von Bastian Ludwig
Im Kartenspiel „Alien Artifacts“ übernimmt jeder Spieler das Kommando über eine von sechs Fraktionen, die mächtige Sternenreiche beherrschen. Ziel der Fraktionen ist es, das eigene Imperium auszubauen und gegen außerirdische Mächte, aber auch gegen die Mitspieler zu verteidigen – nun ja, dazu später mehr. Jede Fraktion besitzt unterschiedliche Start- und Siegbedingungen und individuelle Fähigkeiten.
Die Imperien setzten sich aus drei Hauptkomponenten zusammen: Raumschiffen, Technologien und Planeten. Diese drei Basis-Kartentypen kann man mit Credits erwerben und dann mittels Ressourcenkarten dem eigenen Reich einverleiben. Einmal erspielt, kann man eine der beiden Kartenseiten wählen: Die sogenannte Logistikseite verleiht permanente Boni, auf der Operativseite finden sich Effekte, die man im Laufe des Spiels durch Ressourceneinsatz auslösen kann und die zum Beispiel Siegpunkte oder Ressourcen bringen.
Mit Raumschiffen kann man gegnerische Fraktionen oder Alien-Systeme angreifen. Aus verschiedenen Werten errechnet man einen individuellen Angriffswert, den man dann mit einem sogenannten Verteidigungsplan vergleicht, der positive wie negative Konsequenzen des Angriffs verrät. Beste Belohnung sind die Alien-Artefakte, die dem Spiel seinen Namen geben. Durch sie erhält man besonders wertvolle Ressourcen oder Boni.
Lohn der ganzen Mühen sind wie erwähnt Siegpunkte. Man bekommt sie aus verschiedenen Quellen; zentral sind die Anzahl der Schiffe, Planeten und Technologien im eigenen Imperium und die individuellen Siegbedingungen einer jeden Fraktion. Wer am Ende die meisten Siegpunkte hat, gewinnt.
Auf den ersten Blick überwältigt „Alien Artifacts“ mit der für Strategiespiele typischen Regelflut: viele Karten, viele kryptische Symbole, viele unverständliche Effektbeschreibungen, viele Aktionsmöglichkeiten. Und die Anleitung macht es einem nicht gerade einfacher: Da gibt es unklare Formulierungen, manche zentrale Regel findet sich nicht da, wo man sie erwarten und benötigen würde, sondern erst in der Zusammenfassung auf der letzten Seite, und in mindestens einem Fall sind Symbole und Begriffe einander in der Anleitung anders zugeordnet als auf den Hilfekärtchen, auf denen die Regeln zusammengefasst sind.
Man muss sich in „Alien Artifacts“ also ein wenig erarbeiten. Ist diese Hürde genommen, zeigt das Spiel aber eine erfreuliche Balance zwischen Komplexität und Eingängigkeit. Bei Spielen dieser Art kann es schon mal passieren, dass man den Überblick über die kumulierten Effekte der eigenen Auslage verliert. „Okay, die Technologiekarte kostet im Grundwert fünf Credits, plus sechs Credits für die Technologien in meinem Imperium, der Planet hier reduziert den Preis aber um zwei ...“ – man kennt das ja. Bei „Alien Artifacts“ funktioniert das aber recht gut. Das liegt an übersichtlichen Karten, die die wesentlichen Informationen anschaulich und plakativ präsentieren, und an der Anzahl der Spielelemente, die vielfältig, aber nicht überladen sind. Noch besser wäre es allerdings, wenn man eine Zählleiste hätte, um die aktuellen Boni in Echtzeit festzuhalten – dann müsste man weniger rechnen.
Das Spiel erfreut mit ein paar cleveren Mechanismen. Beispielsweise erhöht sich mit jeder Karte, die man ins Imperium bringt, die Anzahl an benötigten Ressourcen für die nächste Karte. Im Gegenzug kann man die Kosten für teurere Bauprojekte auch über mehrere Runden ansparen. Das sorgt auf einfache Weise für durchaus launiges, aber nie zu fummeliges Ressourcenmanagement. Insgesamt ist der Spielfluss dann auch sehr flott. Lange Wartezeiten gibt es kaum, man hat immer genügend Handlungsoptionen, sodass es nicht langweilig wird, aber nie so viele, dass man sich in ewigen Abwägungsspiralen verliert.
Das bisher Gesagte gilt vor allem in Sachen Technologieerforschung und Planetenentdeckung. Öde ist hingegen der Kampf. Karte ziehen, Kampfwert berechnen, Konsequenz ablesen: Mehr ist es nicht. Spannung fehlt den Kämpfen nicht nur, weil selbst die schlechtesten Konsequenzen nicht wirklich schlimm sind, sondern auch, weil man ihr Ergebnis quasi vorhersagen kann. Lediglich ein Angriffsbonus wird zufällig gezogen, die restlichen Komponenten des Angriffswertes kann man sich vorher ausrechnen, der höchste Verteidigungswert liegt ohnehin nur zwischen 1 und 4. Kurz gesagt: Man bekommt meist eine der beiden besten Konsequenzen und weiß das auch vorher.
