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Beyond the Horizon

Dennis K. Chan hat sich Verstärkung gesucht – Adam Hill, Ben Pinchback und Matt Riddle – und aus „Beyond the Sun“ ein Zivilisationsspiel gemacht. Glücklicherweise hat mir der PD-Verlag das nun auf Deutsch erschienene „Beyond the Horizon“ in meinen Briefkasten stecken lassen. Also zog ich los, den Nachfolger zu „Beyond the Sun“ (Strohmann Games) zu erkunden. Es lässt sich sagen: Der Technologiebaum wächst auch jenseits des Horizonts, doch diesmal siedeln wir mit- und nebeneinander und entdecken und erschaffen gemeinsam eine sechseckige Welt. 

von LarsB

„Siehst du den Horizont? / Direkt über’m Boden fängt der Himmel an / Und wär’ ich dort, dann würd’ ich wetten, dass ich ihn erreichen kann / Doch hier hat es den Anschein / Bin ich dafür zu klein.“ („Rückenwind“, Thomas D.).

„Beyond the Horizon“ nimmt nicht nur den Kernmechanismus „Technologiebaum“ von „Beyond the Sun“, sondern es nimmt sich gleich den ganzen Technologiebaum selbst. Was gut funktioniert, sollte man eben nicht ändern. Anstatt Planeten aus einer vorgefertigten Mini-Sternsystem-Karte zu erobern und besiedeln, legen wir nun räumlich deutlich ausladender eine Hexagonlandschaft aus, gründen Siedlungen und Städte und bauen gemeinsam bedeutende Bauwerke. Wir haben nicht mehr nur Raumschiffe, die wir über den Spielplan schicken, sondern mit Siedlern und Soldaten zwei unterschiedliche Einheiten. Was macht das für ein Spiel aus „Beyond the Horizon“?

Das Spielmaterial

„Ja, das kenne ich doch“, dachte ich beim Aufklappen des Spielbretts. Dort dominiert der Technologiebaum, dem wir im Laufe der Partie durch die weise Auswahl von Entwicklungen Gestalt geben werden. Die Verknüpfungen des Baums sind tupfengleich zu denen bei „Beyond the Sun“. Unterschied: Der Spielplan ist hier schön anzusehen. Er ist nicht nüchtern und kalt, sondern freundlich gestaltet. Das gilt im Prinzip für alle Materialien in „Beyond the Horizon“, wodurch es sich von seinem Vorgänger unterscheidet. Das ist ein erster Fingerzeig auch für das Spiel selbst. Auf den Stanzbögen finde ich dann noch einen ganzen Haufen weiterer Plättchen und Token, die ich aus „Beyond the Sun“ nicht kenne. Dafür fehlen die vielen „Beyond the Sun“-Würfel.

Die eigenen Playerboards kommen in Double-Layer-Ausführung daher. Gut so, denn hiermit wird dem Verrutschen der zahlreichen Holzmarker wirkungsvoll Einhalt geboten. Alle Holzmarker sind großzügig und hochwertig gestaltet. Die Spielerfarben sollten farbenblinden Spielern entgegenkommen.

Zwei „Aber“ gibt es dann doch. Die taillierten Spielfiguren sind auf dem Spielbrett zunächst „passiv“ und müssen dann umgedreht werden, um sie zu aktivieren. So richtig gut lassen sich die aktiven und passiven Zustände dann aber nicht ablesen. Dafür sind die Basis und Oberseite der Figuren zu ähnlich gestaltet. Dazu kommt, dass die Fertigungstoleranzen einfach zu groß gewählt sind. Die aktiven Figuren werden dann durch Plättchen, die man ihnen obendrauf legt, in der Hexagonlandschaft zu Siedlern oder Soldaten unterschiedlicher Stärke. Diese Plättchen fallen beim Versetzen der Figuren leider viel zu leicht herunter. Im ungünstigen Fall hat man sich nicht gemerkt, mit welcher Seite das Plättchen auf der Figur lag. Nicht ganz ernst gemeint schlage ich daher die Hausregel vor, dass ein heruntergefallenes Plättchen immer auf die schwächere Seite zurückgelegt werden muss. So hätte „Beyond the Horizon“ auch eine Geschicklichkeitskomponente.

