Abenteuer in Mittelerde – Spielerhandbuch (II)

Das vorliegende Spielerhandbuch von „Abenteuer in Mittelerde“ („AiM“), erschienen im Truant-Verlag, stellt eine Transformation der Spielregeln von „Der Eine Ring“ (Uhrwerk-Verlag) in der deutschen Übersetzung beziehungsweise „The One Ring“ (Cubicle 7) im englischsprachigen Original nach den Regeln von Rollenspiel-Urgestein „Dungeons & Dragons“ („D&D“) in der 5. Edition dar, gemäß den Leitlinien der Open Game License (OGL). Wie gut diese Übertragung gelungen ist und ob „AiM“ etwas taugt, kann man in dieser Rezension nachlesen.

von Markus Kolbeck

Dass „AiM“ auf „D&D“ beruht, heißt dann auch, dass man die Kernregeln von „D&D“ braucht, also mindestens das „D&D Spielerhandbuch“ und das „D&D Spielleiterhandbuch“, vielleicht auch noch das „D&D Monster Manual“, abhängig davon, ob und wann Kreatureninfos für „AiM“ erscheinen. Für die „D&D“-Kernregeln muss man dann in der deutschen Übersetzung 100 Euro, mit „Monster Manual“ 150 Euro zahlen. Dazu kommen noch rund 40 Euro für das „AiM Spielerhandbuch“ und rund 40 Euro für das „AiM Spielleiterhandbuch“. Das macht allein für die Spielregeln 180 Euro bis 230 Euro, plus Ausgaben für Sichtschirm (den es wohl auch geben wird) und vermutlich ein Kreaturenbuch. Das finde ich recht saftig dafür, dass man Abenteuer auf Mittelerde spielen will/kann.

Zu dieser Aufrechnung gibt es aber auch eine Alternative. Man kann nämlich statt der etwas teuren Kernregeln das „D&D“-Einsteigerset für 25 Euro erwerben. Darin ist laut dem Truant-Verlag alles Grundlegende für „D&D“ der 5. Edition enthalten, lediglich für die Charaktergenerierung muss man zusätzlich auf das „AiM“-Spielerhandbuch zurückgreifen. So ist man mit rund 105 Euro für das Gesamtregelwerk dabei. Laut Truant-Verlag wird es wohl vor 2020 auch keinen Kreaturenband für das deutschsprachige „AiM“ geben (da er auch bei Cubicle 7 erst für nächstes Jahr anvisiert ist), dafür werden Kreatureninfos in den Abenteuer- und Quellenbänden enthalten sein.

Zum Inhalt

Als erstes gibt es einen Überblick über Wilderland, auf dem das Hauptaugenmerk von „AiM“ (wie auch schon von „Der Eine Ring“) liegt. Für Nichteingeweihte: Das ist die Region östlich des Nebelgebirges und nördlich des Elbenwaldes Lorien. Es beinhaltet Erebor, den Einsamen Berg, Seestadt, Thal und den verwunschenen Düsterwald samt den Hallen des Elbenkönigs – im Wesentlichen die Schauplätze der zweiten Hälfte der Tolkien-Vorlage „Der Hobbit“. Es werden auch die Freien Völker Mittelerdes vorgestellt, auch über Wilderland hinaus, sodass man bei der Charakterwahl später nicht auf Wilderland-Völker beschränkt sein muss. Im nächsten kurzen Kapitel wird eine Übersicht über die Regeln gegeben und die „AiM“-spezifischen Unterschiede zu den Regeln von „D&D“ aufgeführt.

Im dritten Kapitel geht es richtig los mit den Kulturen, also den spielbaren Völkern Mittelerdes. Es sind elf an der Zahl: Bardinger, Beorninger, Dúnedain, Elben aus dem Düsterwald, Hobbits aus dem Auenland, Leute von Bree, Leute vom See, Menschen aus Minas Tirith (in Gondor), Reiter von Rohan, Waldmenschen Wilderlands und Zwerge des Einsamen Berges. Mit den Leuten von Bree, den Menschen aus Minas Tirith und den Reitern von Rohan sind Kulturen dabei, die in den Kernregeln von „Der Eine Ring“ nicht aufgeführt wurden, aber teilweise in Quellenbänden Erwähnung fanden. Hier sind sie alle komplett, nur die Elben von Bruchtal sind außen vor geblieben.

Im vierten Kapitel werden sechs Mittelerde-typische Klassen aufgezählt. Gelehrter (mit der Möglichkeit auf Meisterheiler zu spezialisieren), Hüter, Krieger, Rächer, Schatzsucher (mit der Möglichkeit auf Meisterdieb zu spezialisieren) und Wanderer. Magier im engeren Sinne gibt es also nicht und man sollte auch keine Feuerball werfenden Magier aus „D&D“ importieren, dazu ist die Magie in Mittelerde zu subtil. Es folgen in einem eigenen Kapitel die kulturellen Vorteile, die sich jedem spielbaren Volk bieten. Zusätzlich werden noch Hintergründe in einem weiteren Kapitel genannt, die das Spiel und die Charaktere bereichern. Im Kapitel „Ausrüstung“ wird selbige behandelt, auch Kräuter, Tränke und Salben sowie kulturelle Erbstücke, die jedes Volk an seine Helden weitergeben kann.

