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Civolution

„Civolution“ ist im Herbst 2024 auf der Spiel in Essen bei Deep Print vorgestellt worden. „Ein heftiger Feld“, war da zu hören. Eine Spielzeit jenseits der drei Stunden wurde bald darauf auf einschlägigen Youtube-Kanälen berichtet. Das hört sich für viele Nicht-Experten-Spieler womöglich sehr abschreckend an. Aber das wäre schon ein bisschen schade, es bei diesem Kurzurteil zu belassen.

von LarsB

Stellt euch vor, ihr geht zur Berufsberatung und es wird euch – nach gründlicher Analyse eurer Fähigkeiten und Interessen – Zivilisationsdesign vorgeschlagen. Das würde hier auf der Erde wohl so nicht stattfinden. Aber in den Weiten des Weltalls gibt es da offenkundig eine Zivilisation, da kann man genau diesen Ausbildungsgang an der Technischen Schöpfungsakademie wählen. Deep Print Games hatte wohl davon Wind bekommen und niemand Geringeren als Bildungsprofi und Spieleerfolgsautor Stefan Feld persönlich gewonnen, dieses Thema in ein Brettspiel zu gießen. So muss es gewesen sein. „Civolution“ ist dabei herausgekommen.

Thematisch spielen alle Spieler eine Abschlussprüfung im Fach Zivilisationsdesign. Das Direktionswesen Agera (schwedisch für „eingreifen“, „handeln“, „spielen“, Latein sinngemäß „Feldin“) begleitet uns dabei im Rahmen einer Simulation, in der wir im Rang einer Zivilisations-Gottheit für technischen Fortschritt, Ausbreitung und evolutionsbiologischen Fortschritt sorgen sollen.

Das Spielmaterial

Wenn man die Spielschachtel von „Civolution“ öffnet, begrüßen den Auspacker ein Haufen Stanzbögen guter Qualität und viele Pappschachteln, die im weiteren Verlauf des Spielelebens Ordnung schaffen sollen. Das ist eine ganz gelungene Lösung. Es mag auf den ersten Blick nicht so sehr begeistern wie aufwendig gestaltete Kunststoff-Trays. Aber es ist an vielen Stellen sehr zweckmäßig – und sicherlich auch ökologisch deutlich korrekter. Gerade die Möglichkeit, die Spielkarten zu organisieren, vermag zu überzeugen. Die spieler-spezifischen Schachteln geben die Möglichkeit, alle Spieler-Komponenten an einem Ort zu verstauen. Eine Unterteilung dieser Schachteln für etwas mehr Ordnung wäre noch das i-Tüpfelchen gewesen.

Im Schachtelboden der Spielbox sind die Orte für alle Schachteln eingezeichnet, damit das Einräumen kein Spiel nach dem Spiel wird. Die drei Beutel, aus denen im Verlauf einer Partie Platinen gezogen werden, machen einen einfachen, aber vernünftigen Eindruck. Und dann ist da die sehr aufwendig gestaltete Spielerkonsole. Richtig aufgeklappt, ist der Aufbau des Spielerbereichs schon halb erledigt. Der Aufbau der Konsole ist wirklich sehr gut durchdacht. Es sind viele Informationen dargestellt, die einem die Einstiegshürde nehmen. Das ist für ein vielschichtiges Spiel wie „Civolution“ fast schon lebensnotwendig. Die Konsolen werden im Eigenbau per Klebestreifen in Doublelayer-Form gebracht. Damit sind sie wunderbar gerade und „schüsseln“ nicht. Gleiches gilt auch für die Landschaftplättchen mit Gebirge.

Die Holzteile für die Gebäude heben sich ab vom Gebäudeeinheitslook im Sinne eines „Catan“ ab. Bei den groß geratenen Schiffen gilt das Motto „form follows function“. Lediglich die Säulen sind etwas enttäuschend, weil sie in Form von Standardmarkern daherkommen, die etwa auch für das Markieren des Ressourcenvorrats genommen werden. Hier hatte man wohl die Produktionskosten im Blick.

Drei Spielpläne sind im Spiel enthalten. Eine modulare Weltkarte sorgt in jeder Partie für unterschiedlich angeordnete Landschaften und Rohstoffvorkommen. Hier tummeln sich unsere Stämme. Das zweite Bord sorgt als Fortschrittsplan für das Tracking der Fortschritte, beherbergt verschiedene Platinen und Würfel, die man sich im Laufe der Partie verdienen sollte, sowie einen Bereich, der das Abhandeln der Endwertung erleichtern soll (und es auch tut). Das dritte Spielbrett glänzt mit einer hervorragend gestalteten Phasenübersicht und einigen Leisten und Karten, die für die Endwertung einzelner Runden relevant sind. Durch die Trennung der drei Spielplanbereiche findet das Spiel auf Tischen unterschiedlicher Formate Platz. Mit den Spielerkonsolen und den Kartenauslagebereichen nimmt das Spiel aber erheblich Raum ein. Bei einer Vierspielerpartie sollte es schon mindestens 160 cm mal 95 cm Tischfläche sein. Platz für Knabbereien und Getränke findet man dann aber kaum noch.

