von Ansgar Imme
Zum 40-jährigen Jubiläum von „Das Schwarze Auge“ („DSA“) ließ sich der Verlag Ulisses Spiele etwas Besonderes einfallen. Über das mittlerweile übliche (und wieder sehr erfolgreiche) Crowdfunding wurde eine Epochenspielhilfe realisiert, die sich in die Anfangszeit von „DSA“ zurück begibt, in der damals 1984 und die Jahre danach die ersten Abenteuer spielten und viele bekannte Meisterpersonen ihr literarisches Leben erblickten. So wie früher in den ersten Abenteuern kann man jetzt Kaiser Hal, Prinz Brin, den Schwertkönig Raidri Conchobair, Fürst Cuanu di Bennain und viele andere legendäre Nichtspielerfiguren erneut kennenlernen und Abenteuer an ihrer Seite oder in ihrem Auftrag erleben.
Die Epochenspielhilfe ist dabei nicht ganz neu, denn mit „Die Dunklen Zeiten“ gab es vor fünfzehn Jahren bereits eine hochgelobte Spielhilfe, die damals allerdings gleich mehrere Jahrhunderte der Epoche der sogenannten „Dunklen Zeiten“ abdeckte, welche in der Spielzeit Aventuriens etwa 1000-1500 Jahre zurückliegt. Dagegen bildet „Ära des Goldenen Kaisers“ einen viel kürzeren Rückblick in eine Zeit, die ältere Spieler durchaus schon erlebt haben und durch die sie jetzt noch einmal in ihre vielleicht „goldene Zeit des Rollenspiels“ zurückkehren können.
Neben der Epochenspielhilfe sind im Crowdfunding wie üblich etliche weitere Produkte erschienen, von denen das „Kompendium der Goldenen Kaiserzeit“ und „Mysterien der Goldenen Kaiserzeit“ sicherlich die wichtigsten sind, da diese das Ganze inhaltlich vertiefen, Geheimnisse für den Spielleiter, mehrere Kurzabenteuer sowie ein längeres Abenteuer mit Bezug zu der Zeit liefern.
Zum Inhalt
Auf 128 vollfarbigen und komplett regelfreien Seiten bekommt man einen Überblick über die Ära mit einer Beschreibung der Regionen, wichtigen Städten, bekannten Nichtspielerfiguren, aber auch Kultur, Wissenschaften, Handel, Magie und Götterglaube. Die leichte Anlehnung an die Weltbeschreibung „Aventurischer Almanach“ kommt sicherlich nicht von ungefähr, denn die „Ära des Goldenen Kaisers“ stellt einen verkürzten Almanach für die vergangene Zeit dar. Allerdings wurden einige Schwerpunkte anders gesetzt, und im Gegensatz zum Almanach mit 256 Seiten steht eben nur die Hälfte der Seiten zur Verfügung.
Nach einem umfangreichen und sehr detaillierten Inhaltsverzeichnis (ergänzt durch einen dreiseitigen Index am Ende des Bandes) wird im Vorwort kurz der Hintergrund der Epoche als auch der Umgang mit der Spielhilfe thematisiert, ehe es dann gleich „in die Vollen“ geht. Man erhält zunächst einen Überblick über die goldene Kaiserzeit und wie sich diese sowohl vom Land und den Herrschern als auch Bösewichten von der aktuellen Spielzeit unterscheidet. Ein kurzer Teil listet zudem tabellarisch die wichtigsten Ereignisse sowohl im Mittelreich als auch in den anderen Regionen Aventuriens auf.
Im ersten größeren Abschnitt werden über etwa 30 Seiten zunächst die Provinzen des Mittelreichs und dann die anderen Regionen Aventuriens beschrieben. Dabei wird jede Provinz wiederum in einzelne Grafschaften oder Gegenden unterteilt, deren besondere Merkmale – wie geografische Besonderheiten und prägnante Eigenarten der Bewohner – skizziert und deren jeweiliger Herrscher kurz vorgestellt werden. Dazu wird für jede Provinz und Region erläutert, wie sich diese im Lauf des Epoche ändert sowie ob diese besondere Verhältnisse zu anderen Provinzen oder Regionen hat.