Das sehr schlüssig aufgebaute Hauptspielbrett ist bereits groß. Nimmt man die persönlichen Spielerboards, die Gebäudeauslage, die aufzubauende Landschaft, den Platz für Nachziehkarten und Plättchen dazu, braucht das Spiel sehr viel Platz auf dem Tisch. Das ist nicht negativ, weil fast nichts zu klein oder fitzelig daherkommt. Fast alles ist gut ablesbar. Manches ist aber einfach weit weg. Dafür es macht „Beyond the Horizon“ etwas her auf dem Tisch. Aber für kleine Küchentische ist das Spiel eben wirklich nichts. In diesem Zusammenhang wundern mich die 1er-Münzen im Miniformat, deren Handling aber okay ist.

Der Spielablauf

Am Ende der Partie werden Siegpunkte den Sieger küren. Diese sammelt man im Laufe der Partie durch das Entdecken beziehungsweise Erfinden neuer Technologien, durch das Besiedeln von Landschaften, das Errichten von Städten und Gebäuden sowie das Erreichen von Spielzielen. Stufe-4-Technologien bescheren einem, wie aus „Beyond the Sun“ bekannt, zum Ende der Partie weitere Punkte. Das Ende der Partie wird durch das Erreichen von modularen Spielendebedingungen eingeläutet, gemäß ausliegender Zielkarten. Diese sind bei „Beyond the Horizon“ modularer als bei „Beyond the Sun“.

Bis dahin bewegen sich alle Spieler reihum durch vier Phasen, die kettenzugaffiner als bei „Beyond the Sun“ sind. Das liegt in der Hauptsache an der neu eingeführten Phase 2. Während man in Phase 1 analog zu „Beyond the Sun“ seine Aktionsauswahl mit dem Versetzen des Aktionsmarkers tätigt, hat man in Phase 2 mit dem Fokus auf den Landschaftsteil des Spiels die Möglichkeit, Siedlungen und Städte zu gründen oder an Gebäuden zu bauen. Hieraus entstehen mitunter weitere Aktionsmöglichkeiten. Phase 3 ist eine Einkommensphase, während in Phase 4 nur kurz kontrolliert wird, ob man eine Zielkarte erfüllt und somit dem Spielende wieder näher gerückt ist.

Das Dominante von „Beyond the Horizon“ bleibt die Technologiebaum-Mechanik. In vier Stufen werden Technologien aus vier verschiedenen Kategorien entdeckt, die in ihrer Art entlang eines Pfades aufeinander aufbauen. Mit dem Erforschen erschließen sich die Spieler neue Aktionsmöglichkeiten, die mit höherer Technologiestufe mächtiger werden. Dem Pionier wird die Möglichkeit der Technologiesteuerung gewährt. Allen Spielern steht frei – bei entsprechender technologischer Vorbildung –, jede bereits erschlossene Technologie nachzuvollziehen und für sich einsetzbar zu machen.

Viele der Technologiekarten erlauben dem Spieler Interaktionen mit den Landschaftsplättchen. So lassen sich etwa Einheiten (meistens aus dem aktiven Vorrat) rekrutieren und auf Landschaftsplättchen einsetzen. Dabei wird zwischen Siedlern und Soldaten unterschieden. Letztere können im Prinzip nur Städte gründen – für einen Haufen Siegpunkte. Siedler sind da schon deutlich vielseitiger. Sie sind in der Lage, Dörfer zu gründen, neue Landschaften zu entdecken und Gebäude zu bauen. Das belohnt den Spieler mit unterschiedlichsten Sofortboni: Siegpunkten, neuen Einheiten, der Aufwertung bestehender Einheiten, neuen Gebäudeplättchen, usw. Um Dörfer oder Städte gründen zu können, müssen die auf dem Landschaftsplättchen versammelten eigenen Einheiten eine Mindestgesamtstärke haben.

