Arkham Horror: Letzte Stunde

Der Campus der Miskatonic-Universität in Arkham steht in Flammen. Albtraumhafte Geschöpfe verwüsten die ehrwürdigen Hallen, zertrampeln die Grünanlagen und jagen die Studenten, während ein schillernder Riss den Nachthimmel spaltet, aus dem sich bereits der blasphemische Leib eines Großen Alten hervorzuschieben beginnt. Die „Letzte Stunde“ ist angebrochen. Wird es den Ermittlern gelingen, die Welt dennoch zu retten?

von Frank Stein

Normalerweise ist es die Aufgabe von Ermittlern in ctuloiden Spielen (frei nach den Kurzgeschichten und Novellen von Horrorschriftsteller H. P. Lovecraft), irgendwelche Kultisten davon abzuhalten, ein Ritual abzuhalten, das einen der Großen Alten ruft und damit unsere Welt ins Chaos stürzt. Im Brettspiel „Arkham Horror: Letzte Stunde“ ist dieser Punkt bereits überschritten. Die Sterne standen richtig, alle Zeichen wurden gemalt, alle Blutopfer erbracht. Das Chaos nimmt seinen Lauf.

Doch es gibt noch eine Chance. Das Ritual der Kultisten muss umgekehrt werden, bevor sich der Große Alte, jene monströse, transdimensionale Wesenheit, die das Ende der Welt einläuten wird, ganz in unsere Realität geschoben hat. Eine Stunde bleibt den Ermittlern dafür. In dieser Stunde müssen sie alle Hinweise auf dem Campus finden, die sie brauchen, um die Art des Rituals zu rekonstruieren, damit sie es danach aufheben können. Gleichzeitig müssen sie den Ritualplatz verteidigen und am Leben bleiben, was angesichts der zunehmenden Monsterhorden, die aus mehreren Portalen auf dem Campus quellen, alles andere als leicht ist.

„Arkham Horror: Letzte Stunde“, der jüngste Sproß aus der Familie der cthuloiden Brettspiele der „Arkham Horror“-Setttings aus dem Hause Fantasy Flight Games, ist ein schnelles, kooperatives Spiel für ein bis vier Spieler. Da es nur über acht Runden gespielt wird und eine Runde relativ flott vonstatten geht, ist es tatsächlich in knapp einer Stunde schaffbar, ganz ohne Sanduhr-Timer. Klar, eine Gruppe von Denkern und Spielzugoptimierern wird auch hier eine Partie in die Länge ziehen können. Aber im Vergleich zu „Villen des Wahnsinns“ ist es eher ein Leichtgewicht (auch ganz im Wortsinne: Das Spiel kommt in einer FFG-Midsize-Box daher, nicht vergleichbar mit dem Brocken namens „Villen des Wahnsinns“).


 Das Spielmaterial ist bunt und stimmungsvoll aufgemacht.

Über das Spielmaterial muss man bei Fantasy Flight Games beziehungsweise dem deutschen Vertrieb Asmodee kaum ein Wort verlieren. Es ist absolut hochwertig und stimmungsvoll illustriert, wie immer. Kenner des „Arkham Horror“-Settings werden viele alte Bekannte treffen. So zählen zu den sechs Ermittlern, die man übernehmen kann, etwa die schießwütige Jenny Barnes, der Gitarre spielende Landstreicher „Ashcan“ Pete und der Motorrad-Cop Tommy Muldoon. Unter den Gegnern, den drei auswählbaren Großen Alten (die jeweils eine etwas andere Spielumgebung mit sich bringen), ist zumindest der Klassiker Cthulhu vorzufinden. Seine Kollegen Shudde M’ell und Umôrdhoth waren zumindest mir jetzt noch nicht geläufig.

