von LarsB
Spannend an der Zusammenarbeit von Lisa Towell und Matt Leacock ist, dass Lisa Towell echter „Animal Desaster Planner and Responder“ ist. Auf diese Weise konnte das Thema „Tierrettung“ realistisch dargestellt werden. Hier gibt es keinen Kitsch, keine unangebrachten Verniedlichungen. Hier geht es wirklich um die Darstellung der Arbeit eines Tierrettungseinsatzteams, welches nur gut koordiniert alle Tiere wird retten können. Kommen wir auch nur bei einem Tier zu spät, haben wir das Spiel verloren. Und meiner Frau kullert ein Tränchen über die Wange.
Nicht minder spannend ist der neue Verlag Play to Z. Zev Shlesinger, Stephen Buonocore, Geoff Engelstein und Nicole Brady haben sich zusammengetan, um Brettspiele unabhängig von Konzernstrukturen zu entwickeln und zu veröffentlichen. Alle sind gestandene Größen in der Brettspielwelt und alle haben einen Haufen Erfahrung, ob als Verlagschef, Spieledesigner oder in den Bereichen Marketing sowie Reviews. Mein Gefühl: Hier werden wir einige interessante, reife und insgesamt hervorragend entwickelte Spiele finden. Sidefact: Auch die Leute von Shut Up & Sit Down haben bei „Animal Rescue Team“ einen redaktionellen Beitrag geleistet und wurden folglich mit auf der Box verewigt.
Das Spielmaterial
So viel Lob vorweg und dann fangen wir mit dem größten und ärgerlichsten Punkt des Spielmaterials an? Ja, weil es in der Regel der erste Point of Contact mit dem Käufer ist: das Cover der Spielschachtel. Zumindest für den europäischen Markt wird das so nicht funktionieren. Ich finde es regelrecht, man mag mir den Ausdruck verzeihen, hässlich. Schade, weil die Grafiken im Spiel selbst ein großes Stück ansprechender sind.
Das mal beiseite geräumt, habe ich komponentenseitig zwei absolute Highlights: die sechs Fahrzeuge sowie die 72 (!) Tiermeeple von zwölf (!) verschiedenen Tierarten. Die Fahrzeuge sind relativ groß, damit die Helfer, ihre Ausrüstung sowie die Tiere auch tatsächlich mitfahren können. Dabei sind die Slots in unterschiedlicher Form und Größe ausgestaltet, sodass direkt klar ist, wie viele Retter, wie viel Ausrüstung und in welcher Menge und Größe Tiere mitgenommen werden können. Damit ist mit einem Blick klar, was möglich ist und was eben nicht passt. Ein Traum! Und wenn man diese dann auch noch anmalt … Gleiches gilt für Tiermeeple. Diese sind in Form und Farbe klar unterscheidbar und sorgen so für Übersicht auf dem Spielplan und in den Fahrzeugen. 
Alle Token und Karten haben vernünftige Qualität und sind vor allen Dingen konzeptionell sehr gut gestaltet. Mittels der klaren Ikonografie können alle Spieler jederzeit die Übersicht behalten. Der Spielplan ist ansprechend gestaltet und groß. Das muss er sein, damit alle Fahrzeuge und Tiere dort Platz finden. Die sich in die Landschaft einfügenden Gewässer und Brücken haben eine spielmechanische Funktion. Hier übersieht man vielleicht am ehesten mal was. Einzig die „shelters“ wirken als Obdach / Unterkunft für die Tiere form-follows-function-esque sehr uninspiriert. Ach ja, das Pappinlay der Spieleschachtel ist durchaus hilfreich und darf bleiben.
Schön ist, dass Spielhilfekarten für alle Spieler beigelegt worden sind. Hier ist die Funktion aller Belohnungstoken aufgeführt. Die Rückseiten wurden für unterschiedliche Start-Setups genutzt und spielen im Laufe der Partie keine weitere Rolle mehr. 