Dann gibt es da noch die Zivilisationstableaus, die vor jedem Spieler ausliegen. Dort ist quasi die eigene Volkswirtschaft abgebildet. Neu bei „Beyond the Horizon“ ist hier etwa die Regierungskarte, die jedem Spieler eine besondere Fähigkeit zum Start der Partie verleiht. Durch das Voranschreiten auf der (neuen) Infrastrukturleiste wird eine weitere Fähigkeit der Regierung, ihr Sofortbonus und schließlich eine zusätzliche Spielendewertung freischaltet. Die Infrastrukturleiste ist eine von drei holzwürfelbelegten Leisten, die durch das Erforschen neuer Technologien und insbesondere das Besiedeln von Landschaften sowie das Errichten von Gebäuden freigeschaltet werden. Die Nahrungsleiste verbessert den Zugriff auf Bevölkerungssteine, die Siedler respektive Soldaten werden oder die Erforschung von Technologien markieren. Die Wirtschaftsleiste erhöht unser Münzeinkommen. Münzen wiederum werden häufig für das Nutzen von Technologien fällig.

Ganz oben findet man auf den Zivilisationstableaus eine Investitionsleiste, die durch das Befüllen mit Würfeln aus den Wirtschaftsleisten zunächst Sofortboni und später Siegpunkte geben.

Das Spielgefühl

Auch „Beyond the Horizon“ kann man mit „Technologiebaum – Das Spiel“ beschreiben. Das gemeinsame Gestalten des Technologiebaums, das Finden von Synergien, das bewusste Fokussieren auf die Stärken, die einem die Regierungskarten verleihen ohne dabei die Balance zu verlieren, verlangen sehr interessante Entscheidungen. Wenn man Mitspielern Technologien komplett überlässt, hat dieser uneingeschränkten Jederzeit-Zugriff darauf. Eine zu einseitige Konzentration auf nur einzelne Teile des Technologiebaums ist sowohl mit dem Risiko der ultimativen Gegnermaschine wie auch mit einer zu spezialisierten eigenen Maschine verbunden. Bestimmte Aktionen stehen einem dann nur in der teuren und wenig mächtigen Grundversion zur Verfügung. Damit ist der Leidensdruck in jeder Partie und auch mit unterschiedlichen Spieleranzahlen unterschiedlich, sich von den Basisaktionen unabhängig zu machen. Partien laufen hier oft mehr sehr unterschiedlicher Dynamik und damit abwechslungsreich ab.

Bei „Beyond the Horizon“ liegen die Technologiekarten der Stufe 4 bereits zu Beginn der Partie sichtbar aus. Die Endwertungsbedingungen passen mal mehr und mal weniger gut zu den Stärken der eigenen Regierung oder den gegenüberliegenden Starttechnologien in der Stufe 1. Damit wird „Beyond the Horizon“ ein gutes Stück strategischer als „Beyond the Sun“. Man sollte sich einen Matchplan zurechtlegen.

Die unterschiedlichen Regierungskarten verpassen dem Spiel eine gute Portion Asymmetrie. Der eine Spieler kann seine Siedler schneller bewegen und kann sogar zwei statt nur ein Landschaftsplättchen pro Zug entdecken. Der nächste Spieler bekommt jedes Mal eine Münze, wenn er Würfel Richtung Investitionsleiste verschiebt und ist freier bei der Wahl der Leisten. Und beim dritten Spieler sind die Soldaten generell stärker und können sogar Gebäude bauen und Landschaften entdecken. Es ist interessant, sich auf die Stärken seiner Regierung einzustellen und eine passende Strategie zu schmieden, die auch zum Rest der Spielbretter passt.