Auffällig ist der Mangel an Plastikminiaturen. Von den Ermittlern abgesehen, kommen Pappmarker zum Einsatz. Das hat zwei gute Gründe: Zum einen arbeitet das Spiel mit einer „Monsterquelle“, aus der man in jeder Runde Monster ziehen muss. Zum andern wäre das Spielbrett sehr voll geworden beziehungsweise hätte massiv vergrößert werden müssen, wenn Plastikminis zum Einsatz gekommen wären, die auch noch Bases mit Fenstern hätten haben müssten, um Monsterwerte abzubilden (wie bei „Villen des Wahnsinns“). Ein solches Spiel wäre sehr viel teurer geworden – und das wäre dem flotten, „kleinen“ Spielprinzip schlichtweg zuwidergelaufen. Folglich war die Entscheidung der Macher, in Sachen Opulenz einen Ganz zurückzuschalten, sehr richtig.

Schon zu Spielbeginn herrscht veritables Chaos auf dem Campus der Miscatonic-Universität, wo das Spiel stattfindet. Je nach gewähltem Großen Alten ist einer der fünfzehn Schauplätze – von der Warren-Sternwarte über die Orne-Bibliothek bis zum Dorothy-Upman-Wohnheim – der Ritualplatz. Außerdem haben sich an drei verstreuten Orten Portale geöffnet, aus denen Monster strömen. An den übrigen elf Orten liegen verdeckte Hinweisplättchen, die die Ermittler sammeln müssen, wenn sie das Ritual brechen wollen. Außerdem befinden sich bereits an allen (!) Orten, außer dem Ritualplatz selbst, Monster.

Eine Spielrunde besteht aus zwei Phasen. In der Aktionsphase ziehen die Spieler als Gruppe vier Aktionskarten von ihren Aktionskartenstapeln, die je nach Ermittler individuell sind. Zwei Spieler ziehen also je zwei Karten, bei vier Spielern zieht jeder nur eine. Diese Karten besitzen zwei Bereiche. Der obere ist eher offensiv angelegt (Bewegung und Monster töten oder Schauplätze reparieren), der untere defensiv und zugleich oft mit Ärger verbunden (Hinweise sammeln und Monster aktivieren). Jeder Spieler hat zudem vier Prioritätskarten auf der Hand, die Zahlen von eins bis dreißig aufweisen. Nun muss jeder Spieler – ohne Absprache! – seinen Aktionskarten eine Prioritätskarte zuweisen, dann werden die Karten in aufsteigender Zahlenreihefolge abgehandelt, wobei die ersten zwei Karten den oberen Effekt auslösen, die zweiten zwei den unteren. Hier ist ein großes Chaoselement enthalten!


 Nach einigen Runden haben Campus und Ermittler bereits gelitten, aber es gibt etliche Hinweise.

Nach der Aktionsphase folgt die Großer-Alter-Phase. Hier kommt es zu negativen Effekten, die je nach Art der zuvor verwendeten Prioritätskarten unterschiedlich heftig ausfallen. (Jede Prioritätskarte weist auch null bis zwei Omen-Symbole auf – je mehr man gelegt hat, desto schlimmer wird es.) Außerdem reißt eins der drei Tore weiter auf und Monster erscheinen. Monster richten übrigens auf eine von drei Arten Schaden an: Sie strömen auf den Ritualplatz zu (und wenn der überrannt ist, haben die Spieler verloren), sie können Gebäude zerstören (wodurch sie schneller auf den Ritualplatz zuströmen, weil zerstörte Bauwerke bei der Bewegung übersprungen werden) und sie richten Schaden bei den Ermittlern an (wenn die sterben, ist das Spiel auch verloren).