Der Spielablauf
Gemeinsam sind wir als Team auf dem Spielplan unterwegs, um die Kartenauslage auf der rechten Seite des Plans im Griff zu behalten: die Tiernotfälle in der Region rund um Davin City. Nach jedem Spielerzug wird hier eine neue Notfallkarte aufgedeckt. Bereits vorhandene Karten werden nach unten durchgeschoben. Verlässt eine dieser Karten unerledigt, das heißt nicht umgedreht, den Spielplan, endet das Spiel mit einer Niederlage. Eine zweite Uhr tickt an der unteren Kante des Spielplans gegen uns. Die Sanduhr auf dem „Time Track” rückt potenziell durch Rettungsaktionen weiter voran. Das entscheiden die Würfel. Ein gewürfeltes Sanduhr-Symbol auf einem der beiden Würfel lässt den Marker vorrücken. Wenn wir am „Time Track“ ausliegende Missionen nicht rechtzeitig erledigt haben, ist das Spiel ebenso zu Ende. Niederlage. Tränchen.
Wie können wir nun die Niederlage und die Tränchen abwenden? „Do 3 actions“, verrät das Regelheft. Und von denen gibt es nur zwei unterschiedliche. Wir können uns bewegen – natürlich nicht zu Fuß, sondern in einem der Fahrzeuge. Hey, wir sind in Amerika! Dabei können wir Ausrüstung, Kollegen und auch Tiere mitnehmen. Alles in Absprache. Unterschiedliche Fahrzeuge haben da unterschiedliche Eigenschaften hinsichtlich des Stauraums, der Geschwindigkeit und des Antriebs. Neben Autos gibt es auch ein Boot, ein Motorrad und einen Anhänger. Das Motorrad können wir übrigens im Anhänger mitführen, wenn notwendig, und auch das Boot kann angehängt werden – allerdings nicht am PKW, sondern nur an SUV und Truck. Nur eines darf man nie: Tiere allein im Fahrzeug zurücklassen.
Die zweite mögliche Aktion ist das Retten von Tieren. Dazu muss mein Charakter vor Ort sein. Zusätzliche Ausrüstung, Kollegen und sogar die passenden Fahrzeuge können die Rettung erleichtern. Für eine Rettung müssen zwei Würfel geworfen und der auf der Karte angegebene Mindestwert erreicht werden. Belohnungsmarker können die Würfelseiten manipulieren. Diese Marker erhält man durch das Retten von Tieren. Leider erfordern die „Time Track“-Missionen auch genau diese Marker. Rettungsversuche können beliebig oft wiederholt werden. Doch mit jedem Versuch rückt potenziell die Sanduhr auf dem „Time Track“ voran und zwingt uns, die übergreifenden Missionen in den Griff zu kriegen. Immerhin gibt es für die Erledigung der Missionen eine der zwei ausliegenden Logistikkarten, die uns mit einer Einmalfähigkeit im passenden Moment aus dem größten Schlamassel heraushelfen. Vielleicht.
Die Missionskarten sind der Schlüssel zum Spielsieg. Sind alle drei Missionen erfolgreich und rechtzeitig erfüllt, gewinnen wir als Team. Apropos Team: Jeder von uns spielt einen von sechs Spezialisten (etwa Verhaltensforscher, Wildwasserretter, Bergungsspezialist, Tierarzt) mit besonderer Fähigkeit. Wer da nicht an „Pandemic“ denken muss …
Der „Time Track“ tut übrigens beim Voranschreiten auch was für uns. Es werden zum Beispiel zu bestimmten Zeitpunkten die Tierunterkünfte wieder geleert. Oder es werden neue, hoffentlich passendere Logistikkarten in die Auslage gelegt. 
Das Spielgefühl
Die Tiernotfälle sind allesamt aus dem wahren Leben. Das merkt man. Nichts ist verniedlicht und verharmlost. Und die Logik hinter den idealen Rettungsrahmenbedingungen ist sehr gut nachvollziehbar. Hier einige Beispiele: Da ist zum einen ein Assistenzhund, der bei einer Evakuierung wegen eines Hausbrands nicht zu finden ist. Hier hilft der Verhaltensforscher. Auch feuerfeste Bekleidung und die Tierbox erleichtern die Rettung. Logisch. Weiteres Beispiel? Die Katzen Sasha und Rio sind in einem Haus gefangen, welches von einer Schlammlawine begraben wurde. Hier helfen der Bergungsspezialist und der Wildwasserretter weiter.