Der Spielaufbau dauert trotz intelligenter Lösungen (wie der Konsole) seine Zeit. In sechzehn übersichtlich im Regelbuch dargestellten Schritten läuft das Ganze ab. Mit mehreren „Civolution“-erfahrenen Spielern ist das aber kein Hexenwerk.

Schließlich sei noch das außergewöhnlich gut gestaltete Regelbuch erwähnt. Auf 38 Seiten bleiben keine Regelfragen mehr offen. Alles ist sehr gut strukturiert. Das Regelbuch eignet sich auch hervorragend als Leitfaden für eine gute Reihenfolge bei der Erklärung der einzelnen Aktionen in der Konsole sowie der Spielkonzepte. Auch als Nachschlagewerk taugt es sehr gut. Das Glossar widmet sich allen Platinen und Karten im Einzelnen und ergänzt das Regelbuch sehr gut. Ich mache es kurz: Dieses Regelbuch hat eine Auszeichnung verdient und sollte als Vorbild für zukünftige Brettspielproduktionen dienen. Dass jeder Spieler noch ein mehrseitiges Übersichtsheftchen erhält, stellt einen echten Mehrwert dar.

Der Spielablauf

Vier Epochen werden gespielt, die sich in jeweils 8 Phasen untergliedern. Mit einem Marker werden diese Phasen angezeigt, sodass jeder Spieler den perfekten Überblick über den Spielefortschritt hat. Es bietet sich an, dass der Spieler mit bestem Zugriff auf dieses Brett durch die Phasen einer Runde moderiert.

Die Phasen lassen sich so zusammenfassen, dass es vorbereitende Phasen gibt, die Hauptaktionsphase sowie  abschließende Phasen. In ersten werden neue Karten in der Auslage zur Verfügung gestellt, ein Ereignis als Rundenziel für etwas Bonus am Ende der Runde vorgegeben, Zugriff auf individuelle Rundenziele sowie ein kleines Rohstoffeinkommen gewährt. In den Rundenabschlussphasen werden Landschafts-Sondereffekte abgehandelt, die Stämme ernährt, das Rundenziel gewertet sowie Einkommen generiert und etwas, wirklich nur etwas, Buchhaltung durchgeführt.

Das Fleisch des Spiel liegt in der Aktionsphase. Reihum darf jeder Spieler entweder eine Aktion oder einen Reset ausführen. Die Aktionen führt man durch, indem man zwei der Aktion zugeordnete 6er-Würfel aus seinem Vorrat wählt. Für die Aktion „Wanderung“ und die damit verbundene Möglichkeit, seine Stämme über die Weltkarte zu manövrieren, benötigt man etwa einen Einser-Würfel und einen Dreier-Würfel. Hat man keine passenden Würfel, darf man sich Burgen-von-Burgund-artig die Würfel auf die richtige Seite drehen. Hier bei „Civolution“ nutzt man dafür „Ideen“. Gehen einem die Ideen aus, bleiben einem nur die Möglichkeiten, die einem die Würfelaugen eröffnen. Wenn das aber keinen Sinn machen will, legt man sich eben schlafen. Da kommen einem dann neue Ideen. Beim Reset würfelt man seine Würfel neu, um sie wieder bei seinem Würfelvorrat auf der Konsole einzuordnen.

Doch was kann man denn nun so tun in seiner Abschlussprüfung? Da hilft ein Blick auf die Konsole. Schnell fallen einem da die Plättchen auf jedem Aktionsfeld auf, die in den Double-Layer-Aussparungen Platz gefunden haben. Diese kann man umdrehen oder auch ganz entfernen. So kann man jede der möglichen Aktionen in zwei Schritten verbessern.