Die Ritualumkehrung funktioniert wie folgt: Es gibt insgesamt dreizehn Hinweisplättchen. Drei davon sind Schlüssel, die einem magische Artefakte (= Bonuskarten) spendieren. Bleiben zehn übrig. Auf denen ist jeweils eins von fünf möglichen Symbolen abgebildet, es gibt also zwei Plättchen pro Symbol. Zu Spielbeginn wurden zwei der Plättchen zufällig beiseitegelegt. Diese stellen die Art des Rituals dar (etwa „Stern“ + „Raute“). Auch auf den Prioritätskarten befinden sich diese fünf Symole, je eins pro Karte. Um das Ritual umzukehren, muss man am Ende einer Runde doppelt so viele Karten, wie Ermittler mitspielen, ablegen können, deren Symbole zu den zwei Ritualsymbolen passen (bei zwei Spielern etwa 3x „Stern“ und 1x „Raute“). Das ist de facto unmöglich, wenn man nicht zuvor die anderen Hinweisplättchen gesammelt hat, denn alle Symbole, die man auf dem Campus findet, sind logischerweise nicht Teil des Rituals.

Das alles liest sich erstmal ein wenig knifflig, grundsätzlich sind die hervorragend verzahnten Spielmechanismen aber sehr leicht zu verinnerlichen. Spätestens nach einer Partie hat man verstanden, worauf man achten muss. Danach ist es eine Frage von Geschick und Glück, ob man siegt oder verliert. Im „einfachen“ Modus ist „Letzte Stunde“ jedenfalls absolut machbar und wirkt weniger frustrierend als manch anderes beinhartes Spiel aus der „Arkham Horror“-Produktlinie.

Es gibt auch Solo-Regeln, die das Spiel auf der einen Seite ein wenig erleichtern, weil mit offenen Prioritätskarten gespielt wird. Erschwert wird dagegen die Ritualumkehrung, denn man muss bereits von Runde 1 an jeweils eine von fünf gezogenen Prioritätskarten in den Pool legen, der am Ende zur Ritualumkehrung genutzt wird. Das ist natürlich gerade zu Beginn ein völliger Schuss ins Blaue.


 Das Ritual wurde erfolgreich umgekehrt!

Anders als „Villen des Wahnsinns“ oder „Arkham Horror – Das Kartenspiel“ erzählt „Letzte Stunde“ keine Geschichte, zumindest keine über das oben bereits Erwähnte hinaus. Auch wenn es sein Thema gut einfängt, ist es doch eher ein Euro-Game, ein Spiel, in dem der Mechanismus die Story beherrscht, nicht umgekehrt. Entsprechend verläuft auch jede Partie sehr ähnlich. Rumrennen, Monster töten, Hinweise sammeln, Ritual umkehren. Meist braucht man auch mindestens sechs Runden oder mehr, um an eine Ritualumkehrung überhaupt zu denken, denn mehr als zwei Hinweise pro Runde sind überhaupt nicht möglich und unter sieben Hinweisen sollte man sich nicht an der Spielauflösung versuchen. Das geht höchstwahrscheinlich schief. Das macht „Letzte Stunde“ allerdings keinesfalls zu einem schlechten Spiel! Die Optik ist atmosphärisch, die Spielmechanismen sind leicht zu begreifen und elegant verzahnt und die Spannungskurve stimmt auch.

Fazit: „Arkham Horror: Letzte Stunde“ ist ein kleines, kooperatives Spiel mit cthuloidem Thema. Die Regeln wirken auf den ersten Blick etwas kompliziert, sind aber in der Anwendung dann doch sehr gut umzusetzen. Das Spielmaterial sieht wie immer schick aus. Spannung wird auch geboten. Eine richtige Erzählhandlung gibt es diesmal nicht, und anders als die meisten anderen „Arkham Horror“-Spiele ist „Letzte Stunde“ ein recht flottes Vergnügen. Gut geeignet also für einen Runde zwischendurch oder als schöne Ergänzung zur Hauptattraktion eines cthuloiden Spieleabends.

Arkham Horror: Letzte Stunde
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Carlo A. Rossi
Fantasy Flight Games/Asmodee 2019
EAN: 4015566028555
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 39,95

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