von LarsB
„Wundersame Wesen“ erinnert mechanisch und auch thematisch an riesengroße Erfolge wie „Everdell“ und „Arche Nova“. Das ist eine schier übermächtige Konkurrenz. Doch das muss ja nicht heißen, dass „Wundersame Wesen“ keine Daseinsberechtigung hat. Oder doch?
Das Spielmaterial
Geil! Aber …
Okay, ich sollte das etwas mehr ausführen. Die Arbeitereinsetzfiguren (hier: „Besatzungsmitglieder“) aus Holz sind so groß ausgeführt, dass sie auf zwei Hexagonfeldern gleichzeitig Platz finden müssen. Jeweils eines dieser „Besatzungsmitglieder“ pro Fraktion hat dann auch einen Magneten, der dafür sorgt, dass in jeder Partie eine andere Kapitänsfigur auf ihr platznehmen darf. Diese haben nämlich alle einen Magneten im Schritt (hihi!), sodass hier eine ordentliche Verbindung für den Rest der Partie hergestellt werden kann.
Die Spielertableaus sind von der Art Doublelayer. Das Nichtverrutschen der Ressourcenmarker stellt einen echten Mehrwert dar. Und auch die Aussparung für die Kapitänstafel ist sehr gut gelungen. So fühlt sich alles aus einem Guss an.
Die insgesamt 126 Wesenskarten sind unglaublich toll illustriert. Auch die Ikonografie ist gelungen, sodass nach zwei Partien auch „aus der Ferne“ klar ist, welche Effekte die Karten bieten. Richtig ist aber auch, dass dem Spieler sehr viele verschiedene Darstellungen zugemutet werden. Jede einzelne Karte ist über eine Referenznummer ausführlich in der Anleitung beschrieben. Kurztexte helfen auf jeder Karte bereits gut beim Einstieg in das Spiel.
Die Pappmarker sind okay. Wer die Deluxe-Version kennt, wird sich ein Tränchen aus dem Auge reiben müssen, also gar nicht erst nach der Deluxe-Version schauen. Ist eh unvernünftig. ;-) Wer die Retail-Version spielt, wird wirklich nichts vermissen. Die sogenannte Tischpräsenz kann sich auch hier sehen lassen.
Das Papp-Inlay bietet einen geordneten Platz für die Karten und lässt Platz für Kartenhüllen und Karten-lastige Erweiterungen. Sehr gut. Genau wie die Spielzugübersicht, die einem beim spielmechanischen (Wieder-)Reinkommen hilft. Symbolübersichten für jeden Spieler bleiben allerdings ein Wunsch.
Die Anleitung ist sehr gut geschrieben und illustriert Zusammenhänge anhand aussagekräftiger Beispiele. Die Beschreibung jeder einzelnen Wesenskarte lässt keine Fragen offen. Nur das Wiederauffinden von Regeln gelang uns nicht so gut. Die Konzepte sind teilweise stark über das Regelheft verstreut und wir brauchten manchmal einfach zu viel Zeit, um den passenden Eintrag zu finden.
Ein kunstvoll bedrucktes Säckchen gewährt einen hinreichend guten Zugriff auf die darin befindlichen Eier. Dieser Satz sollte nicht aus dem Kontext genommen werden … In oben genannten Zusammenhang ist das durchaus erfreulich.
So, und was ist mit dem „Aber“? Es liegt neben dem kleinen Säckchen für die Eier nur ein (1) riesiger Plastikbeutel in der Spieleschachtel bei. Alle Tokens, Figuren, Marker sollen hier hinein. Sie passen dort auch hinein. Aber der Aufbau des Spiels wird damit zu einer Qual. Ich habe es ausprobiert. Das muss besser gehen.
Der Spielablauf
Nach der Wahl von vier Wesenskarten und einem Kapitän (für eine Prise Asymmetrie) darf nun jeder Spieler reihum eine von vier Aktionen ausführen. Man setzt ein Besatzungsmitglied auf den Spielplan ein, man spielt Karten von seiner Hand aus, man holt die Besatzungsmitglieder vom Spielplan zurück oder man erreicht eine Errungenschaft. Letzteres verschafft einem einen Pokal. Sind alle Pokale weg, wird das Ende der Partie ausgelöst.
Klingt etwas unspektakulär. Aber was macht denn nun eigentlich „Wundersame Wesen“ spielerisch genau?