In einem weiteren umfangreichen Kapitel werden wichtige Städte ganz Aventuriens kürzer oder länger vorgestellt. Man bekommt eine geografische Einordnung, wichtige Güter und Handwerke der Gegend sowie Besonderheiten der jeweiligen Stadt präsentiert. Für die Epoche oder die folgenden Ergänzungsbände herausragende Städte (Baburin, Ysilia, Gareth, Khunchom, Tuzak) werden mit einer ausführlicheren Beschreibung versehen und erhalten innerhalb des Bandes auch einen farbigen Stadtplan.
Die wichtigsten Personen der Epoche des Goldenen Kaisers werden auf den nächsten fast 20 Seiten vorgestellt, startend natürlich mit dem Goldenen Kaiser selbst. Hier finden sich Altspielern bekannte illustre Persönlichkeiten wie Answin von Rabenmund, Prinz Brin von Gareth, Dexter Nemrod, Stover Stoerrebrandt oder Thesia von Ilmenstein. Die wichtigsten von ihnen erhalten neben einer Illustration eine halb- bis einseitige Beschreibung, die auch den Werdegang oder die Veränderung während der Epoche erläutert. Einige weitere „Prominente“ – und wie sie und ihre Nachfolger die Epoche beeinflussen – werden in kürzerer Form und ohne Porträt beschrieben.
Mit „Kultur & Wissenschaft“ ist ein Teil benannt, der vor allem Hofstaat, Herr und Flotte beschreibt. Man erhält einen Einblick in den Aufbau der Reichsverwaltung, zu den Beratern des Kaisers, den Reichskanzleien und ihren Aufgaben, aber auch wichtigen Personen im Umfeld des Herrschers. Die Erbfolge wird ebenso erläutert, wie Heer, Flotte und Agentenwesen des Mittelreichs vorgestellt werden. Mit zwei besonderen Abschnitten werden die Künste Leonardos des Erfinders sowie der Wettstreit der zwei berühmten Thorwaler Kapitäne Phileasson und Beorn gewürdigt.
Einem Epochenband darf natürlich auch ein größerer Abschnitt zur Historie nicht fehlen, welcher mit der Thronbesteigung Hals 993 nach Bosparans Fall beginnt und seinem Verschwinden 1010 nach Bosparans Fall endet. Wichtige Phasen und Momente seiner Kaiserzeit werden besonders herausgegriffen und ausführlicher beschrieben.
Der Band schließt mit drei kürzeren Abschnitten zu Handel & Wandel, den Göttern sowie der Zauberei ab. Hier werden sowohl die wichtigsten Güter einzelner Provinzen und Handelswege wie Flüsse und Straßen vorgestellt als auch besondere Ereignisse und Kriege bestimmter Regionen skizziert. Man lernt die wichtigsten Protagonisten der zwölfgöttlichen Kirchen kennen sowie besondere Momente, die den jeweiligen Glauben prägen. Es werden auch wichtige Orden und andere Glaubensrichtungen wie Rastullah, Rur & Gror oder der Namenlose dargestellt. Besondere magische Forschungsfelder, eine Liste der Magierakademien sowie prägende Persönlichkeiten der magischen Zunft finden sich dann zum Abschluss.
Bewertung
Wer als Spieler und Spielleiter mit dieser Zeit groß geworden ist, wird sich gleich wieder „wie zu Hause“ fühlen und viele schöne Erinnerungen haben. Der Epochenband orientiert sich dabei nicht nur am Almanach, sondern gefühlt auch an „Das Land des Schwarzen Auges“ von 1989.
Man bekommt insgesamt einen sehr guten Überblick über die verschiedenen Regionen, wichtige Personen, Städte, Ereignisse sowie Magie und Götterglauben zu jener Zeit. Die einzelnen Kapitel und Texte bilden damit vor allem einen Einstieg, ohne sehr in die Tiefe zu gehen. So erhält man eine gute Basis für eigene Ideen zu Abenteuern und Szenarien sowie welche Änderungen man zum aktuellen Aventurien vornehmen muss. Allerdings macht es dies auch nicht leicht für unerfahrene Spieler und Spielleiter, für die vieles durchaus fremd erscheinen muss. Dazu fehlt für diese eben Hintergrundwissen, was diese Spielhilfe so aber nicht anbieten kann. Da sind Regionalspielhilfen gefragt. Erfahrene und vor allem eben die älteren Spieler, die diese Zeit spielerisch bereits erlebt haben, werden dagegen vieles finden, was sie kennen und neu wieder entdecken. Mit diesem Band erhält man dazu eine wesentlich strukturiertere Darstellung, als es die alten Spielhilfen vor 30 bis 40 Jahren geboten haben, was für Altspieler den Mehrwert deutlich erhöht.