In sechzehn plus sechs verschiedenen Aktionen kann man alles tun, was man als Zivilisationsdesigner so tun muss: Stämme vermehren und über die Weltkarte schicken und damit neue Landschaften und Rohstoffe erschließen, diese Rohstoffe abbauen und transportieren und sie handeln. Für das leibliche Wohl kann man jagen gehen. Außerdem gilt es, spezielle Orte zu entdecken und Gebäude zu errichten. Die Abhängigkeit vom Würfelglück lässt sich durch den Einkauf von Würfelergebnissen oder den Erwerb von mehr Würfeln verringern. Man kann über das Forschen neue Karten aufnehmen und diese Karten in die Stufenauslage oberhalb seiner Konsole ausspielen. Die Konsole erlaubt auch das Auslösen von Einkommen und Aktivitäten in der Stufenauslage. Mittels Würfelpaschs lassen sich den eigenen Stämmen Fähigkeiten wie „Weitsicht“ oder „Geschicklichkeit“ genetisch einpflanzen. Diese können mittels Aktion natürlich auch mutiert werden. Persönliche Ziele können erfüllt werden und mit besonderem Geschick auch neu erstanden werden. Man merkt: Hier hat Stefan Feld keine halben Sachen gemacht. Manchmal braucht man die Gunst von Agera, unserer Prüfungsaufseherin, um seine Aktionen mächtiger zu machen. Dann hilft einem wahrscheinlich, auf der Agera-Leiste vorangekommen zu sein.

Die gerade beschriebenen Karten werden in den Stufenbereich über die Konsole sortenrein eingesteckt. Dazu müssen die Kosten stufengerecht bezahlt werden – je weiter oben eine Karte steckt, desto teurer wird’s für den Prüfling. Fertige Reihen geben Boni, Karten in höheren Stufen geben mehr Punkte. Da helfen einem dann auch Zielplatinen, Einkommensplatinen und Attributsplatinen, diesen Stufenbereich aufzufüllen. Die ausgespielten Karten geben dem Spieler manchmal Soforteffekte wie das Voranschreiten auf Fortschrittsleisten oder auf Ageras Leiste. Manchmal werden auch dauerhafte Vorteile oder neue Aktivitäten freigeschaltet.

Das Spiel endet nach vier Epochen. Eine Endwertung schließt jede Partie „Civolution“ ab. Das ist auf dem Fortschrittsplan sehr übersichtlich dargestellt. In jeder Partie sind die Endwertungen hinsichtlich ihrer Wertigkeit unterschiedlich. Am Start jeder Partie wird die Wertigkeit dieser Kategorien festgelegt, genau wie die Rundenwertungen.

Das Spielgefühl

Das Spiel „Civolution“ mit in einem Artikel vollständig zu beschreiben, ist schier unmöglich. Und es macht auch keinen Sinn. „Civolution“ bietet einfach sehr viele Verknüpfungen, die man in der Erstpartie noch lange nicht überblickt. Dabei sticht heraus, dass das Spiel an keiner Stelle kompliziert ist. Jede Aktion ist für sich genommen gut nachvollziehbar und einfach.

Positiv ist, dass man als Neuling ein „passendes“ Startkarten-Set zur Verfügung gestellt bekommt, welches einem das Erschließen bestimmter Synergien nahe legt. So macht auch schon die erste Partie Spaß. Die sehr guten Glossare helfen jedem Neuling und geben schnell Antwort auf die meisten Fragen. Nach und nach erschließen sich die unzähligen Möglichkeiten, die einem das Spiel bietet. Wir haben hier ein Spiel, welches nach fünf oder sechs Partien noch lange nicht fertig gespielt ist.

Die Vielzahl an Aktionen erlaubt ganz viele unterschiedliche Möglichkeiten, das Spiel zu spielen. Über das Aufwerten der Aktionen in der eigenen Konsole kann man durchaus potenziell sehr effiziente Maschinen aufbauen. Erfahrene Spieler haben hier Neulingen gegenüber einen evolutionären Vorteil. Die Aktionen an sich sind aber schnell gelernt und nicht kompliziert.

„Civolution“ hat strategische Elemente und taktische Elemente. Man wird seine Konsole strategisch so ausbauen und passende Karten ausspielen, dass bestimmte Aktionen besonders effektiv zusammenspielen. Viel Reichtum anzuhäufen ist sinnvoll, wenn es dafür am Spielende viele Punkte geben sollte. Viele Rohstoffe abzubauen, sie effektiv transportieren und handeln zu können, wäre zum Beispiel eine Stoßrichtung. Karten kann man aber auch taktisch spielen, um etwa schnell auf Fortschrittsleisten voranzukommen, die einem dann die schnelle Verbesserung der Aktionen erlaubt. Und die Würfelwürfe verleihen „Civolution“ einen sehr taktischen Anstrich. Ich brauche einfach die passenden Würfel für die oben genannten Aktionen. Das ist eine sehr interessante und vielschichtige Entscheidungs-Gemengelage, die man in einer Lightversion schon aus den „Burgen von Burgund“ kennt.

