die einzelnen Phasen des Studiums ablaufen, welche Regeln für Scholaren gelten, wie eine Unterrichtsstunde aussieht und welchen Zirkeln oder Verbindungen man sich anschließen kann. Für den Tagesablauf wäre eine kurze tabellarische Übersicht besser gewesen, als sich durch den Text wühlen zu müssen. Der Unterricht wird dagegen später genauer noch mit Beispielen erläutert, wobei es von der Struktur besser hierhin gepasst hätte. Mit Magistern und Bediensteten sowie anderen Scholaren werden zudem Personen an der Akademie vorgestellt und mit Spielwerten versehen. Ein kurzer Block nennt noch einige Geheimnisse der Akademie, auf die die Scholaren stoßen können. Während manche Figurenbeschreibung eher zu umfangreich wirken, hätte es bei den Geheimnissen gerne etwas mehr sein können, zudem die genannten weitestgehend nicht für die Helden zugänglich sind.
Die Scholarenkampagne umfasst dann die zweite Hälfte des Bandes und damit etwas mehr als 30 Seiten. Neben dem Hauptabenteuer „Verbotenes Wissen“ selbst sind auch etliche Szenariovorschläge enthalten. Hier gibt es einerseits allgemeine Abenteuervorschläge als auch spezifische Ideen für die einzelnen Stadien der Magierausbildung (Elevium, Novizium und Studium). Für die rollenspielerische Darstellung und den Hintergrund sind dazu auch Unterrichtsthemen und Prüfungsaufgaben je nach Lehrmeistern beschrieben, sodass man auch dies in seine Kampagne einbauen kann.
Die Ideen bewegen sich von einfachen Detektivgeschichten über Geistererscheinungen, dem Befreien aus verschlossenen Kellerräumen, Konflikten mit anderen Scholaren, bis zu einer ersten Expedition außerhalb der Akademie und auch Betrügereien bei Abschlussprüfungen. Dabei wurde sich lobenswerterweise bemüht, die Herausforderungen durchaus an das Alter und die Erfahrungen der Zauberschüler anzupassen. Daher sind die Grundthemen teilweise etwas bodenständiger, ohne es aber vollkommen an Komplexität vermissen zu lassen. Vor allem kämpferische Aspekte stehen hier deutlich hintenan, und es geht oft um rollenspielerische Aufgaben sowie Nachforschungen. Gleichzeitig wird oft auch der Akademiealltag eingebunden, was die Szenarien von üblichen Abenteuerideen unterscheidet.
Das Hauptabenteuer verwickelt die Scholaren zum Ende ihres Studiums in die Geheimnisse eines durch einen Erzdämonen verfluchten Zauberbuches. Es beginnt mit einem tragischen Ereignis, als eine der Lehrerinnen der Zauberschüler stirbt. Als sich jedoch mysteriöse Ereignisse im Umfeld der angehenden Helden häufen und ein neuer Magister sich seltsam verhält, liegt es an den Scholaren, diese Geheimnisse aufzuklären. Eine Initiationsprobe unter den Scholaren in Konkurrenz mit einer anderen Gruppe verändert den Helden bekannte Scholaren massiv in ihrem Auftreten. Es droht in einer Nacht der Flammen die gesamte Akademie in Gefahr zu geraten, wenn die Helden ihre Mitschüler nicht stoppen. Die Komplexität ist hier etwas höher, und sowohl Spieler als auch Helden müssen sich bemühen, die Hintergründe richtig einzuordnen. Die Figurenriege konzentriert sich auf eine angemessene Anzahl an Personen, die es überschaubar genug hält.
Als größeres Szenario zum Ende der Zauberausbildung kommt es abschließend zur Rückkehr der verstorbenen Lehrerin. Diese hat sich dem Erzdämonen verschrieben, um ihre Schülern weiter zu unterrichten. Doch ihr Vorgehen ist ins Düstere verkehrt und die Scholaren entdecken ihre Umtriebe. Ehe die von ihr gebundenen Eleven dem Erzdämon zugetrieben werden, muss sie aufgehalten werden. Dieses ist der dunkelste Teil, der noch einmal eine ganz andere Atmosphäre ermöglicht.
Zusammenfassend kann man noch ergänzen, dass der Band aus Sicht des Rezensenten eher für erfahrene und erwachsene Spieler gedacht ist. Auch wenn es zunächst den Eindruck macht, dass hier bereits Kinder oder Jugendliche ihre Altersgeschichten spielen können, sind sowohl die Herausforderungen im rollenspielerischen Bereich als auch die Geschichten eher für erfahrene Rollenspieler geeignet.
Fazit: Wer sich vom Thema junger Helden, einer begrenzten Örtlichkeit und durchaus Ähnlichkeiten zu „Harry Potter“ oder generell Internatsgeschichten nicht abhalten lässt, findet sowohl tolle Beschreibungen des Akademielebens als auch spannende Szenarios und Geschichten. Als kleine Kritik kann man durchaus anbringen, dass der Band etwas zwischen Hintergrundband und Abenteuerband hin und her schwankt sowie durchaus ein paar Seiten mehr dem Ganzen gut getan hätten. Insgesamt aber eine tolle Ausarbeitung eines speziellen Stoffes, die einen Kauf auf jeden Fall lohnt.
Das Geheimnis der Zauberschüler
Abenteuerband
Kilian Lieb u. a.
Ulisses Spiele 2022
ISBN: 978-3-96331-892-4
64 S., Softcover, deutsch
Preis: 17,95 EUR
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