Bis hierhin ist „Beyond the Horizon“ die nächste Evolutionsstufe von „Beyond the Sun“. Der Landschaftsteil des Spiels ist der Teil des Spiels, an dem sich die Geister scheiden werden. Das Spiel, was man quasi neben dem Technologiebaumpart spielt, ist bei „Beyond the Horizon“ ein deutlich anderes als bei „Beyond the Sun“. „Beyond the Horizon“ ist deutlich weniger konfliktbeladen. Bei „Beyond the Sun“ hat man sich in Weltraumschlachten bekämpft und hat gehofft, die Dominanz über einen Planeten solange zu behalten, bis man ihn endlich besiedeln und sich damit sichern konnte. Die Einkommensleisten hatten unter schmerzlichen Niederlagen gelitten. Es war ein Hin und Her.

Bei „Beyond the Horizon“ dominiert ein Wettrennen-Charakter. Ich kann Dörfer und Städte unabhängig von der Anzahl der feindlichen Einheiten auf dem gleichen Landschaftsplättchen gründen. Und wenn ich ein Dorf gründe, kann jeder andere Spieler daraus eine Stadt machen. Und wenn ich ein Gebäude baue, dann möchte ich sogar, dass ein anderer Spieler das Gebäude erweitert, weil es mir einen Siegpunktbonus beschert. Kurz gesagt, die Spieler bauen hier wahrhaft gemeinsam eine Welt auf. Der Wettbewerbscharakter kommt hier über die Effizienz und Schnelligkeit ins Spiel. Wer gründet die Siedlung mit dem attraktiven Bonus am schnellsten? Überbaue ich das Landschaftsplättchen mit einem Gebäude, bevor Du hier eine Siedlung gründen konntest? „Beyond the Horizon“ spielt sich deutlich harmonischer, „Beyond the Sun“ ist spannungsgeladener. Es ist sicherlich der persönliche Gusto, welche Geschmacksrichtung man hier bevorzugt. Auf der anderen Seite rechtfertigt dieser Unterschied für den einen oder anderen Spieler auch die Beherbergung von „Beyond the Sun“ UND „Beyond the Horizon“ in einer Spielesammlung.

Durch die „Expansionsphase“ im Anschluss an die Aktionsphase ergeben sich Möglichkeiten für Kettenzüge. Durch das Bauen von Gebäuden oder dem Gründen von Dörfern erhält der Spieler möglicherweise weitere Aktionsmöglichkeiten. Die Kettenzüge bei „Beyond the Horizon“ ufern aber nicht aus, sodass es für die Mitspieler keine „Downtime-Explosion“ gibt.

Fazit: „Beyond the Horizon“ ist schöner illustriert als „Beyond the Sun“ und es ist opulenter ausgestattet – mit ein, zwei kleinen Schwächen. Der Technologiebaumteil des Spiels hat im Vergleich zu seinem Vorgänger eine gute Regelpolitur bekommen: Der dritte Entwicklungspfad, die Regierungskarten und die vorher bekannten Level-4-Technologien bieten mehr strategische Tiefe. Das Spiel neben dem Technologiebaum stellt den gemeinsamen Aufbau einer Welt mit Wettrenncharakter in den Vordergrund. Einigen Spielern wird das aber zu viel von der Prickelspannung von „Beyond the Sun“ nehmen, anderen wird dieser Teil zu trivial sein. Dennoch, „Beyond the Horizon“ wird seinen Platz in vielen Spielesammlungen finden – vorausgesetzt der Spieletisch ist groß genug.

Beyond the Horizon
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Dennis K. Chan, Adam Hill, Ben Pinchback, Matt Riddle
PD-Verlag 2025
EAN 4260754850139
Sprache: Deutsch
Preis 59,80 EUR

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