von Frank Stein
Im Jahr 2018 kam die dritte große Erweiterung für das Living Card Game „Arkham Horror – Das Kartenspiel“ von Fantasy Flight Games heraus: „Das vergessene Zeitalter“. In einer Grundbox wurden fünf neue Ermittler vorgestellt und mit zwei Szenarien der Einstieg geboten. Sechs zusätzliche Karten-Erweiterungen erzählten dann eine fortlaufende Kampagne mit je einem Szenario und neuen Karten, um die Ermittler-Decks aufzuwerten beziehungsweise zu modifizieren.
In der Neuauflage von „Arkham Horror – Das Kartenspiel“ aus dem Jahr 2021 wurde das Produktkonzept bekanntlich geändert. Seitdem werden alle Kampagnen (Reprints wie neue) jeweils in zwei Boxen verkauft: einer „Ermittler-Erweiterung“ und einer „Kampagnen-Erweiterung“. In der „Ermittler-Erweiterung“ befinden sich dabei alle Karten, die zu den Ermittlern gehören, die „Kampagnen-Erweiterung“ bietet alle Szenarien einer Kampagne gebündelt in einer Schachtel. Im Fall von „Das vergessene Zeitalter“ ist dabei übrigens nichts neu. Es mögen hier und da Errata in die Kartentexte eingeflossen sein, aber es gibt keinerlei wirklich neues Material im Vergleich zu 2018; es handelt sich bloß um eine andere Sortierung des bestehenden Materials.
In der vorliegenden Box – leider bloß eine dünne Pappschachtel mit Klappverschluss, also nicht zum Aufbewahren der Karten in irgendeiner Form von Sortierung geeignet – befinden sich also 5 Ermittlerkarten, 5 kleine Ermittlerkarten, 188 Spielerkarten und ein Regelblatt. Auf der Schachtelrückseite steht dabei etwas undeutlich „Mit der Ermittler-Erweiterung […] könnt ihr neue Ermittlerdecks bauen oder eure bereits bestehenden neu gestalten […]“. Das heißt nicht, dass genug Karten enthalten wären, um nur mit dieser Erweiterung funktionierende Ermittlerdecks zu bauen. Man braucht auf jeden Fall Karten aus dem Grundspiel dazu, schon allein deshalb, weil wichtige Standardkarten für jedes Deck nur dort zu finden sind. Die Karten hier dienen wirklich dazu, um für Abwechslung und den besonderen Kniff zu sorgen. Anders herum könnte man wahrscheinlich die „Ermittler-Erweiterung“ weglassen und mit den Karten des Grundspiels die „Zeitalter“-Kampagne spielen. Aber ist das empfehlenswert? Nein, denn es finden sich ein paar sehr interessante und nützliche Karten in dieser Erweiterung sowie Mechanismen für das eigene Deck, die man gern ausprobieren will. Abgesehen davon sehen die Karten natürlich auch wieder absolut stimmungsvoll aus.
Alles genau unter die Lupe zu nehmen, würde den Raum hier sprengen. Aber schauen wir uns doch zumindest überblicksweise die Karten nach Farben an. Leo Anderson (blau) ist Expeditionsleiter und geht als solcher ungern allein auf Tour. Darum kann er Verbündete zu reduzierten Kosten ausspielen und kann dank seined Kompagnons sogar zwei zusätzliche Verbündetenslots bekommen. Die neuen blauen Wächter-Karten verstärken vor allem den Kampf. Sehr nett: Das „Überlebensmesser“ erlaubt ein Zurückschlagen gegen angreifende Gegner (und das sehr effektiv), mit „Handschellen“ kann man humanoide Nicht-Elite-Gegner praktisch ausschalten und „Tatort“ erlaubt es, sogar im Kampf Hinweise zu entdecken – ohne Gelegenheitsangriffe zu provozieren! Hochstufige Brecher sind natürlich das „M1918 BAR“ (Gewehr) und der „Flammenwerfer“ – aber Karten, die 4 bis 5 Ressourcen kosten, zum Einsatz zu bringen, ist im tatsächlichen Spielverlauf eher schwierig.
Ursula Downs (gelb) und ihren Kumpel Jake Williams kennt man unter anderem aus dem „Arkham Horror“-Roman „Der Kult der Spinnenkönigin“. Ursula erhält nach jeder Bewegung an einen Ort als Reaktion eine kostenlose Ermittlungsaktion, Jake verhindert dabei Gelegenheitsangriffe. Die gelben Sucher-Karten setzen diesmal stark auf „Relikte“, die spielerisch Vorteile verschaffen, aber mitunter etwas kompliziert im Einsatz sind. So müssen sie teilweise erst mühsam „identifiziert“ werden. Dabei ist ihr Spielwert selbst jetzt nicht unglaublich gut. Nützlich ist aber beispielsweise „Schnell von Begriff“, mit dem man einen Fertigkeitswert durch „Erschöpfen“ der Karte um +3 verbessern kann – zugegeben auf Kosten eines eigenen Hinweises, der an dem Ort platziert werden muss. Ein paar Karten helfen, den Schleierwert zu senken, unterm Strich erscheinen mir viele Karten aber zu speziell in der Anwendung, um sie gut nutzen zu können.