Hilfreich ist die kurze Einleitung, die zum Einsatz der Spielhilfe Tipps gibt, was durchaus eben den Spielern zu Gute kommt, die diese Zeit nicht spielerisch erlebt haben. Die Texte selbst lesen sich dann auch bereits recht spannend. Dies mag durchaus an der Kürze liegen, auf die sich die Autoren beschränken, sodass man gerade die Gegenden eher nur mit bestimmten Stichworten verbindet. Dies sorgt aber für Prägnanz und lässt einen bereits während des Lesens ab und zu auf Abenteuerideen kommen. Auch die mehrfachen Verweise auf andere Themen oder Personen im Band stellen einen Mehrwert dar und führen schnell zum Schmökern quer durch den Band. Ebenso werden Konflikte zwischen den Provinzen wie auch zwischen Personen gut herausgearbeitet, sodass man hier Potential für das Spiel hat.
Auch wenn sich die Goldene Kaiserzeit vor allem dem Mittelreich widmet, werden andere Gegenden, Städte und Personen ausreichend bedacht. So kann ein Nicht-Mittelreich-Fan auch zugreifen und seine Schwerpunkte im Orkland, den Tulamidenlanden oder Al’Anfa verwirklichen. Speziell die Tulamidenlande und Aranien sind ein zweiter kleinerer Schwerpunkt neben dem Mittelreich selbst, zudem sie zu dieser Zeit noch ein Teil des Reichs sind beziehungsweise sich gerade abspalten. Hier findet man auch gleich zwei der Farbkarten und ausführlicheren Stadtbeschreibungen.
Da die Epoche noch mehr als heutige Abenteuer Kontakte mit den Großen des Reiches ermöglichte, sind deren Beschreibungen ebenso sehr sinnvoll. Hier findet man auch wieder bereits in den allgemeinen Beschreibungen Konflikte, Feindschaften oder generelle Ansätze, die Abenteuerpotential bieten, einen Auftraggeber präsentieren oder die Figur ganz allgemein interessant wirken lassen.
Ganz ohne Kritik kommt der Band aber doch nicht aus: Das Kapitel und vor allem die Einzelheiten um Hoftage, Reichsverwaltung und Hofstaat lässt sich zwar gut lesen, wirkt aber viel zu detailliert und liefern etliche Informationen, die man nicht wirklich im Spiel benötigt. Recht ähnlich verhält es sich mit den Texten zu Flotte und Heer, wo etwa die einzelnen Garderegimenter und Provinztruppen aufgeführt und beschrieben werden.
Die Seitenersparnis hätte man dann vielleicht dem Götterglauben widmen können, der zwar prägnant Wichtiges zu den verschiedenen Glaubensrichtungen auf den Punkt bringt, aber durchaus die eine oder andere Seite für passende Konflikte oder weitere handelnde Personen mehr hätten vertragen können. Dagegen sind die Abschnitte zum Handel und Beziehungen der Reiche sowie die magischen Gemeinschaften mit komprimierten Informationen so gestaltet, dass man die Zeit und Personen passend darstellen sowie Personen zur Interaktionen bereitstellen kann.
Abschließend noch ein Lob zur Gestaltung: Das Layout und Schrift lässt sich sehr angenehm lesen. Die Illustrationen sind gut, wenn auch manchmal allgemeiner Fantasy-Stil, teilweise hervorragend bei den Porträts und außerordentlich wie immer bei den Stadtplänen.
Fazit: Wer immer schon mal in der „guten alten Zeit“ spielen wollte – oder dies gern wieder tun würde –, findet hier die passende Grundlage. Sowohl für eine Rückkehr als auch für einen Neueinstieg werden viele Informationen bereitgestellt, mit denen man vor allem spielen als auch den Hintergrund passend gestalten kann. Dazu finden sich einige Anregungen, um Abenteuer zu schaffen. Speziell der Spielleiter sollte aber eine gewisse Erfahrung besitzen, um auf der Grundlage eines Bandes eine Spielrunde durch Abenteuer zu führen. Sofern man nicht unbedingt nur in der aktuellen Spielzeit aktiv sein möchte, ist der Band auf jeden Fall eine Empfehlung.
Ära des Goldenen Kaisers
Quellenbuch
Anni Dürr, Nikolai Hoch, u. a.
Ulisses Spiele 2024
ISBN: 978-3-9873222-9-7
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: 39,95 EUR
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