In „Animal Rescue Team“ greifen die kurzfristigen Notlagen (die Tiernotfälle) und die langfristigen Ziele (die Missionen) in gewisser Weise ineinander. Ohne gerettete Tiere bekomme ich nicht die Belohnungsmarker, die ich für die Erledigung der Missionen benötige. Auf der anderen Seite muss man sich für das Abschließen der Missionen oftmals so auf dem Spielplan aufstellen, dass es das Daily Business total stört. Hier das richtige Timing zu finden, die richtige Risikoabwägung, das macht „Animal Rescue Team“ aus. Jeden Spielzug flattert ein neuer Notfall rein. Auf die lange Bank schieben ist da nicht möglich. Wo sich doch einige Tierrettungen mit ablaufender Zeit sogar noch erschweren …
„Animal Rescue Team“ ist ein gutes Stück ein Logistik-Puzzle. Habe die richtigen Leute mit der richtigen Ausrüstung zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Und habe dabei auch die nächsten Notfälle im Blick? Das Spiel gibt den Spielern sehr viele Möglichkeiten, mit den Fahrzeugen, der Ausrüstung, usw. zu jonglieren: Leute und Ausrüstung mitnehmen, zwischendurch hinauswerfen, von anderen wieder aufgreifen lassen, Anhänger anhängen, abhängen, das Boot nutzen, sich von dort abholen lassen, usw. Und dann sind da ja auch noch die Tiere, die man rechtzeitig in die Unterkünfte bringen möchte.
Durch die Würfelwürfe bei den Tierrettungsversuchen stellt sich durchaus eine unterschiedliche Spieldynamik ein – zwischen einzelnen Partien und auch innerhalb einer Partie selbst. Wir hatten zum Beispiel eine Partie, in der wir den Sanduhrmarker in der frühen Phase des Spiels kaum vorangesetzt haben. Das hört sich erstmal entspannt an, weil wir dann ja viel Zeit zur Erledigung der Missionen haben. Das Problem: Die Tierunterkünfte leeren sich nicht. Und dann lagert man die Tiere in den Fahrzeugen zwischen, was dann logistisch herausfordernd wird. Später im Spiel rannte uns die Zeit davon, weil wir nur noch Sanduhren gewürfelt hatten. Die Würfel entwickeln den Spielfortschritt im Einzelfall sehr herausfordernd. Und sie bringen ein gutes Stück weit Unvorhersehbarkeit hinein. Das kann man mögen, aber gerade sehr strategisch orientierte Spieler werden manchmal mit diesem Unwägbarkeitsaspekt hadern. Für Krisenbewältiger ist das jedoch genau das Richtige. Und das will „Animal Rescue Team“ abbilden.
Eine Gefahr dieses Spiels ist das Quarterbacking oder auch Alpha-Leading. Alle Spieler haben die gleiche Information. Damit kann sich eine Beratung untereinander potenziell in einen Monolog verwandeln: Ein Spieler sagt, was getan werden muss, weil er der tollste ist oder sich für den tollsten hält. Damit wäre das Spiel für den Rest der Spielerunde nicht mehr wirklich ihres. Gerade in Runden mit starkem Erfahrungsgefälle droht eine solche Konstellation. Hier sollten sich alle in der Spielerunde einigen, dass alle auch angehört werden und nicht nur die Ideen eines Spielers verfolgt werden.
Der Schwierigkeitsgrad ist übrigens gut skalierbar, sodass das Spiel auch mit zunehmender Erfahrung Herausforderung zu bieten in der Lage ist. So bietet sich das Spiel sowohl für Familien mit wenig Spielerfahrung an als auch für Spieleexperten, die Spaß am Thema und an coolen Fahrzeugen auf dem Spielplan haben.
Fazit: Ich wünsche „Animal Rescue Team“ eine deutsche Lokalisierung. Warum? Ich finde es einfach wunderbar, auf die immer anderen Rahmenbedingungen reagieren zu müssen und im Team zu überlegen, was wir tun sollten. Wir müssen Krisen begegnen und flexibel bleiben. Das außergewöhnlich intuitive Handling der Fahrzeuge, Tiere und Co. macht Spaß und hat einen tollen „Toyfactor“. Durch den skalierbaren Schwierigkeitsgrad reicht die Zielgruppe vom Familienspieler bis hin zum erfahrenen Hobbyspieler. Als guter Mensch muss man das Thema förmlich mögen. Wer „Matt Leacock“-Spiele mag und bei Schweinchen nicht gleich an Mettwurst denkt, kann und sollte hier zugreifen. Für rund 45 € ist es online bei einigen bekannten Spieleshops erhältlich.
Animal Rescue Team
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 8 Jahren
Matt Leacock, Lisa Towell
Play to Z 2025
EAN 0850060734106
Sprache: Englisch
Preis ca. 45,00 EUR