Das Arbeitereinsetzen findet in einer kleinen, sich verändernden Welt satt. Ebenen und Berge grenzen an verschiedene Lebensräume und Seen. Auf Ebenen und Bergen können die Besatzungsmitglieder eingesetzt werden. Die acht benachbarten Hexagone bieten dann Möglichkeiten für Ressourcen- und Karteneinkommen. Jedem Lebensraum ist eine Ressource zugeordnet, die eingesammelt werden kann. Auch die in der Auslage („Wildnis“) befindlichen Wesenskarten lassen sich jeweils einem Lebensraum zuordnen. Alternativ zur Ressource kann man auch eine zum Lebensraum passende Karte aus der Auslage nehmen. Bestimmte Regionen sind auf der Karte dabei attraktiver als andere. Im Verlauf der Partie „verwandeln“ die Spieler inaktive Seen in neue Lebensräume. Damit ändert sich das Spielbrett im Laufe einer Partie langsam. Unterschiedliche Rohstoff-/Kartenkombinationen werden so mit einem Einsammelzug möglich. Viele Lebensräume haben darüber hinaus noch Spezialeffekte, die über Kescherplättchen ausgelöst werden können. Leider hat man davon häufig nicht so viele… Auf dem Spielplan ausliegende Eier können vom Besatzungsmitglied direkt oder per Kescher eingesammelt werden. Diese verschaffen dem Spieler einen Sofortbonus, helfen beim Sammeln von Sets und können als Input für Punktemaschinen dienen. Hier kommen die Karten ins Spiel.
Um die Wesenskarten auszuspielen, braucht man die Ressourcen, die einem die Besatzungsmitglieder hoffentlich verschafft haben. Man darf in seinem Zug bis zu zwei Karten aus der Hand ausspielen. Es gibt fünf Arten von Wesenskarten. Den großen Schwung (ca. die Hälfte aller Karten) machen die Sofortkarten aus. Bezahlen, ausspielen und den Effekt abhandeln. Fertig. Nur noch die Symbole für Tierart und Lebensraum leisten in der Folge einen Beitrag zum Spielgeschehen, sodass diese Karten in der Auslage versetzt gestapelt werden. Anders verhält es sich mit den Kartentypen, aus denen ich mir ein wohl zusammengestelltes Tableau aufbaue. Es gibt Karten, die einen permanenten Effekt gewähren, welche, die ein regelmäßiges Einkommen generieren, Karten, die man auflädt und nutzen kann, bis der Akku alle ist, und schließlich gibt es noch Karten, die ihren Beitrag nur bei der Endwertung leisten.
Das Zurückrufen der Besatzungsmitglieder ist nur eine Option, wenn man alle drei bereits auf der Karte eingesetzt hatte. Nur an dieser Stelle wird ein Handkartenlimit durchgesetzt und es greifen die oben erwähnten Einkommenskarten.
Schließlich darf man sich auch einen Pokal abholen: für eine Mindestanzahl bestimmter Tierarten(-kombinationen) oder andere Errungenschaften wie Eier („Eier! Wir brauchen Eier!“) oder Tiere bestimmter Lebensräume. Das Set der Errungenschaften wird in jeder Partie neu zusammengestellt. Man darf nun auch eines seiner sechs Tintenfässer von seinem Tableau nehmen und auf einer Errungenschaftskarte platzieren. Bei drei von sieben Karten gibt es die meisten Punkte dafür, die Errungenschaft als erster realisiert zu haben. Bei den anderen Errungenschaften kann man eine mehrerer Stufen realisieren, etwa drei oder sechs drachenartige Kreaturen. Für jede Stufe gilt: wenn weg, dann weg. Und jeder Spieler darf nur eine einzige Stufe einer Errungenschaft belegen. Mit der ersten Errungenschaft darf man sich die Kapitänsfigur auf ein Crewmitglied montieren. Magneto-Schnapp. Wie befriedigend.
Mit Fortschreiten auf der Punkteskala erhält man Pokale, Kescher und die Möglichkeit, die Landschaft der Insel nach eigenem Gusto weiter zu gestalten.
Das Spielgefühl
Auf dem Papier sollte sich „Wundersame Wesen“ ungefähr so anfühlen wie „Arche Nova“, „Terraforming Mars“ oder „Everdell“. „Wundersame Wesen“ ist aber irgendwie doch anders. Ohne in den Vergleich zu den oben genannten Spielen zu gehen, versuche ich hier „Fleisch an den Knochen“ zu bringen, was „Wundersame Wesen“ ausmacht.
„Wundersame Wesen“ ist aus meiner Sicht zwei Dinge zugleich: ein Wettrennen um die Pokale und Errungenschaften und ein Wetteifern um das effektivste Tableau.
