Villen des Wahnsinns – Zweite Edition: Jenseits der Schwelle

Wilsons Schrotflinte fiel klappernd zu Boden, als sich die aufgequollenen Finger der Frau um seine Kehle schlossen. Sie schien ihn nicht wiederzuerkennen, obwohl er noch vor wenigen Stunden für sie ermittelt hatte. Ihm wurde schwarz vor Augen. Doch plötzlich lockerten sich die Finger um seinen Hals. Ein grünes Gas hüllte die Frau ein und brachte sie zu Fall. Hinter ihr stand mit grimmigem Gesichtsausdruck Akachi Onyele. „Ma'am“, keuchte Wilson und zog den Hut vor ihr. „Wir scheinen eine Menge Arbeit vor uns zu haben.“

von Frank Stein

So ähnlich – nur noch etwas ausführlicher – lautet der Stimmungstext, der am Beginn der ersten eigenständigen Erweiterung für „Villen des Wahnsinns – Zweite Edition“ steht. Nach den zwei Materialerweiterungen „Unterdrückte Erinnerungen“ und „Wiederkehrende Albträume“, die Ermittlerfiguren, Monsterfiguren und Spielplanteile aus dem Grundspiel und den großen Erweiterungen von „Villen des Wahnsinns – Erste Edition“ enthielten, ist „Jenseits der Schwelle“ nun eine echte Neuerscheinung. Die Erweiterung kommt in einer schlanken Midsize-Box daher (ca. 25,5 x 25,5 x 5 cm) und selbst darin ist noch reichlich Luft, wenn man die hineinschaut.

Das Spielmaterial wirkt angesichts des (zugegeben) unverbindlichen Verkaufspreises von knapp 35 Euro etwas mager. 6 neue Spielplanteile, 2 neue Ermittler, 1 neues Monster in vierfacher Ausführung, dazu 8 einfache Gegenstände, 1 besonderen Gegenstand, 2 Zauber zu je 5 Karten („Arkanes Wissen“ und „Giftiger Nebel“) sowie je 4 neue Schadens-, Horror- und Wahnsinnskarten und der sehr unerfreuliche „Hypnose“-Zustand bilden neben ein paar zusätzlichen Pappmarkern (Feuer/Dunkelheit-, Personen-, Hinweise-, Schlüssel- und Wandmarker) den kompletten Inhalt. Das fühlt sich eher so nach 19-Euro-Erweiterung an. Man darf allerdings nicht vergessen, dass man auch zwei neue Missionen für die App mitbezahlt, die als reiner DLC für gewöhnlich einzeln mit etwa 5 Euro zu Buche schlagen. Alles in allem trotzdem nicht ganz billig, aber wer zahlt auf dem freien Markt für ein Brettspiel auch den UVP?

Das ebenfalls beiliegende Regelblatt ist extrem überschaubar. Neue Regeln finden sich nur zwei. Zum einen existieren nun die genannten Schlüsselmarker, die aus gewöhnlichen Gegenständen einen „Schlüssel“ und „Beweis“ machen können, der als handlungsrelevant gilt und daher nicht mehr abgelegt werden kann. Außerdem wird kurz erklärt, wie damit umzugehen ist, wenn Spielplanteile bewegt werden, weil sich der Wahnsinn der Villen in einer Verschiebung der Realität äußert.

Es soll hier nicht der Effekt jeder neuen Karte bewertet werden, aber auf zwei oder drei der neuen Spielmaterialien will ich ganz kurz eingehen. Die beiden neuen Ermittler – der Söldner Wilson Richards und die Schamanin Akachi Onyele – ergänzen die Charaktere des Grundspiels, die eher harmloser Natur waren (Priester, Sekretärin, Straßenkind), durch etwas mehr Wumms. Es sind beides Spezialisten, sie auf dem Gebiet der Zauberei, er auf dem der handfesten Auseinandersetzung. Als Gegensatzpaar in ihren Werten ergänzen beide sich großartig und bieten sich für eine 2-Spieler-Partie geradezu an. Besonders Wilsons Fähigkeit, nach jedem Horrortest den Zustand „Konzentriert“ zu erhalten, ist Gold wert, wenn erst einmal Ungeheuer aus den Hausecken kriechen, denn er erspart einem das Ausgeben doch einiger Hinweis-Marker.

Auf Monsterseite kommt die Marionette hinzu, ein magisch deformierter Mensch, der sich in lichten Momenten seiner Selbst sogar bewusst ist und dann darum bettelt, getötet zu werden. Doch schon im nächsten schlägt er wieder grausam zu. Die Marionette ist vom Schwierigkeitsgrad her ziemlich genau auf dem Niveau der Tiefen Wesen angesiedelt, überschaubar stark (Schaden 2, Leben 6), aber man kann ihr nicht so leicht entrinnen (3) und sie ist absolut grausig anzusehen (4). Übrigens halten die Figuren leider nur ziemlich schlecht in ihren Basen, sodass man überlegen muss, ob man sie darin festklebt. (Ich habe mich nach langem Zögern und dem bedauerlichen Abknicken von gleich zwei sehr fragilen Knöchelpartien der Monsterdamen dafür entschieden.)



