von Mathias

Scheu Süd ist eine heißblütige junge Frau, die schwere Zeiten hinter sich hat. Sie hat dabei eine gewisse Härte entwickelt, aber sich auch ein gehöriges Maß an Gewitztheit erworben. Gemeinsam mit ihren Geschwistern Pit und Ro, sowie dem alten Gully und einem Nordmann namens Lamm lebt sie auf dem Hof ihrer verstorbenen Mutter. Das (Über-)Leben ist alles andere als leicht. Doch nach allem, was Scheu bisher erlebt hat, weiß sie zu schätzen, was sie hat – auch weil sie sich ihrer Verantwortung ihren beiden kleinen Geschwistern gegenüber mehr als bewusst ist.

Als sie gemeinsam mit Lamm den Hof verlässt, um mit einem Händler ein Geschäft zu verhandeln, ahnt sie noch nicht, wie sich ihr gesamtes Leben verändern wird. Sie wird ihre Geschwister und ihre Heimat verlieren. Und sie wird erleben, wie aus dem stets lammfrommen Nordmann Lamm, dem Mann ihrer verstorbenen Mutter, der immer so liebevoll für sie gesorgt hat, ein ganz anderer wird. Bevor sie dann am Ende erfährt, dass dieser Lamm immer schon ein anderer war.

Als sie zu ihrem Hof zurückkehrt, ist dieser niedergebrannt. Gully wurde ermordet. Ihre Geschwister wurden entführt. Wer für all das verantwortlich ist, bleibt rätselhaft. Lamm und Scheu nehmen die Verfolgung auf, die sie weit bis nach Fernland führen wird, bis über die dortige Stadt Knick hinaus. Bis hin zu einem alten mysteriösen Volk, das einen erschreckenden Plan hat, einen Plan, der kurz vor der Vollendung steht.

Parallel dazu erlebt man große Politik. Die Union hat ihre Inquisitoren ausgesandt, die dem Treiben von Rebellen ein Ende setzen soll, die sich in Fernland verschanzt haben. Begleitet von einer Söldnerkompanie entwickelt sich eine weitere Jagd: die der Inquisitoren nach dem Anführer der Rebellen, der ein für alle mal gefunden und ausgeschaltet werden soll. Auch hier ist lange unklar, wer dieser Anführer eigentlich ist. Und am Ende droht sogar der Konflikt zweier Reiche.

„Blutklingen“ ist nach „Racheklingen“ und „Heldenklingen“ der dritte Band einer Reihe von eigenständigen Romanen in Joe Abercrombies „First-Law“-Universum, welches auf der „First-Law-Trilogie“ basiert. Wer sein Vergnügen an diesem Hörbuch optimieren möchte, dem ist durchaus zu empfehlen, mit eben jener Trilogie zu beginnen. Denn wie eigentlich immer bei Abercrombie spielen Figuren der Vorgängerromane in den darauf folgenden eine Rolle. So ist es auch hier. Das Buch ist zwar auch dann hörenswert und verständlich, wenn man deren Geschichten nicht kennt, sie zu kennen ist aber einfach schöner. Und darüber hinaus gilt: Wer „Blutklingen“ mag, wird die anderen Bücher der „First-Law“-Welt lieben.

Im englischen Original lautet der Titel des Hörbuches „Red Country“. Bei der Auswahl des deutschen Titels bleibt der Heyne-Verlag seiner Philosophie treu, die „First-Law“-Titel in das „Klingen“-Schema zu pressen. Auch die Gestaltung des Covers ist dem deutschen Markt angepasst.

Das Hörbuch wird gelesen von David Nathan, der auch die Vorgängerromane eingelesen hat. Nathan liest mit ruhiger und einfühlsamer Stimme, auch Frauen werden von ihm in einer schönen und stimmigen Weise gesprochen. Abercrombie, der regelmäßig seinen Leser*innen einen tiefen Einblick in die Gefühle seiner Charaktere gewährt, und Nathan, der das dann sehr glaubwürdig spricht, ohne dabei je in den Vordergrund zu drängen, ergänzen sich prächtig.

Der Schreibstil von Joe Abercrombie ist ungeschminkt und direkt. Es gibt Sex, es gibt Gewalt – beides jedoch nicht im Übermaß. Vor allem: Nichts davon wird jemals zum Selbstzweck erzählt. Beschrieben wird nur, was zur Qualität des Erlebens der Geschichte beiträgt. Voyeurismus wird nicht bedient. Die Welt, aus der Abercrombie erzählt, ist hart und schmutzig. Und genau so wird sie von ihm auch beschrieben.

Obwohl im Fantasy-Setting des „First-Law“-Universums angesiedelt, hat „Blutklingen“ viel von einem Western. Der Treck, mit dem Lamm und Scheu gen Westen reisen, erinnert mit den zahlreichen Individuen, die aus ganz eigenen Gründen ihre Heimat aufgaben, um im Westen ihr Glück zu finden, stark an die zahlreichen Trecks, die in der amerikanischen Geschichte gen Westen aufgebrochen sind. Auch die Tatsache, dass nahe Knick kürzlich Gold gefunden wurde, welches nun zu einem entsprechenden Rausch geführt hat, erinnert an ein klassisches Western-Thema. Ebenso erinnern die Landschaft des Fernlandes sowie die Gefahren der Reise daran.

Wie eigentlich immer bei den Büchern von Joe Abercrombie, so steht auch bei „Blutklingen“ das Erleben und die Entwicklung der einzelnen Protagonisten im Vordergrund. Charaktere zu beschreiben, sie für Leser*innen fühlbar zu machen und damit auch ihre Handlungen glaubhaft wirken zu lassen, das ist etwas, was Abercrombie meisterhaft beherrscht. Diese Stärke kommt auch in „Blutklingen“ zur Geltung, wobei doch ein qualitativer Unterschied zu den Vorgängerromanen erkennbar ist. Lamm, Scheu und all die anderen handelnden Personen kommen einem nicht so nah, wie man es bislang von Abercrombie gewohnt ist. Auch die Handlung ist weniger fesselnd und weniger tief. Zuweilen ergibt sich eine gewisse Langatmigkeit.

Nichtsdestotrotz ist „Blutklingen“ ein Roman, der Spaß macht. Die Charaktere sind immer noch spannend, ihre Entwicklung glaubwürdig – und es ist schön sie mitzuerleben. Abgesehen davon gibt es durchaus auch Überraschungen – in der Handlung, insbesondere aber bei den Charakteren. Darüber hinaus trägt auch die Tatsache zur Qualität des Hörbuches bei, dass es – wie so oft bei Abercrombie – kein Gut oder Böse gibt. Jeder Protagonist hat seine Interessen und Hintergründe, aus denen sich glaubhaft seine Handlungen erklären.

Fazit: „Blutklingen“ ist also – auch wenn die Vorgängerromane besser waren – durchaus hörenswert. Und am besten genießt es sich, wenn man die Vorgängerromane bereits verschlungen und von Abercrombie ohnehin nicht genug kriegen kann.

Blutklingen
Hörbuch nach dem Roman von Joe Abercrombie
David Nathan (Sprecher)
Random House Audio 2013
ISBN: 978-3-8371-2251-0
MP3, Download, Dauer: 1308 min.
Preis: EUR 29.95

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