Die Errungenschaften geben einen Haufen Punkte. Zwei Arten sind zu unterscheiden: Die reinen Wettrennen-Errungenschaften (frühes Erreichen gewährt mehr Punkte) und die Stufen-Errungenschaften (ich entscheide mich für eine freie Errungenschaftsstufe und erhalte dafür die Punkte). In beiden Fällen gilt: Wer zu spät kommt, der wird bestraft. Es ist wichtig, die Tableaus der Mitspieler im Blick zu haben. Jawoll! Gleich wird man schon die richtigen Karten ausspielen, um sich die Top-Punktzahl oder die gewünschte Belohnungsstufe der Errungenschaft zu sichern. Grundsätzlich wird man immer wieder vor die Frage gestellt, ob man lieber eine untere Errungenschaftsstufe realisieren möchte und so schnell Zugriff auf einen Sofortbonus bekommt, oder ob man auf die volle Punktzahl geht. Schließlich ist eine Errungenschaftsstufe weg, wenn sie erstmal realisiert worden ist – auch für die werten Mitspieler.
Die Effekte der Wesenskarten sind sehr vielfältig. Damit ergeben sich viele Möglichkeiten für Kombinationen – und für hammerstarke Tableaus. Ein solches Tableau zu haben, also ein hammerstarkes, das ist schon toll. Berechtigt drängt sich die Frage auf, ob gegen ein solches Tableau noch aufgeholt werden kann. Aus meiner Sicht ist das schwer. Einen Aufholmechanismus habe ich nicht wahrgenommen. Im Gegenteil, durch das Erhalten von Siegpunkten während der Partie bekommt der führende Spieler Zugriff auf mehr Kescher, Pokale und die Möglichkeit, die Landschaft im eigenen Sinne zu gestalten. Auch ein destruktives Verhalten aller Mitspieler gemeinsam gegenüber dem Führenden ist gar nicht effektiv realisierbar. Klar können Karten weggeschnappt werden, aber die Auslage rotiert so schnell durch, dass sich die nächsten Gelegenheiten für den führenden Spieler mit großer Sicherheit ergeben werden. Und wer hat schon im Blick, welche Karten der Führende auf der Hand hat? Auf der anderen Seite ist in vielen Partien gar nicht ganz klar, wer denn nun wie weit vorne liegt. Die Punkte liegen verteilt in den Karten selbst, den Endspiel-Wertungen und auf den Errungenschaftstableaus. Und nicht selten zieht ein Spieler noch aufgrund seines extrem wertvollen Tableaus vorbei. Das Geheimnis des Siegs liegt in der richtigen Mischung aus Tableau und Errungenschaftstiming.
Apropos Timing, interessant ist auch das richtige Arbeitereinsetztiming. Da die Rückholzüge nur erlaubt sind, wenn alle drei Besatzungsmitglieder eingesetzt worden sind, kann man damit kalkulieren. Man möchte das Rückholen gerne zeitlich so gestalten, dass sich für den ersten Einsetzzug eine Landschaft voller Möglichkeiten vor einem ausbreitet und nicht eine vollkommen überfüllte Insel, die nur noch mittelmäßig interessante Einsetzorte bereithält. Die Spieler laufen zeitlich auseinander mit dem Rückholen der Arbeiter, weil sie unterschiedlich häufig Karten ausspielen und Errungenschaften ausrufen werden.
Die Spielart des Wortkerplacement-Mechanismus ist ebenso neu. Es werden benachbarte Felder genutzt, nicht direkt die Felder, auf denen man das Besatzungsmitglied einsetzt (von den Eiern mal abgesehen). Hier muss man sich definitiv „eingucken“. Die Entscheidung, einen benachbarten Lebensraum für Ressourcen oder für neue Karten zu nutzen, ist schon interessant und manchmal auch schwierig. So ganz einfach ist es eben nicht, seinen Kopf um das Optimierungsproblem zu wickeln, wenn man schon ein fluffig ausgebautes Tableau und eine volle Kartenhand voller Optionen und Verkettungen vor sich hat. Hier kann auch schon mal ein Schaltkreis heißlaufen. Und die vielen unterschiedlichen Kartenarten helfen nicht dabei, den Knoten im Kopf zu entwirren. Der eine oder andere Spieler wird sich fragen, ob die Vielschichtigkeit bei den Karten ein Gewinn ist. On top kommen schließlich die Möglichkeiten, die sich durch das Auslösen von zu den Besatzungsmitgliedern benachbarten Sondereffekten ergeben. Kescher vorausgesetzt.