Alkoholschmuggler Finn Edwards (grün) erhält in jedem Zug eine kostenlose Entkommen-Aktion, was grundsätzlich nett ist, Probleme aber nicht wirklich löst (denn zu viele Gegner im Spiel bringen einen früher oder später immer um). Hilfreicher ist hier „Finns zuverlässiger 38er“, der +2 auf Angriff bietet und +1 Schaden macht, wenn der Gegner nicht mit Finn in einen Kampf verwickelt ist. Die grünen Schurke-Karten bauen durchaus auf Finns Entkommen-Fähigkeit auf. So erhöht „Gedungener Mörder“ nach einem Entkommen den Schaden, den ein Gegner das nächste Mal erleidet, um +1 (man erkennt hier die effektive Kombo mit der „38er“). „Entwischen“ sorgt dafür, dass Nicht-Elite-Gegner eine Runde lang nicht spielbereit gemacht werden, sofern eine Entkommensprobe (zusätzlich um den Intellekt-Wert verstärkt) um +2 gelungen ist. Äußerst praktisch bei Orten mit hohem Schleierwert ist der „Generalschlüssel“, denn er senkt den Wert pauschal auf 1. Nett auch: „Geliehene Zeit“, auf die man in Momenten der Ruhe (Haha!) bis zu 3 Ticken legen kann (für je eine Aktion), die man später dann wieder ausgeben darf, um zusätzliche Aktionen freizuschalten.
Pater Matteo (lila) vermag einen „Automatisches Misslingen“-Chaosmarker in ein „Älteres Zeichen“ umzuwandeln, was ein automatischer Erfolg ist – eine durchaus mächtige Fähigkeit, die aber nur einmal pro Partie nutzbar ist und deren Einsatz wohl überlegt sein will. Ansonsten arbeiten die lilafarbenen Mystiker-Karten viel mit dem Prinzip des „Versiegelns“, das heißt, man kann Marker aus dem Chaosbeutel entnehmen und dort festsetzen, was die Kontrolle über den Chaosbeutel erhöht. So kann „Der Chtonische Stein“ einen negativen Marker dem Beutel entziehen, „Vorahnung“ verrät einem (durch Versiegeln), welcher Chaosmarker bei der nächsten Probe zum Einsatz kommt, und auch „Schützende Zauberformel“ entzieht dem Chaosbeutel einen negativen Marker, kostet allerdings 1 Ressource pro Runde. Auch sehr nützlich: „Olivia McBride“ kann, indem man sie erschöpft, 3 statt 1 Chaosmarker ziehen und dann einen davon abhandeln, was de facto einer Probe pro Runde zum sicheren Erfolg verhilft. Auch „Dunkle Prophezeiung“ funktioniert ähnlich. „Gegenzauber“ verhindert sogar komplett einen negativen Marker. Unterm Strich viel Material, um den Chaosbeutel besser zu beherrschen.
Calvin Wright (rot) ist von allen neuen Ermittlern der ungewöhnlichste und sicher am schwersten zu spielen. Denn all seine Werte sind zu Beginn 0. Aber die werden mit jedem Schaden und jedem Horror um 1 Punkt besser (de facto bis 5, denn er hat 6 Lebenspunkte und 6 Punkte geistige Stabilität). Das macht ihn potenziell sehr stark, ist aber hochriskant im Spiel, denn „Arkham Horror“ ist durch den Chaosbeutel und das Begegnungsdeck relativ glückslastig und man kann, ehe man sichs versieht, fatalen Schaden oder Horror nehmen. Die roten Überlebender-Karten weisen diesmal ein paar sehr schöne Karten-Rückhol-Möglichkeiten auf. So kann etwa die „Improvisierte Waffe“ vom Ablagedeck gespielt werden und wird dadurch sogar stärker. Gleiches gilt für die Ermittlungsverstärkung „Aus dem Stehgreif“ und den Entkommensbooster „Improvisierte Barriere“. Auch sonst gibt es diesmal viele hilfreiche Karten: „Glück im Unglück“ schickt einen Gegner aufs Begegnungsdeck zurück, falls ein Entkommen misslungen ist (zugegeben nur eine kurzzeitige Pause). „Lähmender Schlag“ sorgt für automatisches Entkommen im Fall eines gelungenen Angriffs. „Beharrlichkeit“ hebt bis zu 4 Schaden/Horror auf, wenn man besiegt werden würdest. „Letzte Chance“ trägt 5 Fragezeichen-Symbole zu einer Probe bei, wenn man sonst nichts mehr auf der Hand hat. Ein schweres Geschütz ist auch „Altes Jagdgewehrt“ mit +3 Kampf und +2 Schaden – wenn es nicht gerade eine Ladehemmung hat.
Bei den neutralen Karten gefällt der „Trenchcoat“, der 2 Lebenspunkte bietet sowie +1 Beweglichkeit. Stark ist auch „Verzierter Bogen“, der statt Kampf Beweglichkeit als Fertigkeit nutzt, diese um +2 verbessert und +2 Schaden zufügt. Er ist allerdings teuer und muss nach jedem Schuss für 1 Aktion nachgeladen werden.
Fazit: Die Mischung macht’s wohl in dieser „Ermittler-Erweiterung“ von „Das vergessene Zeitalter“. Während ich die gelben Sucher-Karten eher speziell und umständlich finde, machen die „Versiegeln“-Effekte der lilafarbenen Mystiker-Karten absolut Lust, mal wieder einen Zauberer zu spielen. Die blauen Wächter-Karten sind absolut solide, die grünen Schurken-Karten wirken durchwachsen und unter den roten Überlebenden-Karten sind einige echte Must-Haves dabei, die man sofort in sein Deck einbauen will. Unterm Strich kein Pflichtkauf, aber wirklich viel schönes Material, um mehr Abwechslung ins Spiel zu bringen.
Arkham Horror – Das Kartenspiel: Das vergessene Zeitalter – Ermittler-Erweiterung
Kartenspiel-Erweiterung für 1 bis 4 Spielende ab 14 Jahren
MJ Newman
Fantasy Flight Games/Asmodee 2023
EAN: 84133312088
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 46,99
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