Neu und richtiggehend anstrengend ist der von der App gerne genutzt Zustand „Hypnotisiert“. Fällt ein Ermittler unter diesen Bann, wird man am Ende seines Zuges kurz von einem fremden Willen übernommen und muss beispielsweise einen Gegenstand oder Zauber fallen lassen oder gar ein Feuer legen. Das mag erstmal nicht dramatisch klingen, aber jede Aktion, die man verliert, um den angerichteten „Schaden“ wieder zu beheben, ist eine wertvolle Aktion.

Kern der Erweiterung sind natürlich die beiden neuen Szenarien. Das erste trägt den Namen „Die Tore von Silverwood Manor“ und ist mit 4 (von 5) Sternen schon bockschwer. Die Ermittler werden von Officer Tetsuo Mori um Hilfe gebeten, um eine Serie von Vermisstenfällen aufzuklären. Die Ermittlungen führen an den mysteriösen Ort, den die Vermissten alle zuvor aufgesucht haben: nach Silverwood Manor. Was in diesem Haus geschieht, soll mit keinem weiteren Wort verraten werden. Nur so viel: Das Szenario ist wirklich abgefahren und macht von dem neuen Konzept sich verschiebender Räumlichkeiten weidlich Gebrauch. Gekämpft wird nur wenig. Aber die Mythosereignisse machen einen echt fertig!

Das zweite Szenario heißt „Rache ist süß“ und richtet sich mit 2 Sternen eher an Hobbyermittler, was nicht heißt, dass es ein Spaziergang wäre. Thomas Carvey, ein etwas exzentrischer Millionär lädt euch zu einer Dinner-Party ein, da er glaubt, dass einer der anderen Gäste ihm nach dem Leben trachtet. Es gilt für die Ermittler herauszufinden, wer den Mord plant und warum. Dieses Abenteuer setzt tatsächlich vor allem auf das Sammeln von Informationen und das richtige Kombinieren, um am Ende den Schuldigen anklagen zu können. Auch hier wird nur wenig gekämpft. Allerdings wird die Atmosphäre im Haus immer grausiger, sodass erneut die Mythosereignisse die Ermittler gegen Ende buchstäblich in den Wahnsinn zu treiben drohen.

Beide Szenarien kommen sehr atmosphärisch daher und können sich auch (in eingeschränktem Rahmen) auf unterschiedliche Arten entwickeln, je nachdem wie schnell und erfolgreich die Ermittlungen voranschreiten. Wer zulange Zeit verschwendet, bekommt es meist mit fiesen Monstern zu tun. Doch wie so oft bei den Szenarien von „Villen des Wahnsinns“ hält sich der Wiederspielwert in Grenzen, sobald man ein Szenario einmal bewältigt hat, denn auch wenn sich Kleinigkeiten im Aufbau ändern mögen, bleibt doch die Geschichte in ihren Erzähltexten und Wendungen so ähnlich, dass man einfach weiß, wie der Hase läuft. Was nicht heißt, das einem das helfen würde. Wie so oft bei Spielen des „Arkham Horror“-Settings besteht die Herausforderung bereits darin, das Szenario erst einmal zu schaffen. Ist dies bei „Rache ist süß“ noch leidlich schaffbar, dürften selbst hartgesottene Ermittler für „Die Tore von Silverwood Manor“ mehrere Anläufe und einiges an Frustrationstoleranz benötigen.

Fazit: Die neuen Ermittler und die zwei frischen Szenarien allein machen die Erweiterung „Jenseits der Schwelle“ für Fans von „Villen des Wahnsinns“ schon zum lohnenswerten Kauf (wenn man nicht gerade den Vollpreis zahlt). Alles andere Spielmaterial ergänzt nett das Bestehende, wobei sich vor allem die „Hypnose“-Karten deutlich bemerkbar machen. Für Freunde atmosphärischer und sehr erzähllastiger Abenteuerspiele ist „Villen des Wahnsinns“ nach wie vor ein echter Tipp, sofern man mit der App-Unterstützung leben kann. Ansonsten wäre es nur zu wünschen, dass Asmodee endlich mal die beiden DLC-Szenarien für das Grundspiel eindeutscht, um preiswert das Angebot an weiteren Geschichten zu ergänzen.

Villen des Wahnsinns – Zweite Edition: Jenseits der Schwelle
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 14 Jahren
Kara Centell-Dunk, Grace Holdinghaus
Fantasy Flight Games / Asmodee 2017
EAN: 4015566024755
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 34,95

bei amazon.de bestellen