Die Zusammensetzung der Landschaftsteile, der zur Verfügung stehenden Forschungskarten (je 32 Karten in fünf Farben), der Reihenfolge der Rundenwertungen und der Spielendwertungen, der Verteilung der Orte, der Einkommens-, Attributs- und Zielplatinen (12 Stück / 25 Stück / 65 Stück), die Rundenendwertungen und noch einiges mehr verleihen jeder Partie ein neues Spielerlebnis. Nochmal: Bei „Civolution“ gibt es ungewöhnlich viel zu entdecken.

Die Spieldauer ist lang, in der ersten Partie auch sehr lang. Wir lagen jenseits der vier Stunden – zu zweit! Mit mehr Erfahrung nimmt die Spieldauer ab, sodass sich „Civolution“ irgendwann geradezu flott anfühlt. Mit drei oder vier Spielern kommt man mit der Zeit in einen guten Spielfluss. Die eigenen Entscheidungen trifft man während der Züge der anderen. Wenn man dran ist, kann man seine eigene Aktion zügig durchführen. Zack, ist der nächste dran. Diesen Zustand muss man sich aber mit vielen Partien erarbeiten.

„Civolution“ ist dabei auf den zweiten Blick durchaus thematisch. Zwei Beispiele: Eine Zivilisation mit genetisch sehr guter Intelligenz gilt als „schlaue Zivilisation“. Karteninstallationskosten für Karten in höheren Stufen sind dann niedriger. Offensichtlich findet das Volk dann eine Möglichkeit, effizienter Errungenschaften zu erreichen, Bauwerke zu bauen, Erkenntnisse zu generieren, usw. Zweites Beispiel: Beim Ausspielen der Mutation „Fell“ wird man bei kaltem Wetter mit zusätzlichen Siegpunkten in jeder Stammeszwischenwertung belohnt. Voraussetzung für das Spielen der Mutationskarte „Fell“ ist eine genetisch robuste „Konstitution“. Der ein oder andere Effekt bedarf allerdings einer guten Portion logischer Streckung. Mit der Mutation „Rüssel“ kann man zum Beispiel auch in benachbarten Gebieten Rohstoffe abbauen. Das kommt dann wohl auf die Länge des Rüssels an … Ich zolle hier allen berüsselten Stämmen meinen Respekt.

Für wen ist „Civolution“ etwas und für wen eben nicht? „Civolution“ ist ein Spiel für fortgeschrittene Spieler und Spieleexperten. Es ist ein Brecher, der nach allen Regeln der Kunst in der Einfachheit der Aktionen gestreamlined und redaktionell wahrlich perfekt aufbereitet wurde und damit eben nicht kompliziert ist. Aber es ist ein Brecher. Es ist ein Brecher, der die Spieler auf vielen Entscheidungsebenen fordert. Wer solche Spiele nicht mag, der sollte hier nicht zugreifen. Das gleiche gilt für Spieler, die lange Spiele nicht mögen. Denn: „Civolution“ ist ein langes Spiel. Außerdem ist „Civolution“ nicht sehr interaktiv. Auf der Weltkarte kommt man sich schon mal in die Quere. Da geht es dann aber um einen Rohstoff mehr oder weniger, um etwas mehr Nahrungsbedarf, etc. Spieler mit Vorlieben für konfliktbeladene Spiele wird „Civolution“ deswegen vielleicht langweilen. Hoch optimierte Eurogamer mit ausgeprägtem Strategie-Gestaltungshunger wird vielleicht stören, dass hier Würfel geworfen werden, deren Ergebnis den großen Masterplan manchmal durchkreuzen werden.

Fazit: „Civolution“ ist ein besonderes Spiel. Ja, es ist das Magnum Opus von Stefan Feld. Es ist aufgrund der brillanten Redaktionsarbeit aber auch das Magnum Opus von Viktor Kobilke. Man hat hier einfach wahnsinnig viel zu entdecken und ein unglaublich vielseitiges Spiel mit strategischer Tiefe und taktischer Finesse. Das Spiel ist nichts für Spieleeinsteiger und verlangt Zeit und Raum. Bekommt es das, belohnt es mit einem sehr abwechslungsreichen und (man höre und staune) beinahe flotten Spielerlebnis. Für mich ist das Spiel in seiner Gesamtheit einer der Expertenspiel-Meilensteine im Brettspielkosmos.

Civolution
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Stefan Feld, Viktor Kobilke
Deep Print Games / Pegasus Spiele 2024
EAN 4250231740022
Sprache: Deutsch
Preis 89,99 EUR

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