Im nächsten Kapitel werden Reisen zu einem eigenen Abenteuer, was schon bei „Der Eine Ring“ ein echter Pluspunkt war, was die Regeln betrifft. Im Kapitel „Der Schatten“ geht es ums Verderben durch böse Einflüsse und die Folgen (Wahnsinn, Verfall, dunkle Makel) bis der Spielercharakter an den Schatten verloren ist und ein NSC wird. Das System der Vergabe von Schattenpunkten ersetzt das altbekannte Gesinnungssystem von „D&D“. Man sollte sich im Klaren darüber sein, dass bei „AiM“ wie auch „Der Eine Ring“ davon ausgegangen wird, dass alle Charaktere mehr oder weniger guter Gesinnung sind. Wer einen Schurken spielen will, sollte ein anderes Rollenspiel wählen. Es folgen kurze Regeln zu Audienzen (die vielfältige Interaktion aus „Der Eine Ring“ mittels verschiedener Fertigkeiten haben die Regelentwerfer auf einen Würfelwurf und eine Interaktionstabelle reduziert). Danach sind Regeln zur Gefährtenphase dran, es gibt vorgefertigte Charaktere, leere Charakterbögen zum Kopieren, einen Index und eine kurze Regelzusammenfassung.

Anmerkung zu den Fehlern im Regelband

Ich habe drei Fehler die Regeln betreffend in Spielerhandbuch entdeckt. Im Kapitel „Reisen“ sind hohe Ergebnisse auf der Aufbruchstabelle gut, auf der Reiseereignistabelle aber niedrige Ergebnisse besser. Der auf Seite 168 unter Ergebnis „10“ genannte Modifikator für die Reiseereignistabelle muss folgerichtig statt +1 richtigerweise -1 heißen. Der unter Ergebnis „12“ genannte Modifikator muss statt +2 richtigerweise -2 sein. Auf Seite 166 im gleichen Kapitel heißt es, dass die Stufe des Geländes durch seine Schwierigkeit und dadurch, ob Winter ist, um maximal 5 steigen kann. Auf Seite 169 wird aber im Beispiel bei einer Reise durch Angmar im Winter ein Modifikator von +6 (5+1) auf den Schwierigkeitsgrad genannt. Das kann maximal +5 sein.

Kritik

Neben dem eingangs kritisch erwähnten hohen Preis der Spielregeln (weil man auch noch die „D&D“-Kernregeln braucht) gilt: Was für die einen Spieler und Spielleiter ein Pluspunkt ist, ist für die anderen undenkbar: Dass das Grundregelwerk „Dungeons & Dragons“ ist. Das hat den schalen Beigeschmack nach Powergaming und Hack & Slay beziehungsweise Dungeon-Hopping (das Springen von einem Verlies zum nächsten ohne Zwischenspiel und mit wenig Rollenspiel). Ich hatte dies auch befürchtet, kann aber teilweise Entwarnung geben: Die Regeln von „Der Eine Ring“ wurden recht gut an „D&D“ angepasst, insbesondere wurden die Charakterklassen mit Bedacht gewählt, Regeln für Reisen, Audienzen und die Gefährtenphase sind auch interessante Neuerungen gegenüber den Basisregeln von „D&D“. Bis mindestens zur 3. Edition von „D&D“ hatte dieses kein gut spielbares Fertigkeitensystem. Als Resultat hatte man die Fertigkeiten im Spiel vernachlässigt. Das ist spätestens mit „D&D“ der 5. Edition viel besser geworden, was man an den Fertigkeitensystem in „AiM“ erkennen kann. Die neuen Settingregeln erlauben stimmiges, tolkieneskes Rollenspiel auf der bekanntesten aller Fantasywelten, nämlich Mittelerde. Wer aber noch eine Schippe darauflegen will, dem sei das zugrundeliegende Original, nämlich „Der Eine Ring“ empfohlen, wenn man es noch bekommt. Der Uhrwerk-Verlag hat nämlich die Lizenz für die deutschsprachige Übersetzung von „The One Ring“ zurückgeben. Damit ist die Zukunft des „Der Eine Ring“-Rollenspiels auf Deutsch ungewiss.

Fazit: In Prozent ausgedrückt (auch wenn das im „Ringboten“ nicht üblich ist): „Abenteuer in Mittelerde – Spielerhandbuch“ bekommt eine Wertung von 80% von mir und das „Der Eine Ring“-Rollenspiel 100%.

Abenteuer in Mittelerde – Spielerhandbuch

Regelwerk
James Brown, Paul Butler, Walt Ciechanowksi u. a.
Truant Verlag 2018
ISBN: 9783934282889
230 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

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