Gerade in den ersten Partien wird man leicht die Tendenz zum vor-sich-Hinbauen haben. Das lastet genug aus. Allerdings gilt, dass man sich auch schnell in der Kartenauslage der Mitspieler zurechtfindet, wenn man die Ikonografie der Karten verinnerlicht hat. Die Anzahl der Tierspezies, Lebensräume und auch die Effekte des Tableaus lassen sich dann auch vom eigenen Platz aus überblicken. Mit fortschreitender Spielerfahrung widmet man sich vermehrt der Auslage der Mitspieler, ohne aber jede einzelne Teilaktion der Mitspieler genau verfolgen zu wollen oder zu müssen.
Die Spieldauer ist anfangs durch das Hineindenken in Mechanismen und Ikonografie lang, zu lang. Da stört zum Beispiel die dezentrale Kartenauslage, die einen zum Aufstehen zwingt, wenn man nicht direkt daneben sitzt. Aber auch das ineffiziente Wettrennen unerfahrener „Wundersame Wesen“-Spieler um die Errungenschaften zieht die ersten Partien in die Länge. Bei uns dauerte die Erstpartie mit drei Spielern über vier Stunden! Mit mehr Erfahrung läuft „Wundersame Wesen“ jedoch fast schon flott. Weniger Spieler, mehr flott. Erfahrenere Spieler, mehr flott! Diese Zusammenhänge gelten auch und besonders für „Wundersame Wesen“.
Durch die kartenbasierte Natur des Spiels hat man hinreichend Abwechslung von Partie zu Partie. Der Spielplan selbst erscheint jedoch etwas starr. Ja, die Eier tauchen an unterschiedlichen Orten in unterschiedlicher Ausprägung auf. Sicherlich entwickelt sich der Plan mit Voranschreiten des Spiels durch das Platzieren neuer Lebensräume in jeder Partie anders. Aber das passiert langsam und so wünscht man sich nach einigen Partien doch mehr Abwechslung auf der Insel. Vielleicht kommt ja mal eine Erweiterung, die sich dieses kleinen Makels annimmt? Bereits mit ein paar Lebensraumplättchen und einer interessanten Spielaufbaubauregel wäre hier Abhilfe geschaffen …
Zum Spielthema sei noch gesagt, dass jede Tierklasse ihren eigenen Schwerpunkt hat. Drachen tun etwas, wenn man Karten abwirft, Schmetterling tun etwas mit Eiern, Affen besorgen Rohstoffe und die Vögel lassen den Spieler Karten aus der Wildnis ziehen. Das drängt sich den Spielern aber nicht auf. Viele Spieler werden das Gefühl haben, dass die putzigen Wesen in der eigenen Kartenauslage nichts mit ihren Effekten zu tun haben. Hier ist der Link einfach zu indirekt, zu subtil. Auch mir geht es noch so, dass ich am Ende einer Partie nicht genau sagen kann, welche Wesen nun bei mir eigentlich „abhängen“ – und welche Kreatur eigentlich genau der Gamechanger war. Ich kann mir einfach nicht merken, dass es der Schmetterling „Stellaling“ ist, der mir für jedes Ei, was ich erhalte, einen Siegpunkt gibt. Bei „Wundersame Wesen“ behindert das Thema diesbezüglich einfach. Das ist bei „Terraforming Mars“ und „Everdell“ irgendwie klarer.
Fazit: Sollte es noch nicht klar geworden sein, ich mag „Wundersame Wesen“ gern. Und so ging es auch den meisten Spielern in meinen Spielgruppen. Die Aufmachung ist über jeden Zweifel erhaben und macht einfach Freude. Auf den zweiten Blick steht dem Spiel das putzige aber generische Thema allerdings mehr im Weg als dass es ihm dient. Das Aufbauen des eigenen Tableaus bringt Spaß und ist vielschichtig. Auch die neue Spielform des Workerplacements ist frisch und interessant. Damit meine ich auch das richtige Timing für das Zurückholen der Crew. Nur der Spielplan fühlt sich nach vielen Partien etwas starr an. Mit ein paar Feinjustierungen über die richtige Erweiterung könnte man „Wundersame Wesen“ aber auch hier auf ein neues Level heben. Pfoten, Klauen und Flossen gedrückt, dass da noch was kommt.
Wundersame Wesen
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Yeom.C.W
Strohmann Games 2025
EAN 4262412340259
Sprache: Deutsch
Preis 66,90 EUR
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