Trotzdem sind die Kämpfe – zumindest gegen Mitspieler – nicht besonders attraktiv, da die potenziellen Erträge überschaubar sind, man aber Ressourcen investieren muss und sich Feinde macht. Und nötig sind sie ohnehin nicht, denn die Spieler stehen nicht in Konkurrenz zueinander, wetteifern nicht um dieselben Karten oder Ressourcen. Es ist genug für alle da und man kann sehr bequem und erfolgreich nebeneinanderherspielen. Da ist es dann cleverer, sich auf die Alien-Systeme zu stürzen. Die können sich nämlich nicht wehren. Im besten Fall gibt es ein durchaus hilfreiches Alien-Artefakt, schlimmstenfalls ist halt ein Schiff futsch, wobei man selbst dann meist noch eine Belohnung bekommt. Da fällt die Kosten-Nutzen-Rechnung schon besser aus. Das ändert nichts daran, dass der Kampf wie ein Fremdkörper im Spielgefühl wirkt. Hätte man seine Mechanismen nicht in ein Kampfszenario, sondern in eines eingebettet, das in Richtung Erforschung oder Diplomatie geht, hätte das wesentlich besser zum Spielgefühl gepasst.
Und das bringt uns direkt zum Szenario, denn ebenso wie der Kampf den spielerischen Schwachpunkt von »Alien Artifacts« darstellt, kommen durch ihn auch die erzählerischen Probleme des Spiels ganz besonders zum Vorschein. „Alien Artifacts“ erhebt nämlich durchaus den Anspruch, eine relevante Science-Fiction-Welt zu zeichnen, nicht umsonst ist die Spielanleitung mit dem Titel „Willkommen im Artefakte-Universum“ überschrieben. Dann blättert man weiter und merkt: Atmo- oder Hintergrundtexte gibt es auf dem Spielmaterial kaum, in der Anleitung gar nicht. Wie die Fraktionen zueinander stehen, weiß man nicht – der in der Kampfmechanik angelegte, aber nicht begründete Konflikt zwischen den Sternenreichen wird also auch durch das Szenario nicht erklärt.
In den meisten Fällen ist das unelegant, aber man kann es ignorieren. Dann vergisst man das Szenario halt und konzentriert sich auf die Mechanik. Einfacher wäre das, wenn „Alien Artifacts“ nicht von einer unangenehm imperialistischen Attitüde durchzogen wäre. Das beginnt bei der Bezeichnung des eigenen Einflussbereiches als „Imperium“, findet seinen Höhepunkt in der Unterzeile des Titels, die da ganz heuchlerisch beteuert „Um zu überleben, müssen wir uns ausbreiten“, und endet noch nicht bei der Behauptung der Spieleanleitung, im Spiel müssten die Fraktionen nach Fortschritt streben, um Alien-Mächte zu besiegen, die die eigene Existenz bedrohten. Das ist Quatsch. Die Außerirdischen werden nie aktiv, sie tauchen im Spiel nur auf, wenn man sie zum eigenen Vorteil abschlachtet.
Zu dieser chauvinistischen Darstellung des Fremden passt es auch, dass die Außerirdischen gerade im Vergleich zu den individuell gestalteten Fraktionen auffallend gesichtslos daherkommen. Die Illustration eines Planeten hat man ihnen spendiert – stets die gleiche, wenngleich im Plural von „Alien-Systemen“ die Rede ist. Ihre Raumschiffe, geschweige denn auch nur eine Andeutung des Aussehens der vermeintlichen Aggressoren bekommt man nicht zu sehen. Das ist schade, denn ansonsten ist das Szenario von „Alien Artifacts“ ansprechend umgesetzt. Die Planetenkarten sind zwar alle recht ähnlich, Raumschiffe, Technologien und Fraktionen sind aber wunderbar bebildert und die Namen von Planeten, Raumschiffen, Technologien und Fraktionen verbreiten eine angemessene Science-Fiction-Atmosphäre.
Fazit: „Alien Artifacts“ ist ein flottes, angenehm zu spielendes Strategiespiel mit einer guten Balance zwischen Komplexität und Zugänglichkeit, das allerdings Probleme mit einer unausgereiften Kampfmechanik hat und dessen Szenario schwach erzählt und von einem unnötig imperialistischen Unterton geprägt ist.
Alien Artifacts
Kartenspiel für 2 bis 5 Spieler ab 10 Jahren
Marcin Ropka, Viola Kijowska
Pegasus Spiele 2018
Sprache: Deutsch
EAN: 4250231715662
Preis: EUR 44,95
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