Bauernopfer in Kamborn (II)

Das „Cthulhu“-Rollenspiel kehrt zurück ins das fiktive und geheimnisvolle Städtchen Kamborn, das mit dem Vorgängerband „Königsgambit in Kamborn“ das Licht der Welt erblickte. Damals kritisierten wir noch die bisher etwas oberflächliche und knappe Stadtbeschreibung und freuten uns auf Nachfolgepublikationen, die den ambitionierten Ort mit schillerndem Leben füllen. Es ist also höchste Zeit, uns einen Eindruck vom Stand der Stadtentwicklung in „Bauernopfer in Kamborn“ zu machen.

von Oliver Adam

Der 64-seitige Softcoverband „Bauernopfer in Kamborn“ erweitert den fiktiven Ort um zwei neue und unabhängige Abenteuer, die vollkommen unterschiedlich aufgebaut sind und verschiedene Aspekte von Kamborn abdecken sollen.

„Der Fall Wittekind“ von Elias Sackmann ist ein investigativer Krimi, der sich tief in das politische und wirtschaftliche Milieu von Kamborn einbohrt. Der Ausbau des Straßenbahnnetzes führt zu einem Konkurrenzkampf um die Auftragsvergabe, bei dem mit allen – auch übernatürlichen – Mitteln gekämpft wird. Und so stolpern die Investigatoren über eine Reihe ungewöhnlicher und schrecklicher Todesfälle von Personen des öffentlichen Interesses. Bei ihren Ermittlungen können die Investigatoren schließlich auf die Spur eines einflussreichen und ehrgeizigen Interessenträgers kommen, der seine Chancen bei der Auftragsvergabe mit außergewöhnlichen Praktiken verbessern wollte, und stehen im Showdown einem beschworenen Mythoswesen gegenüber. Das Abenteuer ist gut aufbereitet, es gibt viele verschiedene Wege zum Ziel und die Nebenpersonen sind plausibel und nachvollziehbar charakterisiert. Für erfahrene Spieler ist der Plot etwas vorhersehbar und wenig innovativ, das Abenteuer richtet sich jedoch an Einsteiger, die hier einen stimmigen Krimi erleben können. Etwas allein gelassen wird der Spielleiter allerdings bei der Handlungsmotivation der Investigatoren – also warum sie sich überhaupt mit dem Fall befassen sollen.

Das zweite Abenteuer „Am Weinberg“ spielt außerhalb von Kamborn und bereitet eine Survival-Spielwiese vor den Investigatoren aus. Sie sind auf die Einweihungsfeier eines frisch angelegten Weinguts mit Gästehaus eingeladen. Bei den rücksichtslosen Bauarbeiten wurde allerdings der Zorn eines namenlosen Schreckens geweckt. Was als exklusives gesellschaftliches Ereignis gedacht war, mündet daher in einem albtraumhaften Schrecken und einem Kampf ums nackte Überleben. Während das erste Abenteuer noch einen gemütlichen investigativen Ansatz hatte, stehen hier Action und Überlebenskampf im Mittelpunkt. Die zahlreichen schillernden Feiernden und Angestellten werden sehr plastisch beschrieben, auch hinsichtlich deren Beziehungsgeflecht untereinander. Allein zehn Seiten des Abenteuertextes werden hierfür investiert. Für den Spielleiter stellt es eine große Herausforderung dar, diese Personen glaubhaft zu integrieren und auszuspielen, gerade in der aufbrechenden Hektik des zweiten Abenteuerteils. Hier kommt es nämlich zum Angriff der aufgeschreckten Bedrohung und dessen Kreaturen, und das Abenteuer driftet in eine „Home-Invasion“ ab. Bei deren Ausgestaltung wird der Spielleiter allerdings leider allein gelassen. Nur zwei Abenteuerseiten erklären das Vorgehen der Angreifer und wie man sich diesen entgegenstellt. Hier wäre noch deutliches Ausarbeitungspotenzial gewesen.

Sehr inspirierend finde ich die an Schachspiel-Begriffe angelegte Namensgebung der Publikationen – zuerst „Königsgambit“ und nun „Bauernopfer“ –, die an Intrigen und gekonnte Schachzüge erinnern. Allerdings fällt bei beiden Abenteuern auf, dass diese eher generisch sind und nur wenig zur weiteren Ausgestaltung des Kamborn-Ansatzes beitragen. Während das erste Abenteuer zumindest das Konzept der öffentlichen Verkehrsmittel sowie einflussreicher Familien beiträgt, fügt „Am Weinberg“ keine weiteren Aspekte zur Weiterentwicklung Kamborns hinzu. Daher bleibt Kamborn für mich auch nach der zweiten Publikation noch weit davon entfernt, mit den fiktiven cthuloiden Orten in Neuengland wie Arkham oder Dunwich mithalten zu können.

Fazit: „Bauernopfer in Kamborn“ beinhaltet zwei Abenteuer im Umfeld der fiktiven Stadt Kamborn, die ganz unterschiedliche Töne anschlagen. Während „Der Fall Wittekind“ ein intelligenter, investigativer Krimi mit – zumindest für erfahrenere Gruppen – etwas vorhersehbarem Handlungsablauf ist, bietet „Am Weinberg“ eine Survival-Spielwiese mit „Home-Invasion“, bei der noch Ausarbeitungspotenzial im Konfrontationspart besteht. Das Konzept Kamborn wird mit den beiden Abenteuern allerdings kaum vorangetrieben, und so bleibt die Stadtentwicklung dieses ambitionierten Projektes auch nach dem zweiten Buch noch in den Kinderschuhen.

Bauernopfer in Kamborn
Abenteuerband
Marcel Durer, Elias Sackmann
Pegasus Press 2020
ISBN: 978-3957893208
64 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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